Albrecht Dürer: Lehrbuch der Malerei                        Fortsetzung

Albrecht Dürer: Lehrbuch der Malerei
Entwürfe

1. Vorrede und Inhaltsangabe

Jhesus Maria.

Durch Gottes Gnod und Hilif zu Dienst allen Kleinen, die do gehren zlernen1. Den sei hernoch aufgeton alles dasgen2 durch mein Übung erfahren hab, dienend zum Molen. Auch ob sie durch mein Hilf möchten, daß denn der Suchent, so er geneigt dorzu ist, wohldann3 mag weiter kummen in höherem Verstand solicher Kunst. Wann mein Vernunft ist nit gnugsam, zu ergründen diese große weitreichende unendliche Kunst des rechten Molens.

Item daß du gründlich und recht mügst verstehn doraus zu lernen, was ein künstreicher Moler geheißen werd oder sei, will ich dich berichten und anzeigen. Wann oft entbirt4 das Erdrich zwei oder dreihundert Johr, daß kein solicher künstreicher Meister gefunden wird, viel durch Verhindrung, daß diejenen, so dorzu tüglich wären, nit dorzu verfügt sind. Auch merk drei namhafter Hauptpunkten nochfolgend, die zu einem soliden kunstreichen rechten Maler gehören.

Das sind drei Hauptpunkt des ganzen Buchs.

Item der erst Teil des Buchs ist die Vorred. Item die Vorred beschleußt in ihr drei Teil.

Item der erst Teil seit5 uns, wie der Knab erlesen und der Geschicklichkeit seiner Kumpex achtgenummen soll werden6. Geschicht in sechserle Weis.

Item der ander Teil seit, wie der Knab mit Gottsforcht und Behutsamkeit auferzogen soll werden, dodurch daß er Gnod erlang, domit er in verständiger Kunst erstark gewaltig werd. Geschicht in sechserle Weis.

Item der dritt Teil seit uns von der großen Nutzberkeit, Lust und Freid des Molens, die dovon entspringt. Geschicht in sechserle Weis.

Item das ander Teil des Buchs ist die Verführung7 des Molens. Das ist auch in dreierle Weis.

Item der erst Teil seit von der Freiigkeit8 Molens, in sechserle Weis.

Item der ander Teil seit von der Messung der Menschen und Gebäu und was Notdorft zum Molen ist, in sechserle Weis.

Item der dritt Teil seit von allem dem, das man siech, schildt sich eins Teils ab9, das zu machen. In sechs Weis.

Item das dritt Teil des Buchs ist die Beschließung. Und hat auch drei Teil.

Item der erst Teil seit, an was Ort ein solicher Künstner sein soll, do er sein Kunst verbringen10 mag. In sechserle Weis.

Item der ander Teil seit, wie ihm ein sölicher überschwänklicher Künstner sein Künst teuer söll lassen zahlen, und kein Geld ist zuviel dorfür, och ist es göttlich und recht. In sechserle Weis.

Item der dritt Teil seit von Lob und Danksagung Gottes, dem er sein Gnod also verleicht und ander Leut von seintwegen.

Geschich in sechserle Weis.

Der erst Teil der Vorred seit.

Zum ersten, daß man des Jungen Geburt acht soll haben, in was Zeichen11, mit etlichen Erklärungen. Bitt Gott um ein glückhaftige Stund.

Zum anderen, daß man seiner Geschtalt und Gliedmoß achnehm12, mit etlicher Verklärung.

Zum dritten, wie man ihn zu der Lernung anfänglich unterweisen söll, mit etlicher Verklärung.

Zum vierten, daß man acht hab, ob mit güten Lob oder Scheltung der Knab am besten zu lehren sei. Mit Verklärung.

Zum 5., daß der Knab in Lust zu lernen behalten werd und ihn nit urtützig13 mach.

Das sechst, ob sich der Jung zu viel übte, dovan ihm die Melecolei überhand mocht nehmen, daß er durch kurzwelich Saitenspiel zu lehren dovon gezogen werd zu Ergesetzlichkeit seins Geblüts14.

Der ander Teil der Vorred seit.

Zum ersten, daß der Knab gezogen werd auf die Gottsförcht, von Gott zu begehren die Gnod der Subtilität15 und Gott ehren.

Das ander, daß er mäßig gehalten werd mit Essen und Trinken, desgeleichen mit Schlofen.

Zum dritten, daß er ein lüstige16 Wohnung hab, do er durch keinerlei Hindernüs geirrt werd.

Zum vierten, daß er behüt werd vor fräulichem Geschlecht, nit bei ihm wohnen loß, daß er keine bloß sech oder angreif und sich vor aller Unlauterkeit behüt. Kein Ding schwächt die Vernunft mehr denn Unlauterheit.

Zum fünften, daß er wohl lesen und schreiben künn und mit dem Latein auferzogen werd, zu verstehn etlich Geschrift.

Zum sechsten, daß ein solicher das Vermügen hab, mit Verlegung solichem auszuwarten und sein wahrgenummen werd mit Erzei, so ers bedraf17.

Das dritt Teil der Vorred seit.

Zum ersten, es ist ein nütze Kunst, wann sie ist göttlich und würd gebraucht zu guter helger18 Vermahnung.

Zum anderen ist sie nütz. Viel Übels gwürd dordurch vermieden, so man in Künsten umgeht, die
sunst gschehen, so man feirt.

Zum dritten ist sie nütz, wann niemand glaubt, dann so man mit umgeht, daß in ihr selbs so freudenreich ist19; große Freud hat sie.

Zum vierten ist sie nütz, man erlangt großer und ewiger Gedächtnüs dorvon, so mans ordenlich
braucht.

Zum fünften ist sie nütz, wann Gott wird dordurch geehrt, wo man sicht, daß Gott einer Kreatur solich Vernunft verleicht, der soliche Kunst in ihm hat, und alle Weis20 werdn dir hold um dein Kunst.

Die sechst Nutzberkeit, ob du arm wärst, so magstu durch ein solich Kunst zu großem Gut und Hab kummen.


2. Von der Malerei und von der Schönheit

Van der Molerei

Item wer ein Moler will werden, der muß van Natür dorzu geschick sein.

Item die Kunst des Malens würd baß durch Lieb und Lust gelernt dann durch Zwang.

Item aus welchem ein großer künstreicher Moler soll werden, der muß ganz van Jugend auf darbei erzogen werden.

Item er muß van guter Werkleut kunst erstlich viel abmachen, bis daß er ein freie Hand erlangt.

Item was gemalt heiß.

Item Malen ist das, daß einer van allen sichtigen Dingen eins, welches er will, wiss auf ein eben Ding zu machen, sie seien wie sie wöllen.

