Erster Akademischer Vergleich. 1977
 
Herausgegeben von Siegfried Kupfer, CARL-HUTER-VERLAG


Vorbemerkungen
© 2001-2008 W. Timm

Es ist wissenschaftshistorische Tatsache, dass ein zentraler Teil Huterscher Wissenschaften, nämlich die Dreitypenlehre oder die Naturelltypenlehre vom Nichtakademiker Carl Huter (1861-1912), erst 65 Jahre nach seinem Tod von einem Akademiker in staatlich beschützter Einrichtung mit zwei anderen Systemen verglichen wurde. Der Name der staatlich beschützten Einrichtung lautet: Max-Planck-Institut, München, Psychiatrische Abteilung am Klinischen Institut. Das Jahr 1977.

Professor Dr. med. u. Diplom-Psychologe Detlev von Zerssen. Carl Huter: Der Bauplan der Natur
Abb.: Professor Dr. Detlev von Zerssen, ausgezeichnet mit der Goldenen Kraepelin-Medaille 2006. Bild: Max-Planck-Gesellschaft

Verfasser, der diesen Vergleich durchführte, ist Herr Dr. med. und Diplom-Psychologe Detlev von Zerssen, Professor an der Universität München und Leiter der Psychiatrischen Abteilung am Klinischen Institut des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie in München. Eingrenzung des Vergleichs auf die Darstellung der Systeme Kretschmer und Sheldon in Vergleich mit der Dreitypenlehre von Carl Huter zum Thema "Konstitutionstypologische Forschung“

MAX-PLANCK-GESELLSCHAFT
Presseinformation
FP 42 / 2006 (183)
Goldene Kraepelin-Medaille geht an Detlev von Zerssen
International renommierte Auszeichnung für grundlegende Beiträge zur Entwicklung der quantitativen Psychopathometrie

Detlev von Zerssen

Im Jubiläumsjahr zum 150. Geburtstag von Institutsgründer Emil Kraepelin ehrt die Stiftung Deutsche Forschungsanstalt für Psychiatrie (Max-Planck-Institut für Psychiatrie) Professor Dr. Detlev von Zerssen für seine herausragenden wissenschaftlichen Leistungen in der Psychiatrie. Als klinisch verantwortlicher Arzt und Psychologe hat Detlev von Zerssen Grundlegendes in der Etablierung der quantitativen Psychopathologie geleistet. Im Rahmen einer akademischen Feierstunde am 2. November 2006 in München wird die Goldene Kraepelin-Medaille an Prof. von Zerssen verliehen.

Detlev von Zerssens wissenschaftliches Wirken konzentrierte sich stets auf die Ursachenklärung psychischer Erkrankungen. Er gilt als einer der Wegbereiter der psychiatrischen Schlafforschung, der Chronobiologie, der Therapieevaluation und der psychiatrischen Neuroendokrinologie.

In überzeugender Weise verband Detlev von Zerssen in seiner klinischen wie wissenschaftlichen Arbeit Psychiatrie und Psychologie, wobei er sich niemals scheute, die vorherrschenden Ansichten seines Faches kritisch zu hinterfragen. So widerlegte er 1966 mit seiner Habilitationsschrift zum Thema "Körperbau, Persönlichkeit und seelisches Kranksein. Beiträge zur Analyse psycho-physiologischer Habitusbeziehungen" die damals noch weit verbreitete Körperbaulehre des Psychiaters Ernst Kretschmer. Nach seiner Auffassung bestand ein Zusammenhang zwischen dem Körperbau und der Entwicklung psychischer Erkrankungen. Depressivität sollte etwa bei rundlichen Menschen mit reichlich Körperbehaarung auftreten, Schizophrenie eher bei schlanken, unbehaarten, hoch gewachsenen Menschen.

Detlev von Zerssen zeigte nicht nur die methodisch-statistischen Mängel in Kretschmers Untersuchungen auf, sondern führte empirische Studien und objektivierbare Messmethoden in der Psychiatrie ein. Detlev von Zerssens herausragende Leistung besteht in der Entwicklung der quantitativen Psychopathometrie. Durch die Etablierung der so genannten "Befindlichkeitsskalen" ermöglichte er eine standardisierte psychiatrische Diagnostik. Erst auf dieser methodischen Grundlage konnte eine kriteriengeleitete Klassifikation psychischer Erkrankungen und ihrer Verlaufsformen erfolgen. Die einheitliche psychopathologische Charakterisierung und die quantitative Bestimmung von Behandlungserfolgen stellen darüber hinaus die Voraussetzung von klinisch-psychopharmakologischen Prüfverfahren dar.

