Menschenkenntnis Lehrbrief V. - Part 22
 
Hauptwerk 1904-06. Carl Huter
Bearbeitung: Medical-Manager Wolfgang Timm

FORTSETZUNG

SECHSTER TEIL DES LEHRSTOFFES

Die Kriminal-Anthropologie
A. Lombrosos Verbrechertypenlehre, Bertillons Meßsystem, die Chromantie, Händezeichen- und Fingerab-druckkunde. Daktyloskopie.
B. Skaubs und Borrées neueste Beiträge zur Mimik. Physiognomische Studien eines Hamburger Malers.
C. Die Graphologie.

Unter dem Namen Anthropologie ist die wissenschaftliche Forschung über den menschlichen Körper, sowie über die Uranfänge des Menschen und über die Eigenheiten der verschiedenen Menschenrassen seit einer Reihe von Jahren von medizinischen und nichtmedizinischen Forschern fleißig gefördert worden. 

So ward z.B. insbesondere von zahlreichen Pädagogen manches gute Buch für die Schuljugend geschrieben, worin der Mensch behandelt wurde. Merkwürdiger Weise wurde aber darin meist der eigentliche Brennpunkt der Menschenkenntnis, die Psycho-Anthropologie, so wie sie durch die Phrenologie, Physiognomik und Mimik gefördert und längst bekannt geworden ist, gar nicht berührt. Nur wieviel Knochen der Mensch hat, mit wieviel Zähnen er kaut, daß er Lunge, Herz, Magen, Nieren u. dergl. Eingeweide besitzt und daß frische Luft gesund ist, daß der Mensch Wille, Gemüt und Seele und dazu fünf Sinne habe und noch mehr dergleichen Unterhaltungen kehren in den meisten solcher Bücher wieder.

Man kann also hier, streng genommen, nicht von Förderung der Wissenschaft vom Menschen selbst reden, sondern lediglich von Verbreitung der allergewöhnlichsten bekannten Tatsachen. Immerhin ist das schon als ein kleiner Fortschritt zu verzeichnen, denn vor 50 Jahren gab es wenigsten für Volksschulen weder im Lehrplan noch durch private Befürwortung seitens vorgesetzter Schulinspektoren solche Lehrsitten!.

Außer modernen Schulmännern, die endlich Sympathie für diese Dinge faßten, sind auch eine Anzahl Juristen bemüht gewesen, ihre Privatbeobachtungen insbesondere bei Verbrechern niederzuschreiben. Diese Schriften und Aufsätze waren meist von dem Bestreben erfüllt, die Physiognomik zu fördern und daher tatsächlich von gewissem wissenschaftlich anregendem Interesse.

Am meisten darauf angewiesen, aus äußeren Merkmalen Schuld oder Unschuld einer verdächtigen Person auszuforschen, sind die Polizeiorgane, Untersuchungsrichter und Kriminalbeamten. Viele strebsame Personen dieser Berufszweige haben daher jeden Forschritt freudig begrüßt, der sich ihnen dargeboten hat, wenigstens nach dieser Richtung hin praktische Anthropologie zu treiben. Man kann sagen, daß zurzeit in allen Großstädten der Kulturstaaten die besseren Kräfte der Polizei- und Strafjustizorgane sich teilweise schon mit der Kriminalanthropologie vertraut gemacht haben. 

Vielleicht fügt es das Schicksal, daß gerade durch diese Organe die herrlichste aller Wissenschaften, die Psycho-Physiognomik, noch einmal am ehesten erkannt und gefördert wird. Die Anfänge dazu sind ja schon gemacht durch vielfache Anerkennung der Lombrososchen Forschungen. Unter Kriminalanthropologie faßt man zurzeit insbesondere diese Verbrechertypenlehre auf.