Item es ist bequem, ein idlichem ein menschliche Gestalt zum ersten Lehren austeilen21 und in ein Maß
bringen, eh man etwas anderst lerne.

Item dorum will ich ein Weg für mich nehmen auf das leichtest so ich kann, und ganz nix verbergen, wie man ein menschlich Maß teilen söll. Und ich bitt auch alle die, die in solcher Kunst begründt sind und das mit der Hand wissen anzuzeigen, daß sie das wöllen klar an Tag bringen, nit durch lang schwer Weg gehn.

Ich mein, ich wöll hie ein klein Feuerle anzünden. So ihr all Mehrung mit künstlicher Bessrung darzu tüt, so mag mit der Zeit ein Feuer daraus geschürt werden, das durch die ganz Welt leucht.

Item ein idlicher, der mich hört, der untersteh in seinem Werk diese mein Meinung zu besseren, so würd noch viel Künst gefunden und beschrieben zu Besserung dem Malen.

Item je genäuer man der Natur geleich macht, je besser das Gemäl zu sehen ist.

Item vor viel hundert Johrn sind etlich groß Meister gewest, dovan Plinius schreibt22, als der Apelles, Prothtogines, Phidias, Praxidiles, Politeklus, Parchasios und die anderen. Der etlich haben künstliche Bücher beschrieben van der Molerei, aber leider, leider, sie sind verloren. Dann sie sind uns verborgen und manglen23 ihrer großen Sinnreichkeit.

Item ich hör auch nichts, das unser itzig Meister machen und beschreiben und aus lassen gahn. Kann nit gedenken, was der Mangel sei. Doch so will ich das wenig, das ich gelernt hab, so viel ich mag, an Tag lassen kummen, auf [daß] ein Besserer dann ich bin, sein errät und mich um mein Irrtum mit seinem gegenwärtigen Werk beweislich strof. Des will ich mich freuen, und dorum daß ich dannocht ein Ursach bin, daß solche Wohrheit an Tag kummt.


Van Schönheit

Item es geziemt einem Moler, so ein Bild in seinen Gewalt gesetzt würd zu machen, daß er dasselb auf das schönest mach, so er kann. Was aber die Schönheit sei, das weiß ich nit. Idoch will ich hie die Schönheit also für mich nehmen: was zu den menschlichen Zeiten van dem meinsten Teil schön geacht würd, des soll wir uns fleißen zu machen.

Item der Mangel an eim idlichen Ding ist ein Gebrech. Dorum zu viel und zu wenig verderben alle Ding.

Die vergleichlichen Ding, eins gegen dem anderen24, sind schön, und das Unnütz ist zu vermeiden. Aber der Nutz ist ein großer Teil der Schönheit. Es ist ein große Vergleichung zu finden in ungeleichen Dingen. Aber daß man wiss, was unnütz sei, so ist Hinken unnütz und viel dergeleichen. Dorum ist Hinken und desgleichen nit schön.

Item die schönen Ding zu erforschen, dorzu dient wohl ein guter Rat25. Doch soll derselb genummen werden van den, die do gut Werkleut sind mit der Hand. Dann den anderen Ungelernten ist es verborgen wie di[r] ein fremde Sprach. Doch das mag ein idlicher tan, der ein Werk gemacht hat, dasselb fir den gemein Mann stellen und sie lassen urteilen. Die ersehen gewahnlich das Ungeschicktest26, wiewohl sie das Gut nit erkennen. So du dann ein Wahrheit hörst, so magstu dann dein Werk darnoch besseren. Item es ist mäncherlei Unterschied und Ursach der Schöne. Wer die in seinem Werk beweisen kann, dem ist dest baß zu gelauben. Dann welches Werk kein Brechen27 hat, das ist schön.

Item es möcht sich begeben, daß gesprochen würd: Wer will allbeg die Mühe und Erbet haben, wie nachmals28 beschrieben würd, mit Verzehrung langer Zeit, bis daß man ein einig Bild macht. Wie wollt dann einer tan, der oft auf ein Tafel zweihunderte muß machen und d[er] keins dem anderen gleich? In diesem ist mein Meinung nit, daß ein idlicher allbeg sein Leben lang messen soll. Aber dorzu ist dies Nochschreiben29 gut, so du solchs gelernt hast und wohl auswendig kannst, das dich wissenhaft macht, wie ein Ding sein soll. Dann ob dich dein Händ in der freien Erbet verführen wöllen durch die Schnelligkeit der Erbet, so werd dir dann dein Verstand durch ein recht Augenmoß und durch die gewandt Kunst, daß du gar wenig fehlst, und macht dich gewaltig in deiner Erbet und benimmt dir die großen Irrtum und erscheint allbeg dein Gemäl der Gerechtigkeit gemäß. Aber so du kein rechten Grund hast, so ist es nit mügen30, daß du etwas Guts machst, du seiest der Hand so frei als du wöllest.

Item durch ein rechte Kunst würstu in deiner Erbeit viel geherzter31 und fertiger dann sunst.

Item so du gelehrt würdest, durch was Mittel ein menschlich Bild zu messen s[e]i, so würd dir das dienen, zu was Geschicklichkeit der Menschen32 du wilt. Dann es sind viererlei Kumplex33 der Menschen, wie dich des die Physici34 berichten künnen. Dieselben all magstu ermessen durch die Mittel, die hernoch gesetzt werden.

Item dir würd nottan, daß du viel Menschen abmalst und das Allerschönest aus allen nehmest und fermest35 und das in ein Bild bringest. Wir müssen große Acht haben, daß sich die Ungestalt nit stetig van ihr selbs in unser Werk flecht.

Item es ist nit müglich, daß du ein schön Bild van einem Menschen allein kann[st] abmachen. Dann es lebt als kein schön Mensch auf Erd, er möcht allbeg noch schöner sein. Es lebt auch kein Mensch auf Erd, der sagen noch anzeigen kann, wie die schönest Gestalt des Menschen möcht sein. Niemands weiß das dann Gott, die Schön36 zu urteilen. Dovon ist zu rotschlagen37, noch Geschicklichkeit muß man sie in ein idlich Ding bringen. Dann wir sehen in etlichen Dingen ein Ding für schön an, in eim anderen wär es nit schön. Unterschiedliche Ding, die beede schön sind, sind nit leichtlich zu erkennen, welches schöner sei.

Item aus viel Stücken geklaubt, aus viel schöner Menschen, mag etwas Guts gemacht werden.