Detlev von Zerssen wurde im Oktober 1926 in Altona geboren und studierte Medizin und Psychologie in Hamburg und Tübingen. 1952 legte er zunächst die psychologische Diplomprüfung, 1953 das medizinische Staatsexamen und 1954 seine Promotion in Medizin ab. Seine berufliche Tätigkeit begann er an der II. Medizinischen Universitätsklinik Hamburg. Von 1960 bis 1966 setzte er seine psychiatrisch-neurologische Weiterbildung sowie die parallele psychotherapeutische Ausbildung an den Universitätskliniken Hamburg, Heidelberg und Zürich fort. Nach der Habilitation 1966 in Heidelberg übernahm Detlev von Zerssen die Leitung der Abteilung Psychiatrie des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie in München. 1973 erfolgte die Ernennung zum außerplanmäßigen Professor der Ludwig-Maximilians-Universität. Als Mitglied der Sachverständigenkommission zur Lage der Psychiatrie des Bundesministeriums für Jugend, Familie und Gesundheit ("Enquete-Kommission") leistete Detlev von Zerssen in den 1970er Jahren einen bedeutsamen Beitrag zum gesellschaftlichen Selbstverständnis und der Entwicklung der Psychiatrie in Deutschland.

Im Rahmen einer akademischen Feierstunde anlässlich des 150. Geburtstages des Institutsgründers Emil Kraepelin (1856 - 1926) wird Detlev von Zerssen die Goldene Kraepelin-Medaille verliehen. Die Laudatio hält Florian Holsboer, Direktor des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie. Detlev von Zerssen spricht in seinem Festvortrag zum Thema: "Ein halbes Jahrhundert erlebter Psychiatriegeschichte".

Hintergrundinformation zur Goldenen Kraepelin-Medaille
Die Goldene Kraepelin-Medaille wurde 1928 anlässlich der Eröffnung des Institutsgebäudes der Deutschen Forschungsanstalt für Psychiatrie, dem heutigen Max-Planck-Institut für Psychiatrie, in Erinnerung an Emil Kraepelin gestiftet. Die Auszeichnung wird von der Stiftung Deutsche Forschungsanstalt für Psychiatrie etwa alle fünf bis zehn Jahre für herausragende wissenschaftliche Leistungen auf den Gebieten der Psychiatrie oder der zugehörigen Grundlagenforschung verliehen. Die Auswahl des Preisträgers trifft ein internationales Komitee unter dem Vorsitz des jeweiligen Geschäftsführenden Direktors des Instituts und dem Ordinarius für Psychiatrie der Ludwig-Maximilians-Universität. Die letzten Preisträger waren 1992 Jules Angst, Zürich/Schweiz; 1997 Arvid Carlsson, Göteborg/Schweden und 2003 Hanns Möhler, Zürich/Schweiz. Die Goldene Kraepelin-Medaille zählt heute auch international zu den angesehensten wissenschaftlichen Auszeichnungen der Medizin.
[BM]
Kontakt:
Dr. Barbara Meyer, Referentin für Öffentlichkeitsarbeit
Max-Planck-Institut für Psychiatrie, München


Es folgt Auszug aus der Gedenkschrift zum 25. Todestag vom bedeutsamsten Schüler Carl Huters, nämlich Amandus Kupfer (1879-1952) durch seinen Sohn Siegfried Kupfer.


Amandus Kupfer - Vorkämpfer

Amandus Kupfer, - er starb dann im Frühjahr 1952 - konnte gerade noch sein damals weit bekannt gewordenes Flugblatt über die neuerliche Nachentdeckung der Naturellehre durch einen amerikanischen Professor herausgeben. Abb. zeigt die Vorderseite dieses Flugblattes, das zunächst noch von Amandus Kupfer, dann von mir in ca. 50.000 Exemplaren verbreitet wurde und welches von mir ins Thema großer öffentlicher Vorträge aufgenommen wurde, wie Abb. 24 zeigt, ein Vortragsplakat für Stuttgart, Januar 1952. Dieser Stuttgarter Vortrag war von über 600 Personen besucht und wurde von den großen Stuttgarter Tagesblättern wohlwollend rezensiert.

