Menschenkenntnis Lehrbrief V. - Part 21
 
Hauptwerk 1904-06. Carl Huter
Bearbeitung: Medical-Manager Wolfgang Timm

FORTSETZUNG

Schäfer Ast in Radbruch bei Lüneburg und seine Haardiagnose

Als zu Anfang der neunziger Jahre des vorigen Jahrhunderts viel von Heilwundern des Schäfers Ast bei Lüneburg die Rede war, trieb es mich, diesen eigenartigen Mann kennenzulernen. Ich ließ die ersten Jahre seiner Berühmtheit vorübergehen und wartete auf eine bessere Zeit; denn mehr als 800 Personen umlagerten täglich diesen Wunderdoktor, wie er damals allgemein genannt wurde. Ein Ankommen bei ihm war unter normalen Umständen nicht möglich. 

Schäfer Philip Heinrich Ast aus Radbruch (1848-1921)
(Bild rechts: Wartehalle von Schäfer Ast. Hinzugefügt)

"Wunderheiler", der in den 1890er Jahren in Radbruch bei Winsen zunächst nur Vieh, später auch mit großem Erfolg Menschen heilte, quasi als ein früher Heilpraktiker. 
Der als charismatischer Heiler bezeichnete Schäfer Ast stammte aus einer Familie, in der über Generationen traditionelles Heiler-Wissen jeweils vom Vater an den Sohn weitergegeben wurde. 
Die Diagnose fällte Ast anhand eines Büschels Haare, das er eindringlich unter der Lupe begutachtete. Weil er Heilmittel direkt an seine "Kunden" verkaufte und so gegen geltendes Gesetz verstieß, war ihm der Prozess gemacht worden. 
Mit der daraus resultierenden Pressepräsenz kam der Reichtum: Ast stellte die Rezepte aus, die Alte Ratsapotheke in Winsen stellte die Heilmittel nach seinen Rezepturen her und verkaufte sie an die Heil Suchenden. Viele wurden geheilt und beide wurden reich.
Auch heute noch werden in der Alten Rats-Apotheke viele Rezepturen nach der Vorschrift von Schäfer Ast hergestellt.
Philipp Heinrich Ast wurde am 4. April 1848 in Gronau an der Leine geboren. Er wurde, wie sein Vater, Schäfer, übernahm aber noch mehr von dessen Fähigkeiten: das Kurieren von krankem Vieh und selbst das Heilen kranker Menschen. In der Familie Ast besaß die Heilkunst nämlich Tradition: die Ahnen hatten schon Heinrich den Löwen und Kaiser Otto I. behandelt (ob das so genau stimmt, weiß man nicht, aber es ist natürlich eine schöne Familiengeschichte).
1872 ging Ast nach Lüdersburg, wo sein Onkel Schafmeister im Dienste des Barons von Spörcken war. An des Onkels strengem Regiment fand der junge Mann wohl wenig Gefallen, denn schon im April 1873 trat er in Radbruch eine Stelle auf dem Hof Nr. 2 Ahlers (jetzt Fischer) an. Es gab aber noch einen anderen Grund für den Wechsel: Ahlers Tochter Anne Dorothea, die Ast im Dezember desselben Jahres heiratete. Schon nach sechs Monate wurde das erste Kind des jungen Paares geboren.
Heinrich war inzwischen schon in der Gegend bekannt, denn er kam als Schafscherer weit herum, und es blieb nicht verborgen, daß er krankes Vieh heilen konnte.
Auf dem Ahlerschen Hof wurde es derweil eng, und als Ast die Möglichkeit hatte, für seine kleine Familie die Abbauerstelle 58 (jetzt Bardowicker Straße 62) zu kaufen, wollte er zugreifen. Kein Radbrucher wollte ihm jedoch dafür Hilfe oder Kredit gewähren - etwas, das er zeitlebens nicht vergaß. Schließlich lieh ihm Peter Wilckens aus Stelle, dem er ein wertvolles Pferd kuriert hatte, das nötige Geld. Am 29. September 1888 bezog Ast das neue Haus, wo er bis zum seinem Tode lebte und sich einen großen Namen als Heilkundiger machte. Die Zutaten für seine Mixturen bezog er zunächst aus Thüringen. Ab 1883 versorgte er sich in Dr. Meineckes Winsener Apotheke (heute Ratsapotheke).
Neben den eigenen Erfahrungen und Methoden war ein Rezeptbüchlein für ihn von großer Bedeutung, welches er von seinem Vater 1878 geerbt hatte. Daß er seine Medizin nach diesen Geheimrezepten selbst mischte, brachte ihm 1893 eine Geldstrafe von 75 Mark wegen unerlaubten Herstellens von Medikamenten ein. Die Zeitungsberichte darüber waren allerdings die beste Werbung; bald kamen Scharen von Heilungssuchenden nach Radbruch.
Wegen seiner Medikamente stand Ast noch mehrfach vor Gericht; schließlich fand er gemeinsam mit Dr. Meinecke die Lösung: er gab den Patienten nurmehr einen "Nummernzettel" mit. Der Apotheker schlug die Nummer im Buch nach und mixte die Medizin.
Von der Ast´schen Heiltätigkeit profitierten aber auch noch andere: in Radbruch blühte der Fremdenverkehr; Gaststätten und Wartesäle wurden eröffnet, die Patienten kamen per Bahn und wurden mit Droschken zum Hause Ast gefahren. Die Züge waren überfüllt, man kam mit dem Drucken der Fahrkarten kaum nach und mußte Gruppenfahrscheine ausgeben.
1894 behandelte Ast bis zu tausend Menschen am Tag. Die deutsche Presse berichtete darüber und heizte den Boom an. Sogar Berliner Zeitungen schickten Berichterstatter nach Radbruch. Die Art der Behandlung beschrieben die "Winsener Nachrichten" am 9.11.1884: " ... sonderbar ist die Art und Weise, wie der 'Wunderdoctor' die Krankheiten behandelt. Ein Büschel Haare aus dem Nacken des Kranken wird ihm mitgebracht, oder er schneidet es, wenn die Kranken persönlich kommen, selbst ab; er hält die Haare gegen das Licht und betrachtet dieselben kurze Zeit durch ein Vergrößerungsglas, und dann giebt er die Krankheit der betreffenden Person an ..."
Bei soviel Andrang mußte Ast rationell arbeiten. Er ließ immer zehn Patienten auf einmal ins Sprechzimmer rufen. Von diesen bestimmte er einen zum Schreiber, der die Nummernzettel zu notieren hatte.
Bezahlt wurde durch Geschenke. Für mittellose Patienten war die Hilfe jedoch manchmal kostenlos. So kam Heinrich Ast, der Schäfer, dem man in Radbruch keinen Kredit gewähren wollte, zu großem Wohlstand. Er kaufte 1910 den Meierhof und legte Geld in weiteren Höfen und Gütern an. Er starb am 15. August 1921 in Radbruch und wurde in Bardowick beerdigt. Seinem Freund Peter Wilckens hatte er noch den Grabstein gezeigt.

