Leonardo Da Vinci: Abendmahl/last supper - Part 1
 
Bild Leonardo da Vincis Hauptwerk: Das Abendmahl - last supper

Einleitung 
Quelle: Zeitenschrift Nr.20. 1998

Manches, was in der griechischen Fabelwelt als rein allegorisch erscheint, hat doch einen wirklichen Hintergrund. Beispielsweise der einäugige Zyklop, dem Odysseus auf seiner Irrfahrt begegnet, weist auf frühere Menschengeschlechter, auch Wurzelrassen genannt hin. Hesiod erzählt von drei einäugigen Zyklopen, welche die Söhne des Coelus und der Terra waren, die riesenhaft von Gestalt waren, nicht oder erst halb physisch, und die statt zweier Augen wie wir, nur das eine, geistige Auge in der Mitte der Stirn besassen (das bei uns heute verkümmert und inaktiv ist und sich an der Stelle des Stirn-Chakras befindet). 

Sie stellen die frühesten Menschenrassen dar. Sie sahen, was uns heute verborgen ist. Und unsere physische Welt hätten sie jedoch noch nicht wahrzunehmen vermögen - nur gab es sie damals auch noch nicht. Unsere zwei Stirnaugen wurden erst am Anfang der vierten (atlantischen) Wurzelrasse entwickelt.

Odysseus scheint ein früher Mensch dieser vierten Wurzelrasse mit den zwei Augen gewesen zu sein; ja, er gehörte den Heroen jener frühen Rasse an. In den Augen der hellsichtigen Zyklopen war er dennoch ein „Ruchloser“, Blavatsky schreibt in der Geheimlehre: „Sein (Odysseus`) Abenteuer mit den Zyklopen - einem wilden Riesengeschlechte, dem Gegensatze der gebildeten Gesittung in der Odyssee ist ein allegorischer Bericht von dem allmählichen Übergange der zyklopischen Zivilisation des Steins und der Kolossalbauten zu der mehr sinnlichen und körperlichen Natur der Atlantier, welcher schliesslich den Rest der Dritten Rasse ihr alles durchdringendes geistige Auge verlieren liess.“

Leonardo Da Vinci

Odysseus erlitt Schiffbruch an der Insel Acaca, wo Kirke alle seine Gefährten in Schweine verwandelte wegen ihrer Lüsternheit; und darnach wurde er nach Ogygia verschlagen, der Insel der Kalypso, wo er etwa sieben Jahre mit der Nymphe in unerlaubter Verbindung lebte. Nun war Kalypso eine Tochter des Atlas, und alle traditionellen alten Versionen sagen, wenn sie von der Insel Ogygia sprechen, dass sie sehr weit entfernt von Griechenland und gerade in der Mitte des Ozeans war; es dürfte sich dabei also um Atlantis gehandelt haben.

Interessant am „Mythos“ des Odysseus ist auch, welch zentrale Stellung die Zahl zwölf darin einnimmt. Mit zwölf Schiffen fährt er an zwölf Orten vorbei, bis er endlich nach Ithaka heimkehrt. Man könnte dies den zwölf Einweihungen gleichsetzen, und heim kommt ein anderer, als einst ausgegangen war - ein Vollendeter. So verwundert es nicht, dass er als einziger in der Lage ist, den königlichen Bogen zu spannen. Der Bogen ist immer ein Symbol für geistige Überlegenheit; und Odysseus repräsentiert nun den vollkommen Eingeweihten, der in der Lage ist, den Pfeil durch die runde Öffnung von zwölf hintereinander aufgestellten Äxten zu schiessen - ein Plan, den sich Pallas Athene ausgedacht hatte.

Wer die zwölf Ebenen der Einweihungen erfolgreich durchschritten hat, kommt vor das „Tor der Götter“, jenseits dessen zeitlose Freude und zeitloser Friede wohnen. Es ist dies die 13. Stufe.


Die Zahl 13

Die Zahl 13 war für den eingeweihten Menschen schon immer die Zahl von Vollendung und Glück.

Nur für jene Menschen, die sich dem Einweihungsweg widersetzen, bedeutet die 13 Unglück.

In der Kabbala verleiht Jahve dem Kosmos durch die Zahl 13 Gestalt: Der Meister unter seinen zwölf Jüngern.