Im Jahre 1876 gab Cäsare Lombroso sein erstes Werk heraus, dem er bis 1893 weitere folgen ließ und die sämtlich ins Deutsche übersetzt worden sind. Sein bekanntestes Buch ist „Genie und Irrsinn“; in diesem Werk sucht er nachzuweisen, daß geniale Menschen oft bis zum Irrsinn gehende Ideen entwickeln, sobald die Steigerung der Gehirntätigkeit über die vorhandene Kraft hinausgeht. Tatsache ist es, daß manche hervorragende Dichter, Künstler und andere Geistesheroen durch Überanstrengung in Geistesumnachtung verfielen, oder auch, daß sie zur gleichen Zeit, während sie genial nach der einen Seite hin schafften, nach einer anderen fast wie verblödet waren.

Der große Archimedes, ein Genie in der Mathematik, sah die Gefahr der rohen Gewalt eines Kriegers nicht, zu dem er sagte: „Stör´ mir meine Kreise nicht“, worauf ihn dieser ermordete. Der weise Sokrates war so blödsinnig in bezug auf seine Selbsterhaltung, daß er den Giftbecher vorzog, wobei er doch sein Leben gerettet hätte und seine Lehren in einer neuen Heimat weiter ausbauen konnte. Daß die politisch talentvolle Kaiserin Katharina von Rußland groß in der Politik und zugleich eine verbrecherisch Irrsinnige war, ist ebenso erwiesen, wie die Genialität des großen Napoleon als Feldherr, der zugleich mit kalter Grausamkeit die Besten seines Volkes unnütz opferte, woran das einstig große Frankreich heute in seiner Nachkommenschaft noch leidet. Denn diese Besten zeugten keine Kinder oder nur im Auslande.

*) Durch die unbegreifliche Vernachlässigung der Menschenkenntnis und Gesundheitslehre in den Volksschulen ist vom Volke instinktiv gesucht worden, diesen Wissensmangel nachzuholen, und daher der enorme Absatz mancher Naturheilbücher, die leider vielfach oberflächlich, einseitig und irreführend sind.

Daß Lombroso auch Schiller und andere bedeutende Dichter als belastet auffaßt, ist doch wohl zu weitgehend, und gerade diese seine gewagten Schlüsse haben ihm viel Gegner gemacht. In der Tat berührt es höchst unsympathisch, wenn Schiller, unser deutscher Nationalheiliger, in solche Betrachtung gezogen wird. Denn dieser Mann, der die höchsten Ideale gesucht und teilweise auch gebracht hat, war, wenn auch nicht frei von menschlichen Fehlern, doch eine herrliche Erscheinung. Vor dem Riesengeist Schillers sollte jede derartige Kritik schweigen. 

Streng genommen hat jedoch Lombroso, abgesehen von seinen Fehlschlüssen bei einzelnen Genies, vom allgemeinen Standpunkte aus recht, denn ist das Genie die höchste Steigerung menschlicher Geisteskraft, so folgt naturgemäß der Übersteigerung der höchstmöglichsten Grenze der geistigen Energie ein Rückschlag, dem die Erschöpfung folgt. Auch ist es Tatsache, daß, während der Geist nach einer Seite hin genial arbeitet, er zugleich nach einer anderen Beeinträchtigung erleiden kann.

Virchow, hervorragend in der pathologischen Anatomie, sah nicht die Werte der Phrenologie. Gelehrte Theologen sind oft grausame Barbaren gegen Andersgläubige, ja selbst noch gegen die Toten gewesen.

Bismarck, in der äußeren Politik ein Meister, war fast unzugänglich für soziale Reformen und mitleidlos gegen andere Fürsten und Völkerstämme.

Es ist natürlich, wenn das Gehirn mit einigen Organen alle Kraft verbraucht, daß bei den übrigen Organen, von denen die Kraftzuschüsse genommen werden, sich ein Manko (Schwachsinn) einstellt. Es ist dieses jedoch nicht immer so. Ausnahmen von dieser Regel kommen vor, daher gibt es auch sogenannte Universal-Genies, welche nach den verschiedensten Seiten hin Großes leisteten und in allen Dingen ein gesundes Urteil und eine vortreffliche Tatkraft besaßen. Solche Naturen waren Moses, Pythagoras, Plato, Aristoteles, Friedrich Barbarossa, der Philosoph Leibniz, Thorwaldsen, die Dichter Shakespeare und Goethe. Ich werde später in der Naturellehre nachweisen, wie sich diese allseitige Geistesfrische erklärt.