    
Flugblatt „100.000 Dollar von der Rockefeller-Foundation Wofür?. Hrsg. Amandus Kupfer 50er Jahre
Dieses Flugblatt wurde Herrn Bürgermeisterschaper i.A. J. Kupfer von Herrn W. Timm am 5.9.2002 vor Ort übergeben. 

Zusätzlich darf auch an die Tätigkeit zahlreicher weiterer Huter-Freunde erinnert werden, welche seine Lehre im Verlauf vieler Jahrzehnte im gesamten deutschen Sprachraum mit bekannt machten und sich dabei vor allem - neben den Huterschen Originalschriften - auf die systematisch aufgebauten Lehrbücher von Amandus Kupfer stützen konnten.

All das tat seine Wirkung, der Name CARL HUTER trat immer häufiger auf, insbesondere in allgemeinen, aber auch in medizinischen und psychologischen Nachschlagewerken und Fachbüchern. 

Heute ist darüber hinaus ein Kapitel im 1. Band "Grundlagen der Menschenkenntnis" 25. Auflage 1976, dem Vergleich der Huterschen Naturellehre mit Nachentdeckungen, vor allem dem Sheldonschen System, gewidmet. 

Dabei ist auch das Hutersche kreisförmige Naturellschema einer ähnlichen Konstruktion Sheldons gegenüber-gestellt und beide eingehend erläutert, so dass es gar keinen Zweifel darüber geben kann, woher die Grundideen Sheldons stammen. 

Wer sich mit dem Gebiet beschäftigt, muss auch auf Huters Namen stoßen. Man darf sagen, dass damit das ursprüngliche Ziel von AMANDUS KUPFER, mit dem er 1908 mit seinen ersten wissenschaftlichen Demonstrationsvorträgen antrat, die Naturellehre Huters populär zu machen und in den Schulen einzuführen, heute in einem gewissen Umfang erreicht ist. 

Die Lehre von den drei Grundkonstitutionstypen dürfte auf dem Lehrplan der einschlägigen Fakultäten aller Universitäten stehen. Allerdings wird der hohe praktische Wert, welcher in der Naturellehre Huters liegt und das gesamte Gesellschafts-, Staat s- und Völkerleben einst wohltuend reformieren wird, von den Systemen Kretschmers oder Sheldons nicht erreicht .

Diese bieten Ansätze, habe die Grundzüge der neuen Lehre übernommen, mehr nicht .

Es dauerte weitere 25 Jahre - von 1952 an gerechnet - bis von hervorragender schulwissenschaftlicher Seite eine erste sachliche Gegenüberstellung der Huterschen mit der Kretschmerschen und der Sheldonschen Typenlehre erfolgte.



Die Psychologie des 20. Jahrhunderts

In einer neuen, großen psychologischen Enzyklopädie, Gesamttitel: "Die Psychologie des 20. Jahrhunderts", die einmal 15 Bände mit ca. 16.000 Seiten umfassen soll, ist in Band V, 1977, eine umfangreiche Arbeit über "Konstitutionstypologische Forschung" enthalten. Verfasser ist Dr. med. und Dipl. Psychologe Detlev von Zerssen, Professor an der Universität München und Leiter der Psychiatrischen Abteilung am Klinischen Institut des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie in München.

Bemerkenswerterweise beschränkt sich v. Zerrsen in dieser Abhandlung auf die Darstellung der Systeme Kretschmer und Sheldon, obwohl diese weitgehende Übereinstimmung haben. Beide Systeme aber stellt er in Vergleich mit der NATURELLTYPEN LEHRE von CARL HUTER. 

Bei der Überprüfung der Kretschmerschen Konstitutionslehre (s. v. Zerrsen "Typenvergleich", S. 584) kommt er zu dem Ergebnis (Zitat): "Das (Kretschmersche) System normaler Typen der psycho-physischen Total-konstitution entspricht aber am stärksten der ‚Naturellehre‘ des deutschen Popularphysiognomikers Huter (1861-1912); vgl. HUTER, Illustriertes Handbuch der Menschenkenntnis, 5. Auflage 1952, Schwaig bei Nürnberg" (Zitatende).

Nachdem v. Zerrsen Kretschmer abgehandelt und mit Huter in Vergleich gestellt hat (Die Lehre Kretschmers entspricht am stärksten der Lehre Huters!), kommt er zu der Konstitutionstypologie des US-Amerikaners Sheldon. 