Die Nachkommen
Heinrich Asts Nachkommen leben noch heute in Radbruch, und seine Medizin gibt es immer noch zu kaufen. Über 48 Jahre wirkte der Gronauer Schäfer Ast in Radbruch. Zu seiner Hinterlassenschaft in Radbruch gehörte so Markantes wie seine künstliche Ruine, sein Taubenschlag und der Aussichtsturm im Garten; die Mauer mit den Löwenköpfen umgibt noch immer das Ast´sche Anwesen. Anderes ging verloren: 1924 brannte ein Großteil der alten Hofstelle nieder. Viele persönliche Aufzeichnungen des Schäfers blieben im Feuer; darunter das vom Vater ererbte Rezeptbuch. Wie ging es weiter mit der Familie Ast?
Die Söhne Heinrich Ast junior. und Otto Ast übernahmen die Praxis und führten die Familientradition mit großem Erfolg fort. Heinrich blieb Junggeselle, Otto heiratete 1914 die Tochter des Ast´schen Freundes Peter Wilkens aus Stelle. Das Ehepaar hinterließ die Töchter Ursel und Olga, welche wiederum die Praxis übernahmen. Ende des letzten Krieges lernten sie die Brüder Heinrich und Wilhelm Keller aus München kennen. Während Ursels Tochter, Bärbel Barich, heute mit ihrer Familie auf dem Meierhof lebt, wohnen die Söhne von Olga Keller-Ast Jörg und Joachim Keller mit ihren Familien auf dem Gelände der alten Hofstelle 58. Die jüngsten Nachkommen Heinrich Asts, Hauke und Jana Keller, besuchen derzeit die Radbrucher Grundschule.
Die Heilpraxis wird an alter Stelle auch heute noch von Olga Keller-Ast, der Enkelin des Schäfers, betrieben. Sie ist zugelassene Heilpraktikerin und behandelt ihre Patienten in alter Tradition. Neben dem Spektrum der natürlichen Allgemeinmedizin liegen Behandlungsschwerpunkte auf Hautkrankheiten und Magenleiden. Zur Anwendungen kommen Salben, Tropfen und Kräutertees nach den alten, bewährten Rezepten. Bis Ende des Jahres werden die Ast´schen Arzneien noch in einer familieneigenen Firma hergestellt. Ab 1999 müssen die Rezepte wieder vom Apotheker angemischt werden.
Wie es mit der Heilpraxis weitergeht, ist ungewiß, denn die Urenkelgeneration hat andere Berufswege gewählt.
Die Gemeinde Radbruch hat ihre "Haupstraße", die ehemalige Bahnhofstraße, nach dem berühmtesten Manne des Dorfes benannt. Über den Bahnhof war unser Dorf zur Zeit Heinrich Asts mit der Welt verbunden. (Quelle: Achim Gründel, Archiv Radbrucherecho. Text hinzugefügt)
Einige Jahre später macht ich mich von Hannover aus auf und reiste nach Radbruch. Ich sagte mir, reiner Aberglaube kann es nicht alles sein, was das Vertrauen zu diesem Manne geweckt hat. Bei wundergläubigen Religionsfanatikern sind Wallfahrten stets vom Glauben abhängig, hier aber bei Ast war gar kein religiöses Motiv der Anlaß, es mussten also irgendwelche Tatsachen zugrund liegen, entweder, daß Ast gute Diagnosen stellen konnte, oder daß er gute Mittel haben mußte, mit denen er überraschende Heilerfolge erzielte. Das waren meine Schlußfolgerungen; dass dabei auch nebenher übertriebene Erzählungen, als der Wunderglaube, vielfach mit einsetzen mochte, schien mir gewiß.