Wir sehen an diesen Darlegungen, daß Lombroso in vielen Punkten mit seinen Anschauungen im Recht ist, daß er sich aber auch in sehr vielen irrt und über manchen keinen Aufschluß zu geben vermag. 

Mit Hilfe der Gallschen Phrenologie dringen wir weit tiefer in diese Materie ein, und gänzliche Klarheit wird uns durch diese Psycho-Physiognomik werden.

Ein anderes kleineres Werk schrieb Lombroso über die Handschriften der Verbrecher. Seine Deutungen darüber im Sinne der Graphologie sind beachtenswert.

Eigenartig ist die von ihm vertretene und eingeführte Anschauung, daß das weibliche Geschlecht mehr dem Verbrechertypus nahe komme als das männliche, und daß das Weib moralisch minderwertiger sei als der Mann. Auch mit dieser Idee stieß er auf manchen Widerstand. Er entgleiste auch hier in seinen teils zu weit gehenden Schlußfolgerungen. Doch eröffnete Lombroso hier auch beachtenswerte Gesichtspunkte.

In einem hat Lombroso wirklich ganz Bedeutendes geleistet und zwar in seinem großen dreibändigen Werk „Der Verbrecher in anthropologischer, ärztlicher und juristischer Beziehung“. Hier hat er mit einem bewunderns-würdigen Fleiß und mit einer Sachlichkeit gearbeitet, der ich meine vollste Anerkennung zollen muß. Hier ist Lombroso ein bahnbrechender Vorarbeiter, der uns Hochachtung vor seinem Werke abzwingt. Auch noch auf einem anderen Gebiete ist er mit einer schätzenswerten Sachlichkeit in die Öffentlichkeit getreten, nämlich auf dem Gebiete des Spiritismus. Lombroso schrieb über das Werk „Geschichte des Spiritismus“ von Cäsar Baudi von Vesme wörtlich folgendes: „Als jahrelanger Feind des Spiritismus habe ich doch vor den Tatsachen meine Meinung ändern müssen und bin ein Sklave der Tatsachen geworden, obwohl ich mit den Theorien und Hypothesen der Spiritisten noch nicht einig werden konnte. Aber gerade deshalb habe ich großen Nutzen aus der „Geschichte des Spiritismus“ von Cäsare di Vesme gezogen und tue es noch heute, weil sie uns Tatsachen liefert, gesichtet und gesiebt mit der einsichtsvollen Kritik des Naturforschers...“ 

Ich bemerke hierzu, daß Lombroso Jahre hindurch strenge Beobachtungen an Medien angestellt hat und sich auf Grund eigener kritischer Untersuchungen persönlich von den spiritistischen Tatsachen überzeugt hat.

Bevor ich nun die Lombrososche Verbrechertypenlehre kennen lernte, hatte ich bereits eine eigene Verbrechertypenlehre gefunden, mit Hilfe deren ich aus dem Gebiete der Erkennun von verbrecherischen Anlagen aus körperlichen Wahrzeichen einiges bringen will, um erst dann näher auf Lombrosos Forschungen einzugehen. In den weiteren Abschnitten werde ich meine besonderen Ansichten über Verbrecher und Verbrechen entwickeln.

Ende der achtziger Jahres des vorigen Jahrhunderts, als ich noch ebensoviel mit Pinsel und Palette in der alten Bischofsstadt Hildesheim tätig war als mit anthropologischen Forschungen und Lehrvorträgen, verkehrte ich zeitweilig im „Altdeutschen Hause“, einer vielbesuchten Gaststätte auf der Osterstraße.