Der Hierphant (in den Mysterien der höchste Priester und seine zwölf Helfer waren in allen Mysterientempeln des Altertums bekannt. In den ägyptischen Mysterien beispielsweise waren der Hierophant und die zwölf priesterlichen Einweiher beim letzten Stadium der Einweihung des Kandidaten in der Königskammer der Grossen Pyramide anwesend.

Marcel Messing schreibt in seinem Buch „Gnostische Weisheit in Ost und West“: Die Zahl 13, die aus den Ziffern 1 und 3 gebildet wird, hat die Funktion eines „Ecksteins“ und „Schlußsteins“. Die Summe dieser Zahl ergibt 4, hiermit stimmen wiederum die vier Einweihungen der grossen Mysterien überein, die Zugang zum Mysterium des Dreizehbteb (u.a. in Eleusis) verschafften.


Die Zahl 12 und 13

Der Zwölf und der Dreizehn begegnen wir auch in der Sage von der Tafelrunde: König Artus ist als Dreizehnter das Symbol der Erleuchtung, dem seine zwölf Ritter nacheifern.

Messing: „Christus und Artus sind mit dem Gral verbunden, dem alles gebenden und niemals versiegenden energetischen Liebesprinzip des Alls. Wer sich dagegen wehrt, „isst und trinkt“ sich selbst zu Tode, wird ein „lebendiger Leichnam“, ein isolierter Mensch. Dieser isolierte Mensch (Judas, Mordred oder ein anderer) muss völlig aus dem Kreis der Zwölf ausscheiden, ehe - dank des Findens des inneren Christus - der Dreizehnte, der neue Adam, erweckt werden kann.“


Das Abendmahl / Last Supper
Peter Lips

Im Jahre 1495 begann Leonardo an seinem Abendmahl zu arbeiten. Sein gesamtes psychologisches Können und Wissen hat er in diesem Werk zum Ausdruck gebracht. Er war ein Meister der Psychologie und war ein Kenner der menschlichen Natur in der Gründlichkeit dieser Probleme.

Das Abendmahl / Last Supper
(Hinzugefügt)

Carl Huter schrieb über dieses Werk: "Das bedeutendste Meisterwerk in Bezug auf psycho-physiognomisches Können und Darstellen seelischer Affekte und Charakteranlagen in Körper- und Gesichtsformen, in Mimik, Haltung und Gebärde der einzelnen Personen."

Dieses Werk ist voll Harmonie und großer dramatischer Bewegung. Die ganze Art der Auffassung und der Anordnung dieses Motivs ist neuschöpferisch. Jedem der Apostel gab er den ihm eigenen Charakter, alle reagieren ihrer Anlage gemäß anders auf die Offenbarung des Christus.


Das Bild ist aufgeteilt in vier Gruppen.

Der Anstoss und die Bewegung bringen die prophezeihenden Worte des Nazareners: "Einer ist unter euch, der wird mich in dieser Nacht verraten!" in dies Bildwerk.


1. Gruppe (von links)
Bartholomäus und Jakobus d.J. erwarten gespannt, wie diese furchtbare Anschuldigung erklärt würde. Andreas sondert sich etwas ab und läßt so etwas nicht an sich herankommen.

2. Gruppe
Petrus fordert Johannes auf, Christus zu befragen. Johannes bewahrt die Ruhe und fügt sich melancholisch in das Unvermeidliche. Judas ist erschrocken, er prallt zurück über die treffende Prophezeihung.

3. Gruppe
Thomas fragt: "Bin ich es?"
Jakobus d.Ä. ist erschrocken und entsetzt über eine solche Möglichkeit.
Philippus bekennt seine Aufrichtigkeit.

4. Gruppe
Mathäus, Thaddäus, Simon v. Kana, diese drei befragen sich, wer es wohl sein möge.


Christus (1), Johannes (2) und Judas (3) sind die ruhigsten. Christus und Johannes aus seelisch gefaßten Gründen, Judas erschrocken und starr.

Chrstus schaut nach innen. Die Geste ist Symbol einer feierlichen Handlung, es ist keine Ausdrucksbewegung einer passiven Resignation, oder Verstärkung bezüglich des Verrats. Eine Geste des Segnens oder Heliodisierens.

Bei Christus, Johannes, Thomas, Judas, Andreas liegt der tiefste Ernst. Alle Merkmale impulsiver Menschen.