Item du söllt auch nit meinen, daß mein nachfolget Beschreiben und Messen hoch van mir gelobt werd, wiewohl ichs auch nit schelten will. Ich halt auch nit, das die ärgest Meinung söll sein. Sie muß auch nit eben also sein und nit anderst. Aber du magst sie anderst doraus machen, wie sie dir gefällt. Und dorum will ich auch nachmals Weg setzen38, wie du all Ding deines Gefallens verkehren magst und dardurch besser Werk erfinden. Doch nehm ein idlicher mein Meinung für gut, bis daß er wahrhaftiglich mit einem Besseren unterricht werd.

Item durch Messen magstu erfinden zu machen allerlei Gestalt der Menschen, zornig oder gütig, erschrocken oder freudenreich, und dergeleichen, wie da die Zufäll kummen39.

3. Vom Maß der menschlichen Gestalt

Von der Gliedmoß des Menschen

Vitrufius der alt Baumeister, den die Römer zu großem Gbäu braucht haben, spricht40: Wer do bauen woll, der soll sich verrichten auf der Geschicklichkeit des Menschen41, wann aus ihm würd funden gar verborgne Heimlichkeit der Moß42.

Und dorum so will ich, eh ich sag vom Gebäu, erzählen, wie ein wohlgestalter Mensch mag sein. Dornoch ein Beibsbild, ein Kind und ein Roß43. Auf solich Weg magstu beiläufig all Ding messen.

Und dorum hör zum ersten, was do spricht Fittruvius von der menschlichen Gliedmoß, die er gelehrt hat von den großen Meisteren, Moler und Gießer, die hochberühmt sind gewest. Die haben gesprochen, daß der menschlich Leib also sei44:

Daß das Angsicht von Kinn bis aufhin, do das Hoor anfächt, sei der 10 Teil des Menschen. Und ein ausgestreckte Hand s[e]i och so lang. Aber der Kopf des Menschen sei ein Achtteil, ein 6 Teil von der Höhe der Brust bis hinauf, do das Hoor anfächt, und vom Haar bis zum Kinn in 3 Teil geteilt, im obersten die Stirn, im anderen die Nas, im dritten der Mund mit dem Kinn. Auch ein Fuß45 sei ein 6 Teil eins Menschen, ein Ellbogen ein 4 Teil, die Brust46 ein 4 Teil.

Bild 1

Solich Gliedmoß teilt er alle in die Gebäu und spricht: Wenn man ein Mensch auf die Erd ausgebreit mit Händen und Füßen [n] iederlegt und ein Zirkel in den Nabel setzt, so rührt der Umschweif Händ und Füß. Domit bedeut er zu finden ein runden Bau aus der menschlichen Gliedmaß

Und zu gleicher Weis findet man auch ein Vierung, wenn man mi[ß]t von den Füßen bis zu dem Höchsten, so ist die Klofter eben als breit als die Läng. Domit erweist er die gevierten Bäu. Und also hat er zammenbrocht die Glieder der Menschen in ein vollkummne Zahl des Gebäus in solicher bewährlicher Ordnung, daß sie weder die Alten noch die Neuen nit verwerfen künnen. Und wer do will, der les ihn, wie er die besten Ursach des Gebäus anzeicht.

Bild 2


4. Von der Notwendigkeit neuer Lehrbücher

Plinius schreibt, daß die alten Moler und Bilhauer, als Abelles, Protognes und die anderen, haben gar künstlich beschrieben, wie man ein wohlgestalte Gliedmoß der Menschen soll machen.

Nun ist wohl müglich, daß solche edle Bücher seien im Anfang der Kirchen verdrückt47 und ausgetilgt worden um Haß der Abgötterei willen. Dann sie haben gesagt: Der Jupiter soll ein solche Proporz haben, der Abbollo ein andre, die Fenus soll also sein, der Ercules also, desgleichen mit den andren allen. Sollt noch meinem Zufall ihm also sein und wär dieselb Zeit entgegen gewest48, so hätt ich gesprochen: »O liebn heilgen Herren und Väter, um des Bösen willen wöllt die edlen erfundenen Kunst, die do durch groß Mühe und Erbet zusammenbracht ist, nit so jämmerlich töten. Dann die Kunst ist groß, schwer und gut, und wir mügen und wöllen sie mit großen Ehren in das Lob Gottes wenden.«

Dann zu gleicher Weis, wie sie die schönsten Gestalt eines Menschen haben zugemessen ihrem Abgott Abblo49, also wollen wir dieselb Moß brauchen zu Crysto dem Herren, der der Schönste aller Welt ist. Und wie sie braucht haben Fenus als das schönste Weib, also woll wir dieselb zierlich Gestalt kräuschlich50 darlegen der allerreinesten Jungfrauen Maria, der Mutter Gottes. Und aus dem Erculeß woll wir den Somson51 machen, desgeleichen wöll wir mit den andern allen tan.

Solcher Bücher hab wir aber nimmer, und dorum, so ein verlorn Ding unwiederbringlich ist, alsdann muß man noch eim anderen trachten. Sölchs hat mich bisher bewegt, daß ich unterstanden hab mein nochfolgete Meinung fürzulegen, auf daß, so es etlich lesen, ihm weiter nochdenken, und daß man täglichs zu einem näheren und besseren Weg und Grund kümmen müg. Und will aus Maß, Zahl und Gewicht52 mein Fürnehmen anfohen. Wer Achtung dorauf hat, der würds hernoch also finden.




5. Sinn der Proportionen für den Künstler

Dorum hab ich ihm nochgedocht und find, daß man die menschlichen Bild53 auf das genäuest soll messen. Dann aus derselben vielen mag man wohl etlich hübsche Ding zusammen in eins verfügen. Dann durch die Moß, so die recht gebraucht würd, mag ein idlich Ding künstlich gemacht werden.

Soliche Maß will ich nun in mein Fürnehmen ziehen und anzeigen, wie man ein menschlich Bild van auswendiger Gestalt54 müg messen, doraus die Maler, Bildhauer oder die van Metall gießen, sie machen van Holz, Stein oder anderen härten Dingen, in ihren Nutz wenden mügen, aber zu Einführung und Bericht55.

Item alle die Läng oder Höch, do die Glieder sind oder andere Zeichen derart eins idlichen Dings, das will ich mit Linien anzeigen.




6. Vom Nutzen des Wissens

Etwas künnen ist gut. Dann dardurch werd wir destmehr, vergleicht der Bildnüs Gottes56, der alle Ding kann. Dorum der do untersteht, zu müßiger Zeit etwas zu lernen, Gott zu ehrn und ihm zu Nutz, der tut wohl.