Der Besitzer, Herr B., hatte auf dem Hauptstammtische, unmittelbar vor dem Schanktische, eine Sammelbüchse zwecks Sammlung von freiwilligen Gaben zu dem Turmbau der Andreaskirche zu Hildesheim aufgestellt. Der Schlüssel dieses Geldbehälters war im Besitz des Vertrauensmannes eines öffentlichen Sammelausschusses für die Kirchenbaukasse. Allabendlich wurde der Inhalt der Büchse gezählt und von dem Vertrauensmanne wieder in die Büchse getan und verschlossen, und nur allwöchentlich wurde der Inhalt der Büchse von demselben geleert und der Hauptkasse des Kirchenbaus überwiesen. Eines Sonnabends spät abends wurde der Betrag wieder gezählt, es waren annähernd 20 Mark darin. Da nun gewöhnlich erst Sonntagabends der Betrag von dem Kassenwart abgeholt wurde, so wurde derselbe auch diesmal wieder in den Kasten getan und eingeschlossen. Am anderen Morgen fand man den Kasten erbrochen vor, und der Inhalt war gestohlen. Dieses konnte nur während der dazwischen liegenden Nacht geschehen sein und aller Wahrscheinlichkeit nach von einer Person, welche mit dem Verhältnissen vertraut war. Der Wirt und dessen Ehefrau, welche stets stolz darauf waren, daß in ihrem Lokal nette Beträge für den Turmbau zusammen kamen, waren über diesen Diebstahl sehr nervös geworden, sie brachten das ganze Personal in Aufregung, denn einer von ihren Leuten, meinten sie, müsse es bestimmt gewesen sein.

Während nun die Wirtsleute ihr Personal unwillig durchmusterten und bald die eine, bald die andere Person verdächtigten, leugneten alle, und das Ergebnis dieser Untersuchungsmethode war völlig unbefriedigend. Ich saß während dieser Zeit stillschweigend und beobachtend an dem gleichen Stammtische und hatte mir fleißig Notizen und Bleistiftskizzen in mein Notizbuch gemacht, worauf ich meine Berechnungen anstellte. Bald war ich mit dem Resultat im Reinen. Von mir war der Täter jetzt sicher festgestellt. Da ich solche Privatforschungen stets für mich behielt, so war es ursprünglich nicht meine Absicht, dieses dem Wirte bekannt zu geben. Mögen die Polizeiorgane das Ihre tun; wenn deren Wissenschaft nicht hinreicht, kannst du gegebenenfalls immer noch nachhelfen, dachte ich.

Ich wartete ruhig den Verlauf der Dinge ab, auch die Polizei brachte nichts heraus und gab den Fall auf, da ja gar kein Beweis über irgendeine Person zu erbringen war. Der Wirt, fast verzweifelt über das Ergebnis, setzte sich mit den Polizeibeamten vertraulich zu mir; dieser und jene meinten dann, ob es denn wohl wirklich möglich sei, daß man mit meiner Methode der Menschenkenntnis die schuldige Person ausfindig machen könne. Als ich das bejahte und dem Wirt erwiderte, bei mir stände der Täter fest, da entschuldigte er sich, daß er früher so oft die Sache ungläubig angesehen habe, und bat mich, ich möchte ihm doch die Person bezeichnen, damit die Sache geklärt und er diejenigen seiner Leute, die unschuldig seien, aus der unangenehmen Lage herausbringen könne. Ich sagte ihm, daß ich im Belange der Gerechtigkeit und zur Entlastung des Verdachts von den Unschuldigen dieses freiwillig gern tue; da ich jedoch die heute herrschende Strafmethode als höchst unvollkommen betrachte, so bedinge ich mir für den Täter einen nachhaltig wirkenden, erzieherischen Einfluß aus; denn nur Ausstoßung und Strafe allein wirken nicht verbessernd auf jugendliche Personen, welche sich vergehen.

Ich legte nun meine Ansichten über die Erziehungsmittel dar, die man bei jugendlichen Verbrechern anwenden müsse, der Wirt versprach dieses zu beachten, er ließ seine Angestellten der Reihe nach derart durch irgendeine Beschäftigung unter meine Beobachtung kommen, daß niemand der Zweck erraten konnte.