Ebenfalls in dem Abschnitt "Typenvergleich" kommt v. Zerrsen (S. 594) zu dem Ergebnis (Zitat): "Eine Ent-scheidung über den historischen Entstehungsprozeß der Sheldonschen Typenlehre wird man kaum noch treffen können. Wie dieser Prozess aber auch verlaufen sein mag - sein Resultat mutet an wie eine Wiedergeburt der Naturellehre Huters; vgl Huter, Illustriertes Handbuch der Menschenkenntnis, 5. Auflage 1952, Seite 94..., HUTER sprach von einem ‚Bewegungsnaturell‘, während er den zartwüchsig - empfindsamen Typus als ‚Empfindungsnatuell‘ und den rund wüchsig - geniesserischen als ‚Empfindungsnaturell‘ bezeichnet. Seiner (Huters) Typenkonzeption liegt die gleiche Keimblatt-Theorie zugrunde, wie sie von Sheldon vertreten wird. Zu dieser wollen wir später kurz Stellung nehmen . 

Hier sei nur darauf hingewiesen, dass auch HUTER - ebenso wie Sheldon - eine unharmonische Mischung der von ihm als Naturelle bezeichneten Komponenten des psycho-physischen Habitus beschrieben hat. Er brachte sie mit einer Neigung zu kriminellem Verhalten in Verbindung. Insbesondere sei aber hervorgehoben, dass bezüglich der psychologischen Charakteristik des derbwüchsig - athletischen Habitus die Hutersche Naturellehre nur mit Sheldons Konzeption von der‚somatonen Extraversion‘ mesomorpher Individuen übereinstimmt, während eine krasse Diskrepanz gegenüber der Schilderung besteht, die Kretschmer und Enke (1936) von der angeblich mehr intro- als extravertierten, als‚ viskös‘ charakterisierten Wesensart der Athletiker gegeben haben. 

Die Tatsache, dass gerade die Korrelation zwischen Somatonie und Mesomorphie in quantitativen typo-logischen Analysen, die eine subjektive Verfälschung der Ergebnisse durch den Untersucher ausschliessen, prinzipiell bestätigt werden konnten (Chield 1950; v. Zerrsen 1965), während ein ähnlich angelegter Versuch, die Beziehungen zwischen viskösem Temperament und athletischem Körperbau nach zu weisen, fehlgeschlagen ist (v. Zerrsen 1965), spricht dies bezüglich eindeutig zugunsten der Konzeption von HUTER und Sheldon. Wenn auch die Typologie Sheldons insgesamt der Huterschen stärker entspricht als der von Kretschmer, stimmt sie doch auch mit dieser in vielen Punkten überein" (Zitatende).


Insgesamt kommt v. Zerrsen damit bei seinem Typenvergleich (er erwähnt HUTER noch mehrfach) zu dem Ergebnis, dass die Lehre Kretschmers am stärksten der von Huter entspricht, und dass die Typologie Sheldons insgesamt der von HUTER stärker entspricht als der von Kretschmer - eine bemerkenswerte Untersuchung und ein beachtenswertes Ergebnis.

Wenn man bedenkt , dass Huters wichtigste Veröffentlichung (sein Hauptwerk 1904-06) 15 Jahre vor der Kretschmers und 35 Jahre vor der Sheldons erfolgte, und dass seine Naturelltypenlehre durch ihn selbst, durch seine Schüler und Anhänger ganz intensiv verbreitet worden ist, so erscheint es fast unglaublich, dass dies solange übergangen worden ist. 

Um so höher ist das Verdienst v. Zerrsens zu bewerten. 

Levitating Stone
(Hinzugefügt)

Als besonders bemerkenswert an der Arbeit v. Zerrsen ist ferner hervorzuheben, dass er die Typologien Kretschmers und Sheldons in ihrer Gesamtkonzeption nur mit den Entdeckungen eines dritten konstitutionstypologischen Forschers vergleicht , mit denen Carl Huters -

Ende Akademischer Vergleich



Erstellt 1999. Update 26. Dezember 2007
© Medical-Manager Wolfgang Timm
Fortsetzung

Die  Kronen symbolisieren die höhere Natur in jedem Menschen, sein individueller potentieller innerer Adel. Jedermann ist verpflichtet seinen inneren Adel nach Albrecht Dürer und Carl Huter zu heben. Der gute Menschenkenner Nr. 1-6/1979 25. neuer Jahrgang
 
Die Dreitypenlehre