Etwas künnen ist fast gut. Dann dardurch werd wir destmehr vergleicht der Bildnüs Gottes, der alle Ding kann. Wir künnten gern viel. Dann es ist uns van Natur eingossen, daß wir geren viel weßten, dordurch zu erkennen ein rechte Wahrheit aller Ding. Aber unser blöds Gemüt kann zu solicher Vollkummenheit aller Künsten, Wahrheit und Weisheit nit kummen. Doch sind wir nit gar ausgeschlossen van aller Weißenheit. Woll wir durch Lernung unser Vernunft schärpfen und uns dos einüben, so mügen wir wohl etlich Wahrheit durch recht Weg suchen, lernen, erkennen, erlangen und darzu kummen.

Dorum der do untersteht zu müßiger Zeit etwas zu lernen, darzu er sich am allergeschicktesten find, Gott zu ehren, ihm selbs und anderen zu Nutz, der tut wohl. Wir wissen, daß ihr viel mäncherlei Künst erfahren und ihr Wohrheit angezeigt haben, das uns itz zugutkummt. Dorum tut der auch wohl, der do ander Leut lernt und unterweist, das er gelernt hat. Dann er braucht sich des göttlichen Willens, der uns all unser Künnen mitteilet. Es ist nit bös, daß der Menschen viel lernt, wiewohl etlich grob darwider sind, die do sagen, Kunst mach hoffärtig. Sollt das sein, so wär niemand hoffärtiger dann Gott, der alle Kunst beschaffen hat. Das kann nit sein. Dann Gott ist das allerbest Gut. Dorum wer do viel lernt, der würd so viel besser und gewinnt destmehr Lieb zun Künsten. Deshalb ist es billich, daß sich der Mensch nit versäum und zu bequemer Zeit etwas leren. Man find etlich, die nichts künnen und wollen auch nichts lernen, verachten die Künst, sagen, daß etlich Künst ganz bös sind. Ich sag aber, daß all Künst gut sind, auch die, die man zu Bösem brauchen mag. Dann ist der künstlich Mensch frumm aus Natur, so meidet er das Bös und würkt das Gut. Dorzu dienen die Künst, dann sie geben zu erkennen Guts und Bös. Etlich Menschen mügen van allerlei Künsten lernen, aber das ist nit einem iden geben. Idoch ist kein vernünftig Mensch so grob, er mag etwan ein Ding lernen, darzu ihn die Lieb am höchsten trägt. Aus solchen Ursachen ist niemand entschuldigt, etwas zu lernen. Dorum wer imands unterweist und fürmacht, dovan man lernen mag, das zu gemeinem Nutz not ist und dordurch niemand zwungen würd, das Besser zu vermeiden, das ist gut, das mag man hören, sehen und vernehmen.

Nun erkenn ich: Es ist not, daß wir all lernen und das getreulich unseren Nochkummen mitteilen. ... wiewohl etlich grob Menschen die Künst hassen, türn57 sagen, sie gebär Hoffart. Das kann nit sein. Dann Kunst gibt Ursach der demütigen Gutwilligkeit. Aber gewahnlich die nichts künnen, wöllen auch nichts lernen, verachten der Künst, sagen, es kumm viel Übels darvan und etlich seien ganz bös. Das kann aber nit sein. Dann Gott hat alle Kunst beschaffen, dorum müssen sie all genadenreich, voll Tugend und gut sein. Dorum halt ich all Künst für gut. Ein Schwert, das scharpf und güt ist, mag das nit zum Gericht oder Mord gebraucht werden? Ist dorum das Schwert besser oder böser? Also in den Künsten. Der Mensch van guter frummer Natur würd gebessert durch viel Künst. Dann sie geben zu erkennen das Gut aus dem Bösen. Dorum halt ich für gut, daß einer sein selbs achthab, warzu er am geschicktesten sei, daß er dasselb untersteh zu lernen.


7. Lob der Malerei

Salus 1512

Etwas zu sagen, das mehr nütz dann schad ist und das Besser nit verhindert, das mag man hören. Dorum wer do wöll, der hör und sech, was ich mach. Dann die Begierd der Menschen mag aller zeitlichen Ding durch Überfluß also fast gesättigt werden, daß man ihr ürdritz58 würd, allein ausgenummen viel zu wissen, des würd niemands verdrossen. Es ist uns von Natur eingegossen, daß wir geren viel weßten, dordurch zu bekennen ein rechte Wahrheit aller Ding. Aber unser blöd Gemüt kann zu solcher Vollkummenheit aller Künstn, Wahrhseit und Weisheit nit kummen. Doch sind wir nit gar ausgeschlossen van aller Weisheit. Wöll wir durch Lernung unser Vernunft schärpfen und uns dorin üben, so mügen wir wohl etlich Wahrheit durch recht Weg suchen, lernen erlangen, erkennen und dorzu kummen. Wir wissen, daß ihr viel mäncherlei Künst erfahren und ihr Wahrheit angezeigt haben, das uns zugut kummt. Dorum ist es billich, daß sich der Mensch nit versäum und zu bequemer Zeit etwas leren, dorzu er sich am allergeschicktesten find. Etlich Menschen mügen van allerlei Künsten lernen, aber das ist nit einem idlichen geben.Doch ist kein vernünftig Mensch so grob, er mag etwan ein Ding lernen, dorzu ihn sein Gemüt am höchsten trägt. Deshalb etwas zu lernen ist niemand entschuldigt. Es ist not zu gemeinem Nütz, daß wir lernen und das getreulich unseren Nachkummen mitteilen, ihn nichts verbergen. Auf solchs hab ich mir fürgenummen, etwas zu beschreiben, das den Jungen nit unbegierlich würd sein zu sehen. Dann der alleredelst Sinn der Menschen ist das Gesicht. Dorum ein idlich Ding, das wir sehen, ist uns glaublicher und beständiger, weder das wir hören. So aber beede, gesehen und gehört würd, so faß wir das dest kräftiger. Dorum will ich reden und fürmachen, auf daß mans dest baß fassen und merken müg. Unser Gesicht ist in dem zu vergeleichen einem Spiegel. Dann es fürfällt unserem Gesicht59 allerlei Gestalt, die man uns für- trägt. Also fällt in unser Gemüt durch die Augen allerlei Gestalt, die wir sehen. Aus Natur sech wir ein Gestalt und Bildnüs viel lieber dann die ander, wiewohl dorum dasselb nit allbeg dest besser oder böser ist. Wir sehen geren schöne Ding, dann es gibt uns Freud. Zu urteilen das Schön, steht glaubwirdiger in eins künstreichen Molers Sag60 denn in der anderen.