Außer Christus, der schöpferisch befähigt ist, sind reproduzierende Menschen dargestellt. In der Gestalt Christus haben wir den genialreligiösen Typus, er ist gespannter und wirkt realer als Johannes, welcher im idealen Naturell liegt. Diese Unterschiede zeigen sich am deutlichsten auf farbigen Wiedergaben des Originals.

Bei Christus ist der Blick der angeborenen Religiösität typisch, der Augenausdruck bei momentanen religiösen Gedanken ist anders.

Carl Huter sagt: "Der religiöse Mensch ist ein Wesen, welches die höchsten, tiefsten und voll-kommensten Dinge fühlt, denkt und erkennen kann."

Die angeborene Anlage ist durch die quellende Helioda bedingt und kommt bei Christus hier typisch im Auge, Gewebe, in der Mittelhirnpartie (Ausdruck des Lebens- und Gefühlsgehirn) im Mund und speziell in der Oberlippe zum Ausdruck und diese korrespondiert mit dem Mittel- und Grosshirn.

Der Eindruck des Abendmahls auf Leonardo da Vincis Zeitgenossen war gewaltig und auch auf uns ist dieser Eindruck ungeschwächt überkommen.

Leonardo da Vinci ist der erste moderne Gelehrte. Er war nicht erstarrt im Glaubensdogma der Religion, sondern rastlos suchte er den Erreger aller Dinge. Er studierte die Materie und ist der Begründer des Naturalismus geworden. Er war der universell schöpferische Mensch und eröffnete durch neue Entdeckungen nach vielen Richtungen als Forscher in der Physik, Mathematik, Geologie, Botanik breite Grundlagen für die Menschheitsentwicklung auf diesen Gebieten.

Ja, Leonardo hat erst durch seine problematische Forschung den Anstoss gegeben und die Grundlage in der Technik und wissenschaftlichen Forschung bis in die heutige Zeit hinein. Alle seine genialen Arbeiten stehen in Verbindung mit seiner schöpferischen Begabung als Mathematiker, Physiker, Anatom, Biologe, Astronom, Botaniker, mit seiner intuitiven Fähigkeit, mit klarem Wissen und großer Phantasie der Naturerfassung. Keiner seiner Zeitgenossen hatte soviel Erfindergabe als er. Leonardos Hände gestalten und stellen immer Wahrheiten und Lebendigkeit dar.

In den drei, hier wiedergegebenen Bildnissen Leonardos sehen wir im ersten Leonardo als Künstler, als Maler. Den scharfen, bis ins Innere dringende Blick des Psychologen, (den diplomatischen Blick). Hier mag sein Ausspruch treffend sein: "Wer sich an einen Stern bindet, der kehrt nicht um."

Das zweite zeigt uns Leonardo als den genialen Forscher. Hier liegt die Hauptkraft in der Stirn. (Unterstirn, Mathematiksinn mit dem Zug zum Urteilsvermögen und in die Konstruktionssinne an der Seitenstirn). Der Durchmesser des Schädels von der Konzentrationsachse ist sehr lang und dem gemäß ist der motorische Impuls stark.

Bild

Die Höhe des Oberkopfes, (Mitte des Ohrloches bis zu Oberkopf) ist der Konzentrationsachse der Länge nach untergeordnet.

Die Kraft des Gemütstriebes des religiösen Impulses, ist nicht das Primäre seines Wesens. Dagegen sind der Künstler, Forscher, der Psychologe das Vorherrschende. Der starke motorische Impuls ist die immer wieder antreibende Quelle seines Schaffens.

Wenn auch der Schädel von einer herrlichen Plastik und harmonischen Bildung ist, so bleiben die Impulse des Intellekts und des Hinterkopfes stärker und bestimmter, sein schöpferisches Wollen und Können als Maler und Forscher.



Leonardo da Vinci
Eine Psycho-Physiognomische Studie nach Carl Huter

Leonardo wurde in eine Zeit geboren, die voller Unruhen und Wirrnisse war. Cesare Borgia schwang sein blutiges Schwert und Savanarola, der fanatische Mönch, rief seine grausamen Forderungen in das Volk.