Das Glück wollte es, daß ich Ast eines Nachmittags allen antraf. Der kleine, blondhaarige Mann mit klugen himmelblauen Augen stand zufällig in seiner Haustür. Ich redete ihn an: „Sind Sie Meister Ast?“ „Jawohl, det bin eck“, gab er in gutmütigem Platt zur Antwort. „Nun“, sagte ich, „ich wollte zu Ihnen, um Sie kennenzulernen; haben Sie ein halbes Stündchen Zeit für mich übrig, ich will Ihre Haardiagnose studieren.“ Mich willkommen heißend, ging er mit mir in sein Sprechzimmer; auf einem großen Tische am Fenster stand ein flacher Kasten mit Nummern und Buchstaben, er enthielt die schon halbfertigen Rezepte für die verschiedensten Krankheiten, auf die er je nach Bedarf noch einige Zeichen setzte, wie er mir erklärte. Höchst praktisch, dachte ich, man kann doch manches lernen, wenn man solche Naturkinder bereist. Der Mann ist zunächst ein Erwerbsgenie erster Güte, sonst war alles – Ast eingeschlossen – außerordentlich einfach im Zimmer. 

So etwas entspricht dem schlichten Heiler und seinem nächsten Kundenkreis.  Urgemütlich war das Wesen und jeder Ton der lieben, alturdeutschen Sprache bei Ast. Dieses Lüneburger herzige Plattdeutsch berührte mich durchaus anheimelnd. Ich war damals Leiter eines größeren Kurhauses bei Hannover und sagte zu Ast: „Ich komme nicht, um mir von Ihnen eine Diagnose stellen zu lassen, sondern um mich zu überzeugen, was Sie tatsächlich können und welche Merkzeichen Sie für Ihre Diagnosen im Haare gefunden haben.“ Denn es interessiert mich zu wissen, warum er gerade das Nackenhaar zu seiner Untersuchung auswählte.

Ast antwortete nicht auf meine Frage, sondern er fragte verwundert: „Sei hebt wohl nix to daune“ (d.h. Sie haben wohl nichts zu tun). Diese Frage dokumentierte abermals den fast alles beherrschenden Erwerbssinn dieses Mannes, der es nicht begreifen konnte, daß jemand aus rein wissenschaftlichem Interesse Zeit und Geld daran setzt, um eine Reise von Hannover nach Lüneburg zu machen. Als zweite Antwort, die unmittelbar dieser ersten sonderbaren Gegenfrage folgte, war ein flinke Bewegung zu mir her mit einer großen Schere, und ehe ich sagen konnte, nun, Sie wollen doch nicht etwa auch Haare aus meinem Nacken schneiden, war dieses schon geschehen, ich dachte: alle Achtung vor diesem virtuosen Überfall.  Ich konnte hierüber und über all das Originelle, was ich sah, nicht böse werden und ließ, wie man sagt, „fünfe“ gerade sein. Unterdes besah Ast vor dem hell hereinscheinenden Tageslicht am Fenster, es mit seiner Linken hochhaltend, mein Haarbüschel und erklärte langsam und deutlich: Luftröhrenentzündung, Lungenspitzenkatarrh und Nervosität, geistige Überanstrengung und zu wenige Nachtschlaf.