Ein rechte Maß gibt ein gute Gestalt, und nit allein im Gemäl, sunder auch in allen Dingen, wie die fürbrocht mügen werden. Nit unbillig beschreib ich etwas zum Gemäl dienstlich. Dann die Kunst des Molens würd gebraucht im Dienst der Kirchen und dordurch angezeigt das Leiden Christi, behält auch die Gestalt der Menschen noch ihrem Absterben. Die Messung des Erdrichs, Wasser und der Stern ist verständlich worden durch das Gemäl und würd noch Menschen viel künd61 durch Anzeigung der Gemäl. Zu der Kunst recht zu molen ist schwer zu kummen. Dorum wer sich dorzu nit geschickt find, der untersteh sich der nicht. Dann es will kummen van den öberen Eingießungen62.

Die Kunst des Molens kann nit wohl geurteilt werden dann allein durch die, die do selbs gut Moler sind. Aber fürwahr, den anderen ist es verborgen, wie dir ein fremde Sprach. In dieser Kunst sich zu üben wär den subtilen müßigen Jungen ein edel Ding.

Die groß Kunst der Molerei ist vor viel hundert Johren bei den mächtigen Künigen in großer Achtbarkeit gewesen, dann sie machten die fürtrefflichen Künstner reich, hieltens wirdig, dann sie achteten solche Sinnreichigkeit ein geleichförmig Geschöpf noch Gott. Dann ein guter Maler ist inwendig voller Figur, und obs müglich wär, daß er ewiglich lebte, so hätt er aus den inneren Ideen, dovan Plato schreibt, allbeg etwas Neus durch die Werk auszugießen

Vor viel hundert Johren sind etlich berühmt Moler gewesen, als mit Namen der Phidias, Praxideles, Abelles, Polteclus, Parchasias, Lisipus, Protogines und die anderen, unter denen etlich ihr Kunst beschrieben haben, und zumal künstlich angezeigt, klar an Tag bracht. Doch sind dieselben ihre löbliche Bücher uns bisher verborgen und vielleicht gar verloren, etwan geschehen durch Krieg, Austreibung der Völker oder Veränderung der Gesetz und Gelauben, das do billig zu bereuen ist van einem idlichen weisen Mann. Es geschicht oft durch die groben Kunstverdrücker, daß die edlen Ingenii63 ausgelescht werden. Dann so sie die gezognen Figuren sehen in etlichen Linien, vermeinen sie, es sei eitel Teufelsbannung, ehren Gott mit einem Widerwärtigen. Dann menschlich zu reden, so hat Gott ein Mißfall über all Vertilger großer Meisterschaft, die mit großer Mühe, Arbeit und Zeit erfunden würd und allein van Gott verliehen ist. Ich hab oft Schmerzen, daß ich der vorbestimmten Meister Kunstbücher beraubt muß sein. Aber die Feind der Künst verachten diese Ding.

Item hör auch kein Neuen, der etwas beschrieb und aus ließ gehn, den ich zu meiner Bessrung lesen möcht. Dann ob etlich sind, so verbergens doch ihr Kunst. So schreiben etlich van den Dingen, die solchs nit künnen. Das laut dann zumal blo64, dann ihre Wort sind am besten65. Wer etwas kann, der merkts gar bald. Auf solchs will ich mit göttlicher Hilf das wenig, so ich gelernt hab, anzeigen, wiewohl solchs ihr viel verachten werden. Do leit mir nit an66. Dann ich weiß wohl, daß ein idlich Ding ehe zu schelten dann ein bessers zu machen ist. Ich will auch sölichs auf das verständigst unverborgnlich fürbringen, so ich mag. Und wenn es müglich wär, so wollt ich geren alles das, das ich kann, klar an Tag bringen, das zulieb den geschickten Jungen, die sölche Kunst höher liebn dann Silber und Gold. Ich ermahn auch all die etwas künnen, daß sie sölchs beschreiben. Tüt das getreulich und klar, nit beschwerend, noch führt lang um67, die do suchen und geren weßten, auf daß Gottes Ehr und euer Lob groß werd.

8. Vom Wesen der Schönheit und Beschreibung des »Teilers«

Keiner gelaub ihm selbs zu viel. Dann viel merken mehr dann einer. Wiewohl das auch müglich ist, daß etwan einer mehr versteht denn ander hundert, so geschicht es doch selten. Der Nütz ist ein großer Teil der Schönheit. Dorum was unnütz ist am Menschen, das ist nit schön. Hüt dich vor Überfluß. Die Vergleichung eins gegen dem anderen, das ist schön. Dorum hinken ist nit schön. Es ist auch im Ungleichen ein große Vergleichung. Van den Dingen und Künsten der Malerei werden ihr noch viel schreiben. Dann ich versich mich, es werd noch herfürkummen mäncher trefflicher Mann, die all wohl und baß van dieser Kunst werden schreiben und lernen dann ich. Dann ich selbs schätz mein Kunst ganz klein. Dann ich weiß, was Mangels ich hab. Dorum ein idlicher untersteh solchen meinen Mangel zu besseren noch seinem Vermügen. Wollt Gott, wenns müglich wär, daß ich der künftigen großen Meister Werk und Künz68 itz sehen möcht, deren die noch nit geboren sind. Dann ich vermeint mich sein zu bessern69. Auch wie oft siech ich große Kunst und gut Ding im Schlof, desgleichen mir wachend nit fürkummt. Aber so ich erwach, so verleurt mirs die Gedächtnüs. Keiner schäm sich zu lernen. Dann zu einem guten Werk dient wohl ein guter Rat. Aber wer do Rat in den Künsten nimmt, der nehm ihn van einem, der solcher Ding hoch verständig sei und das mit der Hand anzeig. Idoch das mag ein idlicher tan und ist gut: So du ein Werk deines Gefallens gemacht hast, so stell das für grob unverständig Leut, laß sie darüber urteilen. Dann sie ersehen gewahnlich das Allerungeschicktest, wiewohl sie das Gut nit verstehn. Finstu dann, daß sie ein Wahrheit sagen, so magstu dein Werk besseren. Solcher Ding wären noch viel zu schreiben, aber um Kürz willen unterlaß ichs und will eintreten in das Werk, zu machen die äußer Gestalt Mann und Weib.

Item die Figur soll genennt werden der Teiler70, dann sie gibt nichts dann Zahl und Teil

Bild 3

Zu Einführung und Bericht einer nachfolgeten äußerlichen menschlichen Gestalt und Gliedmaß, wie man die messen soll, will ich anzeigen einer schlechten Meinung auf das kürzest, so es ahn Abbruch erleiden mag. Dann alle Teil benenn ich mit Zahln, etlich mit Buchstaben, wie das die Notdorft erheischen würd, dardurch du solchs zu deinem Werk dest verständlicher brauchen mögest.

Erstlich so du ein Bild zu machen hast fürgenummen, magstu dich der gleichen Meinung gebrauchen. Nimm ein Richtscheit oder was dir dorzu gelegen ist, dorauf stich die Läng des Bildes mit zweien Punkten, welcher Anfang a und End b ist, und zeuch ein gerade Lini dorzwischen. Und sooft ich dir nachmals van a b sag, so versteh allbeg die ganzen Läng des Bildes, das do begriffen würd zwischen a b.