Dazwischen stand Leonardo mit scharfsinnigem Blick, der größte Psychologe der Renaissance. In ihm hat die Natur den Typus geschaffen in dem Tatkraft und Idealität mit harmonischer, genial universeller Anlage verbunden ist. Eine selten in der Natur sich spiegelnde Veranlagung haben wir in Leonardo vor uns, er lag im Tat- und Harmonienaturell.

Er war schöpferisch auf dem Gebiete der Malerei, Mathematik, Physik, Anatomie, Biologie, Botanik, Zoologie und Astronomie.

Probleme von ganz neuer Bedeutung hat er aufgefaßt an die noch niemand vor ihm gedacht hat. Doch mit der Lösung einer Aufgabe reizte ihn die technische oder handwerkliche Ausführung nicht mehr, er überließ sie seinen Schülern.

Leonardo da Vinci war der denkende, sehende, fühlende Maler, wenn er die Malerei auch nicht zur Hauptsache ausführte. Er war Forscher und malte um zu Forschen.

Seine harmonisch vielseitigen Motive atmen Schönheit und Grazie nach körperlicher-, seelischer und geistiger Richtung. Er schuf die hell-dunkel Malerei, die eine Tiefenwirkung erreichte, die vor ihm niemand ausführte. Lokalfarben waren vorherrschend in der Malerei. Er löste die Probleme der Perspektive durch Ton und Farbe.

Leonardo da Vinci ist einer der größten Erfinder in der Geschichte der Malerei, seine Erfindungen sind echten, schöpferischen Ursprungs, so dass er die Künstler seiner Zeit mit seinen Forschungen und Ideen angeregt hat, ja sogar der göttliche Raphael hat von ihm grundlegende Erkenntnisse aufgenommen.

Auch in der späteren Zeit, ja bis in die Gegenwart ist Leonardos Geist spürbar. Er ist kein Träumer gewesen, sondern er war ein produktiver, genialer Künstler mit unendlich vielen Ideen. Seine Gedanken, Vorbilder und Entwürfe haben die Nachwelt angeregt, nach ihnen hat man gearbeitet und es sind seine Ideen und Forschungen vollendet und realisiert worden.

Er sah und brachte in seinen Werken die charakteristischen, wertvollen Seiten der Menschen, nie malte er Verbrechertum, nie den leidenden, zerquälten Leib des Ge-kreuzigten oder die Scenen seiner Geisselung. In die, im kirchlichen Dogma erstarrte Anschauung der Kunst brachte er wieder warmes bewegliches Leben und führte die Menschen wieder zum natürlich sinnlichen Fühlen zurück.

Es gab vor ihm keine sich liebreich neigende Mütter die ihre Kinder herzten und keine Kinder, die einander küssten. Auch keine Heiligenscheine oder stilisierende Ringe malte er um die Häupter seiner Madonnen.

Seine herrlichen Landschaften, etwa die Grottenmadonna, beweisen, dass er visionär schaute. Geheimnisvolle Frauengestalten stellte er dar, und als Portraitmaler schuf er die Mona Lisa, die das Gegenstück zu Leonardos selten komplizierte Anlage bildet.

Grottenmadonna                                                        Mona Lisa
(Hinzugefügt)

Der Umriss des Kopfes Christi ist eiförmig, oval mit dem größeren Durchmesser im oberen Teil. Diese Kopfgestalt zeugt von Harmonie der seelischen Kräfte. Die einzelnen Gesichtsorgane sind wohl prägnant geformt, aber dabei seelenvoll und rein in der Haupttönung. Bestimmtheit des Wesens, Feinfühligkeit und Reinheit der Gesinnung sind die Ursache dieser Eigenschaften.

Die Nase ist "griechisch" und weist auf vorzüglicher Verstandeskraft eines edlen Gesamtcharakters hin. Die Lider der großen Augen sind soweit geschlossen, dass fast nur die Pupille sichtbar ist. Es ist der "beobachtende Blick". Prüfend ist der Mund leicht zugespitzt. Die seidenweichen Haare sind lang und herabfallend, wie sie gefühlsreiche Menschen zu tragen lieben. Auch die helle, leuchtende Gesichtsfarbe gibt Kunde von einem geistvollen, schöpferischen Innenleben. die schmale, zarte Hand gehört einem feinfühligen Menschen von hohem Seelenadel.