Als die Reihe an einen 16 jährigen jungen Mann kam, zufällig der letzte in der Reihe, und ein Mensch, in dem man am allerwenigsten den Täter vermutet hatte, sagte ich dem Wirt ganz leiste und unvermerkt, daß ich aus den und den Augen-, Kopf- und Gesichtsmerkmalen den Täter erkenne. Der Kopf und das Gesicht zeigten die Veranlagung zu verbrecherischen Taten. Das Auge und die Mimik der Gesichtszüge verrieten mir die wirklich ausgeführte Tat. 

Der Wirt folgte mit sichtlicher Anteilnahme, er ging freudig zu seiner Frau und suchte auch die zur Psycho-Physiognomik zu bekehren, er hatte in der Tat die ihm gezeigten physiologischen Merkmale bis zu einem Grade gut erfaßt. Er war nun wie umgewandelt. Einmal freute es ihn, daß ich den Täter überhaupt herausgebracht hatte, zweitens, daß die unschuldig Verdächtigten gerechtfertigt würden. Aber er sah auch ein, daß meine Methode, auf guten Grundlagen ruhend, praktischen Wert hat.

Als der junge Übeltäter, zur Rede gestellt, leugnete, brachte er die Wirtleute abermals außer Fassung, auch ein hinzu gerufener Schutzmann erlangte kein Geständnis. Ich weihte nun den Wirt und seine Gattin ein, wie man es anfangen müsse, ein Geständnis zu bekommen. Hatte sich nun der Wirt von schnellerer Auffassung in bezug auf die physischen Merkmale gezeigt, wie auch seine Frau, so war er als Untersuchungsleiter sowohl vor als auch nach dem Bekanntwerden des Täters höchst ungeschickt, und er hätte uns beinahe den Erfolg verdorben. Ich bat ihn, er möge in dieser Sache völlig zurücktreten und mir und seiner Frau alles Weitere überlassen; er willigte ein. Ich verständigte seine Frau, und diese brachte nun in kurzer Zeit das Geständnis heraus. Von Stund an zählte auch sie zu meinen Anhängern.

Der junge Mann erzählte derselben in der Küche den ganzen Hergang, wie und wann er das gemacht habe. Damit war die Sache mit dem nötigen Nachspiel erledigt. Bild und Besprechung dieses Diebes folgt in dem 12. Abschnitte.

Kassendieb von Hildesheim von Carl Huter überführt

An diesem Beispiel möge man erkennen, daß ich eine eigene Verbrechertypenlehre unabhängig von Lombroso aufgestellt habe, aber ich möchte auch verraten, daß ich mit dieser nicht allein schwere Verbrecher, wie Lombroso es vermag, erkenne, sondern daß ich auch eine einzelne verbrecherische Tat, ohne die grobmerklichen Zeichen des Täters, die nach Lombroso nicht auf die Tat, sondern nur auf den Täter als Verbrechertypus passen, feststellte.

Am groben Verbrechertypus erkennt man den notorischen Verbrecher, aber niemals den nicht typischen Verbrecher. Dadurch hat mein System den Vorzug der praktischen Anwendbarkeit in jedem Strafverfahren. Es liegt auf der Hand: Kann die einzelne Tat, ohne daß ein auffällig merklicher Körpertypus nach dem System Lombroso vorhanden zu sein braucht, festgestellt werden, so ist der kriminellen Betätigung ein unschätzbares Mittel an die Hand gegeben.

Kann damit die Untersuchung geschickter geführt werden als bisher, so ergibt sich daraus eine gründliche Strafreform. Eine Anweisung nach dieser Richtung hin gebe ich noch in einem besonderen Werke. Vorerst brauchen wir bessere Gesetze, psychologisch und kallisophisch geschulte Polizisten und Juristen. Dieses Letztere, die ideale Rechtspraxis durch allseitig ideale Rechtsorgane, ist gerade die Krönung des ganzen Baues über eine neue Verbrecher-, Verbrechen- und Strafrechtslehre. Wegen ähnlicher Anregungen sympathisiere ich außerordentlich mit den Reformgedanken, die seit Jahren von einem unserer besten Strafrechtslehrer, Geheimrat Prof. Dr. jur. von Liszt, bekannt geworden sind. 