Nachfolget teil gar eigentlich die gedacht Lini a b mit Punkten van 2 bis auf 50 oder mehr, so viel dir füglich ist. Dieselben Punkten benenn und verzeichen ein idlichen mit seinen teilbarn Zahlen also 1/2 1/3 1/4 1/5 1/6, als viel du den Teil geteilt hast. Und wo ich dir nochfolget würd sagen: das Glied des Manns oder Weibs sei eins solchen Teils lang oder breit, so versteh allbegen denselben also geteilten Teil aus der Läng a b. Dies behalt für ein gemeine Lehr und Grund meines ganzen Fürnehmens.

Dobei begibt sich auch oft aus Unmüglichkeit, daß man ein Ding mit eim benennten Teil aus kann messen, so setzt man etlich gleiche oder ungleiche Teil zusammen als 1/12 und 1/16 und 1/20 oder 1/8 und 2/28. Ich setze auch zuzeiten van Nähe und Kürz wegen ein oder mehr Teil van einem herabgeteilten Teil in a b als 1/3 van 1/11 und desgleichen. Du magst auch das alles verkehrn, so in viel und mäncherlei Weg änderen, so viel es dir zu brauchen dienstlich würd71.

Dir würd auch vergünnt ein idlichen Teil in a b noch weiter abzuteilen, auch dies Nachgeschrieben viel genäuer zu ersuchen und messen, dann ichs hie anzeig. Dann ich will ein liederlichen kurzen Weg gehn. Idoch wie schlecht und gering der ist, würstu dannocht viel heimlich Wunders dardurch finden, aber wohl dobei, wo du mitnehm ...

9. [Von Farben] Von Farben

Item so du erhabn wilt molen, so es das Gesicht betriegen söll72, mußtu der Farben gar wohl bericht sein und im Molen fast auseinanderscheiden, also zu verstehn: Item du molst 2 Röck oder Mäntel, ein weiß, den andern rot. Und wenn du sie schättigst73, do es sich bricht, wann an allen Dingen ist Lichts und Finsters74, was sich aus den Augen krümmt oder beugt. Wo das nit wär, so wärs alls eben anzusehen, und in solicher Gestalt würd man nüt erkennen denn als viel sich die bloßen Farben auseinanderschieden75. Dorum so du den weißen Mantel schättigst, muß er nit so mit einer schwarzen Farb geschättigt sein als der rot. Wann es wär unmüglich, daß ein weiß Ding so ein finsteren Schatten geb als das rot, und würd sich beieinander nit vergleichen. Ausgenummen wo kein Tag hin mag76, ist alle Ding schwarz, als in der Finster77 kannstu kein Farb erkennen. Dorum, obs die Rechnung geb in einem weißen Ding, do einer mit Recht zum Schatten ganz schwarz nützet, wär nit schträflich. Doch kummt es gar selten. Auch soltu dich hüten, so du etwas von einer Farb molst, sie sei rot, blo78, braun oder vermischt Farben, wie sie sein, daß du sie im Lichten nit zu viel licht machst, also daß sie aus ihrer Art schlach. Beispiel: ein Ungelehrter besicht dein Gemäl, unter dem ein roten Rock, spricht: »Schau, gut Fründ, wie ist der Rock auf eim Teil so schön rot und auf dem anderen hat er weiß Far79 oder bleich Flecken.« Dasselb ist sträflich, und hast ihm nit recht getan. Du mußt in solicher Gestalt molen ein rot Ding, daß es überall rot sei, desgeleichen mit allen Farben, und doch erhaben schein. Auch mit dem Schättigen desgleichen halten, daß man nit sprech, ein schön Rot sei mit Schwarz beschissen80. Deshalb hab acht, daß du ein jedliche Farb schättigst mit einer Farb, die sich dorzu vergeleich. Als ich setz ein gele Farb. Soll sie in ihrer Art beleiben, so mußtu sie mit einer gelben Farb schättigen, die dunkeler sei weder die Hauptfarb ist. Wenn du sie mit Grün oder Blob78 absetzt, so schlächts aus der Art und heißt nimmer gel, sunder es würd ein schillrete81 Farb doraus, als man seiden Gewand findt, die van zweien Farben gebürkt82 sind, item von Bran83 und Blo, das ander braun und grün, etliches dunkelgel und grün, auch kesterbraun84 und dunkelgel, item blo und ziegelrot, auch ziegelrot und veielbraun85, und der Farben mäncherlei, das man vor Augen sicht, so man dieselben molt. Und wo es ich bricht allbeg am Abwenden, teilen sich die Farben, daß man sie voreinander erkennt. Demnoch mußt du sie molen. Aber wo sie platt aufliegen, sicht man nun86 ein Farb. Aber nüt destminder so du ein soliche Seiden molst und mit einer Farb tuschierst87, als ein Braun mit dem Blo, so mußtu das Blo noch mit eim sätteren Blo absetzen, wo es ihm nottut. Es kummt auch oft, daß diese Seiden in der Dunkelen ahn der braun Farb gesehen wird, als wenn einer vor dem anderen steht, der ein solichs Kleid anhat. So mußtu dasselbig Braun mit eim sätteren Braun absetzen und nit mit dem Blo. Es geh wie es woll, so muß kein Farb im Tuschieren aus ihrer Art kummen.

10. Speis der Malerknaben

Salus 1513

Dies nachfolget Büchle wird genennt ein Speis der Malerknaben. Dem Menschen ist fast not, daß er etwas künn, van der Nutzbarkeit wegen, die doraus entspringt. Deshalb soll wir all geren lernen. Dann so wir mehr künnen, destmehr werd wir vergleicht der göttlichen Gebildnüs, der do alle Ding wohl kann. Du findest mäncherlei Künst. Nimm dir der eine für, die dir wohl zunutz mag kummen, lern sie, laß dich der Mühe nit befielen88, bis daß du erlangt, das dich erfreuen mag. Aus Begierd künnten wir geren viel, hätten des kein Verdrieß. Dann es ist uns aus Natur eingegossen, daß wir gern alle Ding weßten, dardurch zu erkennen ein Wahrheit aller Ding. Aber unser blöds Gemüt kann zu solcher Vollkummenheit aller Kunst, Wahrheit und Weisheit nit kummen. Aber dorum sind wir nit gar ausgeschlossen van allen Künsten. Wöll wir durch Lernung unser Vernunft schärpfen und uns dorin üben, so mügen wir wohl etlich Wahrheit durch recht Weg und Mittel suchen, lernen erkennen, erlangen und darzu kummen. Dorum der do untersteht zu müßiger Zeit etwas zu lernen, darzu er sich am allergeschicktesten find, Gott zu ehrn, ihm selbs und andern zu Nutz, der tut wohl. Wir wissen, daß ihr viel mäncherlei Künst erfahren und ihr Wahrheit angezeigt haben, das uns itz zugut kummt. Dorum ist es recht, daß einer den anderen unterweis. Wer das geren tut, dem würd von Gott viel verliehen. Und von ihm hab wir alle ... vergebens. Er hab höchstes Lob. Es ist nit bös, daß der Mensch viel lern, wiewohl etlich grob dorwider sind, die do sagen, Kunst mach hoffärtig. Sollt das sein, so wär niemand hoffärtiger dann Gott, der do alle Kunst beschaffen hat. Das kann nit sein. Dann Gott ist das allerbest Gut. Dorum wer viel lernt, der würd so viel besser und gewinnt destmehr Lieb zun Künsten und allen hohen Dingen. Deshalb ist es billig, daß sich der Mensch nit versäum und zu bequemer Zeit etwas lern.