Der fragende Pharisäer ist ein disharmonisches Naturell. Seine Formen sind hart, eckig, massig und schlecht proportioniert. Die Haut ist ohne Leuchtkraft und so fest wie Leder. In diesen aufgezählten Eigenschaften dokumentiert sich ein sehr grobes Gefühlsleben. Die breit hervortretenden Wangenknochen sind die des "Querkopfes", der anderen gern Steine in den Weg legt, widersetzlich und angriffslustig ist. Die Augen liegen versteckt in ihren Höhlen und verraten die Anlage zu Verschlagenheit und Hinterlist.

Gefühlsroheit und Raffiniertheit ist aus der hart herausgebogenen Geiernase zu diagnostizieren. Das sehr massige Ohr steht quer vom Kopfe ab. Als "Henkelohren" mit einer abnormen Ohrmuschelgliederung und einem viel zu großen Ohrläppchen interessieren sie den Kriminalanthropologen.

Das scharf geschnittene Profil und die kurz geschorenen Haare sind Eigenarten des nüchternen Verstandesmenschen. Ebenso plump wie die Gesichtszüge ist auch die Hand gebaut.

Im Pharisäer führt uns der Künstler einen Egoisten und Äusserlichkeitsmenschen vor Augen, dem ideale Handlungen, Opfer für andere und Begeisterungsvermögen für Gutes und Schönes unmöglich ist. Er ist vorwiegend von materiellen Interessen beherrscht und hat einen kleinen moralischen Horizont.

Ist im Antlitze Christi Hoheit und Reinheit der Gesinnung, so ist beim Pharisäer Niedrigkeit und Unsauberkeit desselben ausgeprägt.

Wie diese beiden Physiognomien, lassen sich auch andere Meisterwerke der bildenden Kunst auf ihren Ideengehalt hin objektiv analysieren. Dem Leser dürfte damit die Bedeutung und der Wert der Ausdruckswissenschaft für die Kunstforschung einleuchten.



Kunstphysiognomik
Peter Lips

Mit der Anwendung der Forschungsergebnisse der modernen Ausdruckswissenschaften für die Deutung von Werken der Malerei und Plastik beginnt ein neuer Zweig am Baume der Kunstwissenschaft zu grünen. Soweit der bildende Künstler seine Ideen durch die menschliche Gestalt ausdrückt, hat er durch den Gesichts- und Schädelbau, durch Mimik und Gebärden zu charakterisieren.

Darum muss zwecks der Formen- und Farbenanalyse die Typen-, Mimik-, Temperament-, Schädel- und Rassenlehre für das Verständnis der Kunstwerke dienstbar gemacht werden können. Mit Hilfe dieser Wissensgebiete muss eine Übereinstimmung in der Deutung des Ideengehaltes eines Kunstwerkes zu erlangen sein.

Der Mangel an Objektivität in dieser wichtigsten Aufgabe der Kunstforschung hat ihr mit Recht von naturwissenschaftlicher Seite Vorwürfe eingebracht. Freilich haben schon Archäologen und Kunsthistoriker sich die Forschungsergebnisse der Ausdruckswissenschaften zuweilen nutzbar gemacht.

Voran ging in dieser Methode Joachim Winkelmann, der Begründer der modernen Kunstwissenschaft.

Wie bei ihm, finden sich auch diesbezügliche zahlreiche Bemerkungen bei seinen Zeitgenossen Herder, Aloys, Fernow, Sulzer. Um die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts bricht die Tradition der Pflege der Physiognomik in Kreisen der Kunstgelehrten ab. Dies geschah wohl hauptsächlich unter dem Einfluß der materialistisch orientierten Ärzteschaft, welche die Physiognomik für unwissenschaftlich erklärte.

Die moderne Medizin hat inzwischen sich anders orientiert und baut auf grundlegende physiognomische Entdeckungen ihre Diagnose und Heilmethode auf.

Im Vordergrund steht die Gestaltpsychologie mit ihrer Typen- und Konstitutionslehre. Diese lässt sich auch nutzbar machen für die Kunstwissenschaft. Die Kunstgeschichte kennt eine ganze Reihe von Körperproportionsvorschriften, die als Kanon galten. Diese sind durch die Physiognomik als Fixierungen des jeweiligen Lebenswillens und der Geisteshaltung eines Volkes erkannt worden. Die Größenverhältnisse der Körperteile eines Kanons entsprechen typischen Körperkonstituionen. Als Proportionsideale waren sie gewißermassen der "Leittypus" einer Kulturepoche. Betrachten wir einige derselben aus der europäischen Stilgeschichte.