Ich war höchst überrascht, denn das stimmte. Auf die Frage, ob er noch feststellen könne, wann bei mir die beiden ersten Krankheiten aufgetreten seien, antwortete er, „vor sechs Jahren“; meine Bewunderung stieg, denn auch das stimmte genau. Er sagte auch, der Lungenkatarrh sei noch nicht ganz ausgeheilt, auch das traf zu. An Nervosität und Schlaflosigkeit litt ich noch, dieses stimmte ebenfalls; denn ich war durch eifriges Studium bei den verschiedenste Kranken und in bezug auf die verschiedensten Heilmittel Monate eifrig beschäftigt gewesen, um endgültig festzustellen, wie weit sich auch leichtere Krankheiten aus Augen und Gesichtsausdruck bestimmt feststellen lassen, und wie weit die verschiedenen Heilmethoden und Mittel auf diese und jene Körperkonstitution und Krankheit günstiger oder ungünstiger wirken. Ich wollte hierdurch zu bestimmten Ergebnissen kommen, ob die Allopathie oder Homöopathie, ob die Biochemie oder Naturheilkunde oder ob die geistige Heilweise die beste sei. Zu diesem Zweck hatte ich Ärzte und Vertreter dieser verschiedensten Heilrichtungen in meiner Anstalt zugelassen. Das Resultat gebe ich teilweise beim Abschnitt „Naturellehre“ hier bekannt. Ich interessierte mich jetzt lebhaft für Ast, forschte alles genau nach und fand bestätigt, daß eine Anzahl Krankheiten im Nackenhaar Veränderungen hervorrufen. Asts Fähigkeit, Diagnosen zu stellen ist mehr als einfache Übung, es ist eine bedeutende angeborene Gabe, mit Hellfühlen gepaart. Seine Heilmittel sind milde, gut bewährte alte Medizinen, doch einseitig gewählt, daher weniger von Interesse.

Wie ich erfahren haben, haben Ast und seine Vorfahren aus einem alten Buche aus dem Mittelalter, in dem ein gelehrter Mönch Studien über Haarzeichen bei verschiedenen Krankheiten gemacht hat, die Anregung zu der Haardiagnose erhalten.

Ich habe gefunden, das Haar ändert sich stark bei Tuberkulose, Gicht, Wassersucht, Nervenleiden, Blutarmut und Irrsinn. Schon Raffael zeigt in einem seiner Werke, einem Gobelin in der Dresdner Galerie „Paulus predigt Korinthern“, die charakteristischen Haarformen der verschiedenen Gruppen, wie sich beim Wohlwollen und Glauben das Haar edel legt, bei böswilliger Kritik widerhaarig stellt. Sowie nun im Haar sich der Gemütszustand charakterisiert, so erklärt sich auch der Einfluß der Krankheiten auf die Haarform.


Heinrich Bossard und seine physiognomische Kunst

Der bedeutendste mir bekannt gewordene Autodidakt in der Gesichtkunde ist nach meinen Forschungen der ehemalige Porträt- und Dekorationsmaler Heinrich Bossard in Dresden gewesen. 

Dieser Wirklich hervorragende Mann ist jedoch in wissenschaftlichen Kreisen nie zur Geltung gekommen, sondern er wirkte als praktischer Psychologe und Gesundheitslehrer, als Wanderredner in Dresden, Leipzig, überhaupt zumeist in Sachsen, in den sechziger und siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts.

Später hat er auch Norddeutschland und einen Teil von England bereist und soll Anfang der achtziger Jahre infolge Ansteckung an den Pocken gestorben sein.

Außer einigen Flugblättern und physiognomischen Zeichnungen, letztere mit Kopiertinte hergestellt und vervielfältigt, ist mir sonstwie nichts an Schrift oder Bildwerken von ihm bekannt geworden. Jedoch aus dem Wenigen, was Bossard über Physiognomik geschrieben und gezeichnet hat, habe ich nur ein gutes Urteil bilden können. 