Dann man findt etlich, die nichts künnen und wöllen auch nichts lernen, verachten die Lehr, sagen, daß viel Übels aus den Künsten entsteh und etlich ganz bös sind. Darwider ist mein Meinung: Ich halt, daß keine bös sei, sunder all gut. Ein Schwert ist ein Schwert, das mag zum Mord oder Gericht gebraucht werden. Dorum sind die Künst an ihn selbs gut. Was Gott beschaffen hat, das ist gut, wiewohl sich des ihr viel mißbrauchen. Ist der kunstreich Mensch frumm und aus Natur gut, so meidt er das Bös und würkt das Gut. Darzu dienen die Künst, dann sie geben zu erkenn Guts und Böses. Etlich Menschen mügen van allerlei Künsten lernen. Aber das ist nit einem idlichen gegeben. Idoch ist kein vernünftig Mensch so sgrob, er mag etwan ein Ding lernen, darzu ihn sein Lieb am höchsten trägt. Aus solichen Ursachen ist niemand entschuldigt, etwas zu lernen. Nun erkenn ich, daß in unserer tewtzschen Natian bei den itzigen Zeiten viel Moleren der Lernung notdörftig wären. Dann sie manglen der rechten Kunst und haben doch viel große Werk zu machen, darzu fast not wär, daß sie ihre Werk bessreten, so ihr so ein große Zohl ist. Einem idlichen, der unwissend erbet, der erbet schwerer dann der so verständlich erbet. Dorum lernt all recht verstehn. Denselben die nit viel künnen und doch geren lernen wollten, den will ich mein nochfolgete Unterweisung gutwillich mitteilen. Aber mit den Hoffärtigen, die ihn selbs zumessen, sie wissen all Ding und seien die Besten, verachten all ander Ding, will ich unbekümmert sein. Aber van den rechten Künstnern, die das mit der Hand anzeigen, begehr ich demütiglich unterwiesen zu werden mit großer Dankbarkeit. Dorum wer do wöll, der hör und sech, was ich red und mach, und leren das. Dann ich hoff, es soll Nutz bringen und die bessern Künst nit verhinderen, noch dich zwingen zu Versäumnüs besserer Ding. Diese Kunst der Maler würd fürgemacht den Augen. Dann der alleredelst Sinn der Menschen ist das Gesicht. Dorum weiß ich, daß etlichen diese Ding begierlich werden sein, die vor van solchen nie gehört noch gesehen haben in unseren Landen. Dorum wem dies Ding fürkummt, der nehm die Wahl doraus und such Bessrung dorin, wie er will, allein daß allbeg die Wohrheit dobei beleib. Ein idlich Ding, das du sichst, das ist dir gelaublicher, denn das du hörst. So aber beede, gehört und gesehen würd, fass wir das dest kräftiger und beleibt uns beständiger. Deshalb will ich das Wort und das Werk zammentan, auf daß mans dest baß merken müg.

Unserm Gesicht fällt für allerlei Gestalt, die man ihm fürbringt wie einem Spiegel, und aus Natur sech wir ein Gestalt und Bildnüs viel lieber dann die ander, wiewohl dorum dasselb nit allbeg dest besser oder böser ist. Wir sehen geren schöne Ding, dann es gibt uns Freud. Zu urteilen das Schön steht glaubwirdiger in eines künstreichen Molers Sag dann in der anderen.

Ein rechte Maß gibt ein gute Gestalt, und nit allein im Gemäl sunder auch in allen Dingen, wie die fürbracht mügen werden.

Nit unbillich beschreib ich zum Gemäl dienstlich. Dann die Künst des Molens würd gebraucht im Dienst der Kirchen und durch das angezeigt das Leiden Cristy und viel andrer guter Ebenbild, behält auch die Gestalt der Menschen nach ihrem Absterben. Die Messung des Erdrichs, Wasser und der Stern ist verständlich worden durch Anzeigung der Gemäl und würd noch mänchem viel kund durch Anzeigung der Gemäl.

Zu der Kunst recht werklich, künstlich und schön lieblich zu molen ist schwer zu kümmen, bedarf langer Zeit und ein fast freie geübte Hand. Dorum wer sich dorzu ungeschickt find, der untersteh sich der nicht. Dann es will kummen van den obern Eingießungen. Die Kunst...



Fußnoten

1. Vorrede und Inhaltsangabe

Dürers Handschrift London 5230, fol. 4a und 5ab. Entstanden um 1508. Gedruckt bei: Lange/Fuhse, S. 281 ff., Rupprich II, S. 91 ff., Faensen, S. 218 ff.

1 begehren zu lernen
2 dasjenige, was ich
3 wohlauf, vorwärts (Interjektion)
4 entbehrt
5 sagt
6 »wie der Knabe ausgewählt und die Eignung seines Temperaments (Komplexion) beachtet werden soll«
7 Vorführung, Ausführung, Darstellung
8 Freizügigkeit
9 bildet ein Teil ab
10 vollbringen
11 Tierkreiszeichen, Gestirn; um daraus auf seine Veranlagung zu schließen
12 Aus den Proportionen glaubte man auf das Temperament schließen zu können
13 überdrüssig
14 Diese und einige der folgenden Erziehungs- und Lebensregeln Dürers gehen auf die Schrift »De Vita libri tres«, Florenz 1489, des Marsilius Ficinus zurück
15 Scharfsinn, Feinheit
16 angenehme
17 daß er die Möglichkeit habe, auf eigene Rechnung die zuvor geforderte Bildung zu erwerben, und er gepflegt werde mit Arznei, wenn er das braucht.
18 heiliger
19 denn wenn man sich mit ihr beschäftigt, bietet sie selbst reiche Freuden
20 Weisen


2. Von der Malerei und von der Schönheit

Dürers Handschrift London 5230 ff., 14 f. Entstanden 1508/09 im Anschluß an die Vorrede. Gedruckt bei: Lange/Fuhse, S. 287 ff., Rupprich II, S. 99 ff., Faensen S. 223 ff.