Der Leittypus der Romantik war untersetzt und mit breiten kräftigen Schultern, geradeausblickenden Augen, vollen üppigen Lippen und derben Zügen ausgestattet. Die Körperhaltung war gerade und aufrecht. Es war die Blütezeit des Rittertums und Feudaladels, des Minnegesanges und des Heldenliedes.

Siegfried, Hagen, Hildebrand, Roland usw. waren die Idealbilder jener Zeit. Für diese Epoche ist die Körperkonstitution des atheletischen, muskuklären, realpraktischen Typus Vorbild gewesen. Es war das Proportionsideal der Konstitution des "Bewegungs-Ernährungsmenschen". Dem Wollen dieser Zeit entsprechend waren die Kirchen, Häuser, Burgen gebaut: stabil, von geringer Höhe, widerstandsfähig und in der Breite betont.

War das romanische Proportionsideal unter der europäischen Durchschnittsgröße, die normaler Weise nach uralter Messung ca. acht bis neun Kopflängen misst, so war dasjenige der Gotik darüber hinausgehend verlängert. Das Proportionsideal des Überschlanken wurde Mode. Kopf- und Gesichtsorgane wurden lang und schmal gebildet. Dabei war die Gestalt feingliedrig, mit dünnen Lippen und einem nach oben gerichteten Blick ausgestattet. Bewegungsliebe und geistige Regsamkeit waren die Lebenselemente jener Tage. Ruhe und irdischen Lebensgenüssen war man feindlich gesonnen. Das proportionelle Ideal war das der gemischten Konstitution des "Bewegungs-Empfindungsmenschen". Entsprechend waren auch die Bauwerke der Gotik gerichtet: schlank, reich gegliedert, sehr hoch und von geringer Widerstandskraft. Man sieht, daß auch eine "Physiognomik der Baukunst" auf der Grundlage der Ausdruckswissenschaft möglich ist.

Nachdem die Gotik ihre Lebensideale überlebt hatte, fand man in der Renaissance sich wieder auf die Erde zurück. Für die Proportionsgeschichte ist es interessant, dass man in dieser Zeit die Normalgestalt des Menschen zu ermitteln suchte.


Albrecht Dürer (Hinzugefügt)

In Dürers Bemühungen fand dieses Streben seinen besten Niederschlag. Er lehrte nicht nur eine einzige Durchschnittsnorm, sondern arbeitete aus der Fülle der Lebens-wirklichkeit mehrere Grundkonstitutionen heraus. So zeichnete und beschrieb er u.a. die mittelgroße, korpulente breitmassige, dann die kleinere, zartgliederige und die große, körperkräftige Figur.

Vergegenwärtigt man sich, dass mit den Körpergestaltungen stets wiederkehrende Charakterartungen einhergehen, indem der zartgliederige Typus vorwiegend unter den geistig regsamen, feinfühligen Naturen zu finden ist, der große, körperkräftige Mensch zu energischer Bewegung und körperlicher Anstrengung neigt, und die breitmassige füllige Person zur Ruhe und Bequemlichkeit und reichlicher Ernährung strebt, so wird einem deutlich, warum Dürer seine Figuren zu gewissen Motiven den Künstlern zur Benutzung empfahl. Den Simson, Johannis, Christus und Maria sollte man nach diesen Vorbildern gliedern. Mit diesen theoretischen Leistungen, die er in seinen "Vier Büchern von der menschlichen Proportion" 1528 niederlegte, ist er ein Vorläufer der modernen Typenlehre. Sein Buch offenbart dem ausdruckswissenschaftlich Geschulten weit mehr, als man bisher erkannte.

Kommen wir auf unsere ursprüngliche Überlegung zurück, so entspricht dieses Interesse für mehrere Grundtypen dem Streben der Zeit nach Individualisierung und Typisierung. Das moderne Zeitalter dämmerte. Wie die Körperkonstitutionslehre für das Verständnis der Stilepochen nutzbar gemacht werden kann, so für die Enträtselung inidividueller Züge andere Zweige der Ausdruckswissenschaft

"Zinsgroschen" Tizians

Als Beispiel greifen wir aus der Fülle der Kunstschätze den berühmten "Zinsgroschen" Tizians heraus. Das Motiv dieser Malerei soll, durch indirekte Veranlassung Dürers, die Charakteristik zweier grundverschiedener Menschentypen durch die Physiognomie sein. Schönheit und Hässlichkeit, Adel und Minderwertigkeit sind in Formen und Farben einander krass gegenüber gestellt.