Dieses Urteil fasse ich dahin zusammen, daß ich in Bossard den begabtesten und weisesten Lebensforscher und Physiognomen seiner Zeit kennen und schätzen gelernt habe. Er stand auf dem Boden der epikureischen Philosophie, Lebensgenuß, Lebensschönheit, Menschenliebe und Weisheit waren seine Lebensideal, bei völliger Entfaltung der individuellen Persönlichkeit und Freiheit. Allem Kirchlichen war er abhold, allem Vielwissen gegenüber war er ein Gegner. Alle Vielarbeit und Überarbeit bekämpfte er. Bossard glaubte wohl an einen Gott, im übrigen aber war er Materialist im angenehmsten Sinne. Er suchte die Lebensregel: 8 Stunden Schlaf, 8 Stunden Arbeit und 8 Stunden dem Genuß, praktisch zu verwirklichen.

Der Genuß, den Bossard jedoch lehrte, war ein edler, sinnlicher Genuß, also ein vergeistigter Genuß bei weisem Maßhalten, dabei war die denkbarste Lebensvereinfachung sein Ziel.

Man sieht hieran, Bossard ging andere Wege als ich, denn mir gilt die intensivste und umfassendste wissenschaftliche Forschung und die anstrengendste Körperarbeit als unbedingte Grundlage aller Höhenkultur.

Die Erforschung der geistigen Welt, die Harmonie mit dem Letzten und Unendlichen, die Erschließung aller Geheimnisse aller Natur- und Lebenskräfte ist mir das Ideale. Erst in zweiter Linie gilt mir Liebe, Ruhe, Schlaf und Genuß als verdienter Lohn dieser Arbeitsleistungen. Auch gilt mir das freie Opferbringen für das Gute als verehrungswürdig.

Bossards Physiognomik stützt sich auf die alte Temperamentslehre der Griechen. Der Gesichtswinkel diente ihm als unbedingte Grundlage, und die konstanten Nasen- und Gesichtstypen waren seine Hauptforschungsobjekte. Er suchte die feste Kopf- und die feste Gesichtsbildung, also die Physiognomik und die Phrenologie, gut zu verbinden.

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Bossard kannte jedoch nicht die Entwicklungslehre, sowie die Heliodalebenskraft und ihre Einwirkung auf die Form und Physiognomie. Das eine war aber von ihm richtig erfaßt, nämlich, daß er im Gesicht mehr zu lesen suchte als in der Schädelform. Was er als physionomischer Künstler geleistet hat, darüber sind mir von Augenzeugen und solchen, die sich von ihm haben untersuchen und beurteilen lassen, sehr anerkennende Zeugnisse übermittelt worden. In den zwei hier abgedruckten physiognomischen Studien gebe ich einige Originalzeichnungen von diesem natürlichen physiognomischen Naturforscher wieder.

Das erste Bild stellt drei Köpfe dar und soll die Idee wiedergeben, daß Liebe und Pflege in der Kindheit und Jugend (Figur J) Körper und Seele zur schönsten Entfaltung bringen (Fig. A) und daß Entbehrung von Ruhe, Schlaf, Nahrung, Liebe und Freude den Menschen (Fig. U) zur häßlichen Karikatur macht und zur Entartung führt, insbesondere wenn Lieblosigkeit, körperliche und geistige Überanstrengung sich dazu gesellen.

a. Glückseligkeit.                            b. Weisheit.                                c. Vernunft

In der zweiten Zeichnung gibt Bossard Aufschluß über seine Auffassung der verschiedenen Nasentypen. Was spricht die gerade, die gebogene, die Stumpfnase aus? Die Deutungen sind, synthetisch genommen, zutreffend. Nur analysiert er die einzelnen Nasenformen nicht näher und läßt und völlig im Dunkeln über die physiognomisch-anatomischen Ursachen und über den Zusammenhang der Formen der einzelnen Nase mit den inneren Organen des Körpers. Die bemerkenswerteste Eigenart an Bossards physiognomischem System ist der Glaube an den Adel des Blutes. Niedrigkeit und Hoheit der Gesinnung, Krankheit und Gesundheit glaubt Bossard schon an den Stoff, an das Blut gebunden.

d. Verstand.                    e. Verwahrlosung.