Ich möchte jedoch bemerken, daß Herr Geheimrat L. mehr die sozialen Umstände, die Umgebung, durch deren Einflüsse manche Menschen zu Verbrechen kommen, berücksichtigt wissen will. Dieser Gedanke ist zweifellos gut, aber die Persönlichkeit selbst ist meiner Ansicht nach doch stets die Ursprungsquelle jeder Handlung, folglich müssen auch Schuld und Unschuld aus dem körperlichen und geistigen Befunde des Täters selbst gesucht und abgemessen werden. Ich möchte daher die Lombrososchen Forschungen unbedingt mit befürworten und in erster Linie in der neuen Strafrechtslehre eingeschaltet wissen. Ich möchte jedenfalls Professor Liszts Reformvorschläge sehr gefördert sehen und schließlich auch Prof. Birkmeiers Ideen teilweise mit in Geltung lassen. Dürfte ich dann meine eigenen Reformvorschläge im neuen Strafrecht mit verwirklicht sehen, dann, glaube ich, werden wir zu einer idealen Strafjustiz gelangen, vorausgesetzt, daß man auf Grund der Menschen-kenntnis auch nur die edelsten und weisesten Menschen als Richter zuläßt. Dies aber ist das Wichtigste mit, was ein Volk anstreben kann, denn: „Gerechtigkeit erhöhet ein Volk, die Sünde aber ist der Leute Verderben“, sagt schon mit Recht die Bibel. 

Die Verletzung des Rechtsgefühls des Volkes durch mangelhafte Strafgesetze und oft noch unvollkommenere Handhabung derselben hat weite Volkskreise erbittert, und die Regierung ist dadurch in eine unangenehmer Lage gekommen. Meiner Ansicht nach sollte jede Regierung vermeiden, auf die Gewalt zu pochen, sondern dafür mehr die Fühlung mit dem Volke durch eine ideale Rechtspflege zu erhalten suchen. Nur da, wo Regierung und Volk eins sind im gegenseitigen Vertrauen und in Liebe und Hingebung füreinander, da ist die stärkste Regierung und das unbesiegbarste Volk. Darum stärke man wieder das Vertrauen aller Volksschichten durch eine durchgreifende Rechtsreform. 

Die klassische Strafrechtslehre, die Prof. Birkmeier in München vertritt, und die nicht den Täter, sondern nur die Tat des Täters allein ins Auge faßt, ist nicht ganz fallen zu lassen, aber sie ist auch nicht mehr unserer Zeit und unseren anthropologischen Erkenntnissen angemessen. Sie ist freilich wissenschaftlich einwandfrei, aber ihre Einseitigkeit und Starrheit führt zu Härten und bessert den Täter nicht.  Strafe soll aber die Besserungsmöglichkeit des Täters in sich schließen, daher ist auch die Todesstrafe verwerflich und der Täter von der Tat getrennt zu behandeln. Dabei verlange ich ein doppelte Sühne, eine objektive für die Tat und eine subjektive des Täters.

Um hier noch einen weiteren Beweis zu geben, wie ich mit meiner Psycho- Physiognomik Verbrecher nicht nur nach dem Leben, sondern auch nach der Photographie feststelle, davon möge der Bericht aus Nr. 159 der „Stettiner Abendpost“ vom Sonnabend, dem 5. Mai 1906, Kunde geben.

Ende April dieses Jahres kam ich nach Stettin und bereitete im Saale des „Hotel Preußenhof“ daselbst zwei Vorträge zu Anfang Mai vor. Der erste Vortrag behandelte die Geschichte der Physiognomik, im Anschluß daran mein System mit beweisführenden Demonstrationen; im zweiten Vortrag erklärte ich die Lebenskräfte, welche ich den Formen und Ausdrucksbewegungen zugrunde lege.