Das dritte Bild, das wahrscheinlich ein Selbstbildnis ist, gibt uns Leonardo als schöpferischen Psychologen zu erkennen, der aussprechen konnte: "Die Liebe zu einer Sache ist die Tochter der Erkenntnis, je tiefer die Liebe ist, um so inniger die Erkenntnis." Oder "Alle unsere Erkenntnisse haben ihren Ursprung in der Empfindung. Wo am meisten Empfindung, da ist das größte Leid!" Daß er selber schweres Leid erlebt hat, das zeigt uns dieses Antlitz, in das die Verbitterung und die Enttäuschung tiefe Spuren grub. Der verbissene Mundzug spricht Bitterkeit und die herabgezogene Stirnhaut Gram und Leid. Tief gekränkt wurde sein Gefühl, sein großer Geist durch die Menschen, daß er voll Verachtung sagen mußte: "Der Mensch ist der König der Tiere, der Herr aller Lebewesen, aber er ist der grausamste unter ihnen". Dieses Bild spiegelt so recht den großen Magier und die tragische Tiefe des Gewaltigen.

Wie seine Hände voll Güte den gefangenen Vögeln Freiheit gab, so befreite seine Genialität die Menschen von der Unfreiheit ihrer Ideen.


Leonardos "künstlerische neue Erfindungen"

Madonnen und vornehme Damen zeigten von da an bei vielen Malern Italiens die demütige Kopfhaltung und das seelenartige und selige Lächeln.

Leonardo nahm den heiligen Künstlern den letzten Rest kirchlicher Gebundenheit (Askese, Strenge) und zog sie ins Menschliche, um große und schöne menschliche Empfindungen an ihnen darzustellen. Die berühmte Entdeckung des Hell und Dunkel durch Leonardo da Vinci besteht in der Erkenntnis, dass die bisherigen Schattenreihen viel mehr ins graue gehen, als die bis dahin gebrauchten Pigmen und Abstufungen. Diese große Annäherung an die Naturwahrheiten die er dadurch erreichte, ist auch der Grund des ungewöhnlichen Ansehens, das Leonardo mit Recht gezollt wurde. (Ostwald) Er malte eine Reihe geheimnisvoller, durch das rätselhafte Lächeln ausgezeichnete Bilder. Leonardo gab den Menschen das Recht auf Sinnlichkeit und frohe Lebensgenüsse wieder. (Muther) Vorher kannte man keine sich küssende Kinder, saugende Bambinos, Mütter, die ihre Kinder küssen. Ihm allein danken wir fließende Umrisse, er brach mit der Tradition der eckigen Art der alten Schule. (Salomon Reinach)

Bessere Zusammenfassung mehrerer Personen zu einer Gruppe (Abendmahl).

Mit ihm beginnt die Hell-Dunkelmalerei.


Levitating Stone
(Hinzugefügt)
Mit ihm beginnt die Darstellung der Atmosphäre, die im Impressionismus ihre letzten Ausläufer gezeigt hat.

Höchste Anmut und Grazie. Gelenkig und doch Mass (in ihren Bewegungen). Reich im Aufbau doch ohne Prunk, von aus modellierten Formen nirgends zu viel oder zu wenig.

Keine Heiligenscheine gemalt, (die Heliodastrahlen nicht gesehen). Aber auch keine Kreuzigungsszene, keine Dornenkrönung. Keinen Mörder oder abstossende Formen.



Erstellt 1998. Update 24. April 2007
© Medical-Manager Wolfgang Timm
Fortsetzung

Die  Kronen symbolisieren die höhere Natur in jedem Menschen, sein individueller potentieller innerer Adel. Jedermann ist verpflichtet seinen inneren Adel nach Albrecht Dürer und Carl Huter zu heben. Peter Lips                                                                    Bearbeitung: Medical-Manager W. Timm
 
Das Abendmahl