21 Rupprich II, S. 99, Anm. 5 liest: »zum ersten Lernen zuzuteilen«. Das Folgende scheint aber mehr dafür zu sprechen, daß »aws teillen« hier im Sinne von unterteilen, aufteilen gemeint ist: Es ist einem jeden gut, zuerst eine menschliche Gestalt aufteilen, untergliedern zu lernen, nämlich um sich ihre Proportionen klar zu machen
22 Naturalis historia
23 wir ermangeln, uns fehlen
24 die wohlproportionierten Dinge
25 dabei hilft es, andere um Rat zu fragen
26 finden gewöhnlich die Fehler heraus
27 Gebrechen, Mängel, Fehler
28 im geplanten Text des Malerbuches
29 der folgenden Ausführungen
30 möglich
31 mutiger und geschickter
32 zu jedem Typ der menschlichen Gestalt, der gerade erforderlich ist.
33 Komplexionen, Temperamente
34 Ärzte
35 formtest
36 Schönheit
37 Darüber muß man beraten, darüber kann man sich streiten.
38 Wege weisen
39 wie du es zufällig brauchst


3. Vom Maß der menschlichen Gestalt

Dürers Handschrift London 5230, fol. 2a. Entstanden um 1508. Gedruckt bei: Lange/Fuhse, S. 314 f., Rupprich II, S. 163 f., Faensen, S. 236 f.

40 Vitruvius Pollio, De architectura
41 der soll sich einrichten auf das dem Menschen Angemessene, auf die Beschaffenheit der menschlichen Gestalt
42 der Proportionen; vgl. Vitruv III 1, 1 ff.
43 Dürer beabsichtigte auch, eine Proportionslehre der Pferde zu schreiben
44 Vgl. Vitruv, III, 1, 2 ff.
45 die Fußlänge
46 in der Breite von Schulter zu Schulter


4. Von der Notwendigkeit neuer Lehrbücher

Dürers Handschrift London 2530, fol. 18a. Entstanden im Anschluß an das Vorangehende. Gedruckt bei: Lange/Fuhse, S. 315 ff., Rupprich II, S. 103 f.

47 unterdrückt
48 wäre ich zufällig dabeigewesen
49 Apollo
50 kräuslich: zierlich, fein
51 Samson
52 Dürer beschränkte sich von vornherein auf die Proportionen, die Maßverhältnisse des menschlichen Körpers; die Anatomie schloß er von seinen Betrachtungen aus


5. Sinn der Proportionen für den Künstler

Dürers Handschrift London 5229, fol. 51a. Entstanden um 1510. Gedruckt bei: Lange/Fuhse, S. 345, Rupprich II, S. 105

53 Figur, die menschliche Gestalt
54 nach den Proportionen, nicht nach dem anatomischen Aufbau
55 Anleitung und Belehrung


6. Vom Nutzen des Wissens

Dürers Handschrift London 5230, fol. 28a und 29a. Entstanden um 1512. Gedruckt bei: Lange/Fuhse, S. 291 ff., Rupprich II, S. 105 f.

56 Gott ähnlicher, vollkommener
57 wagen, sich getrauen


7. Lob der Malerei

Dürers Handschrift London 5230, fol. 24 f. Entstanden 1512. Gedruckt bei: Lange/Fuhse, S. 269 ff., Rupprich II, S. 112 ff., Faensen, S. 228 ff.

58 überdrüssig
59 vor Augen kommen
60 Aussage
61 bekannt
62 göttliche Eingießung; der Künstler muß inspiriert sein
63 Geister
64 das lautet blau, das ist nichtssagend
65 sie machen nur schöne Worte
66 daran liegt mir nichts, darauf gebe ich nichts
67 haltet sie nicht lange auf. So wie Jacopo de' Barbari, der Dürer Andeutungen von einer Proportionslehre machte, ihm deren genaue Kenntnis aber vorenthielt. Gegen diesen scheint sich auch die vorangegangene Polemik zu richten. Dürer hatte während seines zweiten Italien-Aufenthaltes (vgl. den 2. Brief an Pirckheimer) seine Meinung über Jacopo de' Barbari geändert


8. Vom Wesen der Schönheit und Beschreibung des »Teilers«

Dürers Handschrift London 5230, fol. 35ab. Entstanden 1512. Gedruckt bei: Lange/Fuhse, S. 305 f., Rupprich II, S. 115 f.

68 Künste
69 mich dadurch zu bessern
70 Der Teiler, Dürers erstes und wichtigstes Meßinstrument, ist wahrscheinlich von Alberti angeregt
71 Verweist auf die Möglichkeit, die Grundmaße zu variieren, wie Dürer es später noch genauer beschreibt


9. Von Farben

Dürers Handschrift London 5230, fol. 7a. Entstanden 1512/13. Gedruckt bei: Lange/Fuhse, S. 326 ff. Rupprich II, S. 393 f., Faensen, S. 239 f.

72 dem Auge Körperlichkeit vortäuschen soll
73 schattierst, ihnen dunkle Schatten gibst
74 Hell und Dunkel
75 würde man nur so viel erkennen, wie sich die Lokalfarben voneinander unterscheiden
76 kein Licht hinkommt
77 Finsternis
78 blau
79 Farbe
80 beschmiert, beschmutzt
81 schillernde, changierende
82 gewirkt
83 Braun
84 kastanienbraun
85 violett
86 nur
87 kolorieren; schattieren, übermalen


10. Speis der Malerknaben

Dürers Handschrift London 5230, fol. 33 f. Datiert 1513. Gedruckt bei: Lange/Fuhse, S. 310 f., Rupprich II, S. 131 ff., Faensen, S. 234 f.

88 verdrießen

Levitating Stone
(Hinzugefügt)


Erstellt 7. Oktober 2006. Update 26. März 2007.
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Fortsetzung

Die  Kronen symbolisieren die höhere Natur in jedem Menschen, sein individueller potentieller innerer Adel. Jedermann ist verpflichtet seinen inneren Adel nach Albrecht Dürer und Carl Huter zu heben.
 
Bezug: Carl Huters Wissenschaften - Psycho-Physiognomik und Kallisophie sowie Die vier Apostel, München und Lempertz
Menschliche Proportion
Bearbeitung: Medical-Manager Wolfgang Timm