Obwohl er noch keine Kenntnis von meiner Lehre über den differenzierten Empfindungsäther hatte, muß man sich doch wundern, daß dieser Mann auch auch hier sich auf dem ungefähren richtigen Nebenwege befand, der zu dem Hauptweg der Wahrheit hinführt. Bossard*) ist mein bedeutendster Vorläufer gewesen, niemand hat mehr als er meine Teilnahme für die weitere Erforschung der alten physiognomischen Kunst und Wissenschaft erregt, einer Wissenschaft, die zur Zeit Bossards noch in den Windeln lag und wie ein Sphinx mit sieben Siegeln mehr ein Sammelsurium von Rätseln als eine Wissenschaft war. Erst mit Hilfe der Entwicklungslehre und meiner Entdeckungen über die formgebenden Lebenskräfte sah ich als Jüngling im Geiste die Morgenröte zu einer großen werdenden Lehre, die hier vollendet dasteht, voraus.

*) Sollten Leser dieses Werkes in die Lage kommen, über Heinrich Bossards Leben und Wirksamkeit Näheres in Erfahrung zu bringen, so würde ich für alle weiteren näheren Mitteilungen dankbar sein.  Ich möchte alle etwaigen Manuskripte, Skizzen, Handzeichnungen und Druckschriften, die sich von H. Bossard etwa noch vorfinden, in meinem Museum für Psycho-Anthropologie in pietätvoller Weise zu Ehren bringen und unter die besten Forschungsergebnisse der Vorzeit dieser neuen Lehre einreihen.


Die Konstitutions-, die Temperamentslehre und die geistigen Stufen nach Carus

Am Schlusse dieses Abschnittes möge noch die Konstitutions- und Temperamentslehre von Karl Gustav Carus nach dessen Originaldarstellung angeführt werden. Carus faßt die Konstitutionen als rein körperliche, die Temperamente als rein geistige Typen auf. In der Temperamentsauffassung weicht Carus meiner Ansicht nach zu sehr von den physiologischen Grundlagen ab.

Nach meiner Auffassung ist das Temperament mit von körperlichen Bedingungen abhängig, jedoch ebensowenig ausschließlich von anatomischen, wie psychischen, als vielmehr von physiologischen Bedingungen, die lediglich mechanischer Natur sind. Als Gegensatz zu den psychischen Temperamenten hat Carus die Körperlichen Konstitutionen aufgestellt, und er will die Konstitutionen im Rumpf- und Gliederbau, die Temperamente mehr im Gesichtsbau ermittelt wissen. Man sieht hieran, daß Carus eine schärfere analytische Untersuchung hierüber angestellt hat als die amerikanischen Phrenologen Gebrüder Fowler, die bekanntlich beides, Temperament und Konstitution, irrtümlich miteinander identifiziert haben.

Carus
A. Die sechzehn Konstitutionen nach Carus:
1. Die Cerebrale oder psychische			                 9. Pneumatische
2. Sensuelle oder sinsibel 				                 10. Cholerische
3. Athletische 						                 11. Chlorotische
4. Phlegmatische 					                          12. Atrophische
5. Apathische 						                 13 Phthisische
6. Asthenische 						                 14. Lymphatische
7. Böotische 						                 15. Lascive
8. Phlethorische 					                          16. Sterile Konstitution.
    a) arterielle
    b) venöse

B. Die sechs Temperamente nach Carus
1. Cholerisches oder enerisches 				                   4. Melancholisches
2. Phlegmatisches 					                            5. Psychisches
3. Sanguinisches					                            6. Elementares Temperament.

C. Die vier geistigen Stufen nach Carus
1. Genius. 						                            3. Elementare Menschheit.
2. Talent. 						                            4. Idiot.

Carus unterscheidet weiter 12 Sinne für Erkenntnis, 11 für Gefühle und 9 für Triebe, insgesamt 30 besondere geistige Sinne, die er in der Region des Antlitzes und des Schädels ersehen will; leider hat er gar keine Merkzeichen dafür angegeben. Es scheint aber, als wenn er, was Schädelmerkmale anbetrifft, die Phrenologie größtenteils anerkannt hat.

Levitating Stone
(Hinzugefügt)
Jedem zum Erfolg in praktischer Menschenkenntnis zu verhelfen, dazu soll dieses Lehrwerk besondere Dienste erweisen.



Erstellt 1995. Update 24. März 2007.
© Medical-Manager Wolfgang Timm
Fortsetzung
Hauptwerk. 2. Auflage. 1929. Hrsg. Amandus Kupfer

Die  Kronen symbolisieren die höhere Natur in jedem Menschen, sein individueller potentieller innerer Adel. Jedermann ist verpflichtet seinen inneren Adel nach Albrecht Dürer und Carl Huter zu heben.
Hauptwerk - Lehrbrief 5 (von 5)
 
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