Trotz der gut gelungenen Experimente an über 20 mir völlig fremde Personen am ersten Abende, welche sämtlich das gute Resultat bestätigten, brachte nur eine Zeitung, der „Generalanzeiger“, einen guten sachlichen Bericht über den ersten Vortrag; eine andere, die „Abendpost“, einen annähernd befriedigenden. Drei andere Zeitungen brachten Berichte, welche nicht den Tatsachen entsprechend waren und eine totale Unfähigkeit der Berichterstatter, über derartige wissenschaftliche Dinge zu schreiben, an den Tag legten. 

Ich besuchte darauf die Redaktionen und Verleger der Blätter, welche irrige Berichte gebracht hatten, um die unfähigen Urheber von Angesicht kennen zu lernen und die Chefredakteure und ihre Verleger zum zweiten Vortrag einzuladen. Einer dieser Herren Verleger, der Besitzer der „St. Neuesten Nachrichten“ und der „Abendpost“, welcher selber nicht dem ersten Vortrage beigewohnt hatte, schickte mir darauf eine Photographie zu, welche mir von einen seiner Herren Lokalredakteure persönlich überbracht wurde.

Der Herr bat mich, die Person des Bildes, welche mir völlig unbekannt war, auf ihren Charakter hin zu beurteilen, und meinte, daß, wenn mein Urteil richtig ausfalle, würden ihre beiden Zeitungen für meine neue Sache eintreten, weil damit dann ihrem Herrn Verleger und den beiden Redaktionen ihrer Blätter der einwandfreie Beweis noch einmal erbracht sei*). 

*) Man wird sich an diesem Beispiel zugleich eine annähernde Vorstellung machen, mit welchen Schwierigkeiten und Hindernissen eine neue Lehre einzuführen ist, wenn man 20 fremde Personen ohne einen einzigen Fehler psychologisch richtig beurteilt hat und diese riesige Leistung noch nicht überzeugend erachtet wird, weshalb noch ein Nachbeweis erbeten wurde.

Als ich das Bild sah, glaubte ich, die Person, welche es darstelle, sei von dem Zeitungsbesitzer vielleicht als Maschinenarbeiter oder –meister neu eingestellt, und man wolle darum Aufschluß über den Charakter desselben haben. Ich sagte dem Herrn Redakteur, ich möchte über das Bild dieses Mannes kein Urteil abgeben, denn das würde derart ausfallen, daß, wenn derselbe Kenntnis davon erhalte, er die Charakteranalyse doch ableugnen würde; man würde dann zunächst nicht mir, sondern dem Ableugner glauben und erst später durch dessen Taten, die man wohl bald erfahren würde, mir wieder recht geben. Nachdem mir ehrenwörtlich versichert wurde, daß man dem Herrn nichts von meiner Beurteilung über ihn bekanntgeben wolle, sagte ich: „Dann sagen Sie Ihrem Vorgesetzten sofort, daß er diesen Mann entlasse, falls er ihn schon eingestellt hat, denn das ist ein notorischer Verbrecher, ein Dieb und Einbrecher, und er scheut unter Umständen auch nicht vor Schlimmerem zurück. Sie würden sicher in wenigen Tagen schon in Ihrem Betriebe etwas erleben, wenn Sie nicht eiligst diesen Mann entfernen.“ 

Ich machte noch mehrere Mitteilungen, und der Herr Berichterstatter entfernte sich mit seinem Bilde. Bald wurde bei mir angefragt, ob ich nicht schriftlich dieses mein Urteil über den Charakter und die sonstigen Anlagen und physischen Zustände dieses Mannes abgeben wolle, ich könne dieses auf der Redaktion tun. Ich willigte ein, am anderen Morgen diesem nachzukommen, da mir denselben Spätnachmittag die Zeit fehle, weil ich mich noch für den Abend zum zweiten Vortrage vorbereiten müsse. 

Am gleichen Abend fand mein zweiter Vortrag statt. Das Publikum war noch mehr befriedigt als am ersten Vortragsabend. An verschiedenen sehr guten getreuen Aufnahmen einer berühmten Somnambule erklärte ich die verschiedenen Ausdrucksbewegungen und wie man nach bestimmten Regeln an denselben auf bestimmte Gedanken und Gemütserregungen zu schließen vermag, wodurch ich den sichtbaren Zusammenhang zwischen Körperausdruck und Seelenstimmung nachwies. Auch wie hierbei die Helioda als formgestaltendes Prinzip mitwirkt, wurde erklärt und schließlich hinzugefügt, daß die Ergebnisse, welche die Hypnose durch Ideen und Gedankensuggestionen erzielt habe, meine Lehren erhärten. 

Am Schluß gab ich persönliche Beweise von der mir innewohnenden, gut entwickelten Strahlkraft, die auf weitere Entfernung auf andere Personen fühlbar wirkt. Als auch diese angestellten Versuche gut gelangen, brach das Publikum in einen langen Beifallssturm aus.

Diesem Vortrag wohnte der Herr Verleger von der „Abendpost“ und den „St. Neuesten Nachrichten“, sich still im Hintergrunde aufhaltend, bei, und er lud mich nach Schluß des Vortrages nochmals ein, den anderen Morgen zu ihm zu kommen, um mein Urteil über die mir vorgelegte Photographie schriftlich abzugeben. Trotzdem kann ich dem Herrn Verleger Koch nur dankbar sein, daß er, wenn auch kritisch, so doch überhaupt an eine Prüfung herantrat, wo es manche andere Tagesblätter vorziehen, sich einfach durch ebenso alberne als unwissenschaftliche Besprechungen zu blamieren und der Unkenntnis über diese Materie Vorschub leisten.

Ich begab mich des anderen Tages zu dem Privatbüro dieses Herrn und fertigte dort mein Urteil aus. Nachdem ich dasselbe abgegeben hatte, gratulierte mir der Herr K. und sagte, ich möge noch einen Augenblick warten, er habe dem Herrn Polizeiinspektor telephoniert, derselbe würde gleich erscheinen und wir würden von dem erfahren, wie weit mein Urteil richtig sei. Der beurteilte Mann sei tatsächlich ein Einbrecher und nicht in ihrem Geschäfte angestellt, sondern eingesperrt gewesen und kürzlich ausgebrochen, die Polizei suche ihn, zu dem Zweck sei der Redaktion dieses Bild zur Veröffentlichung übergeben worden. 

Diese Gelegenheit habe er wahrgenommen, meine Wissenschaft auf eine Probe zu stellen, er sei überwältigt von der Genauigkeit, mit der ich fremde Personen zu beurteilen vermöge. Mittlerweile trat der Herr Polizeiinspektor ein, der Herr wurde mir vorgestellt, und er bestätigte mit großem Interesse meine Angaben bis in die Einzelheiten hinein. In der Abendausgabe der „Stettiner Abendpost“ desselben Tages erschien darauf folgender Bericht:

In der gestrigen Ausgabe brachte die „Stettiner Abendpost“ eine Notiz, in der mitgeteilt wurde, daß der Bügler Friedrich Ewald, der zu Anfang April wegen eines schweren Einbruches in der Kleinen Domstraße verhaftet wurde, aus dem Krankenhaus, wohin er wegen einer Verletzung an der Hand vom Untersuchungsgefängnis aus gebracht wurde, verschwunden sei. Seitens der Kriminalpolizei wurden sofort die nötigen Schritte eingeleitet, um des Verbrechers wieder habhaft zu werden. Zu diesem Behufe stellte man uns auch eine Photographie des Flüchtigen zu, damit dieselbe in der „Abendpost“ veröffentlicht werde. – Es ist unseren Lesern bekannt, daß während der letzten beiden Abende der Privatgelehrte Carl Huter im „Peußenhof“ Vorträge über seine psychologischen und physiognomischen Forschungen hielt, die in der hiesigen Presse eine nicht übereinstimmende Beurteilung fanden. Das uns von der Kriminalpolizei zugestellte Bild des ausgebrochenen Ewald gab uns nun Veranlassung, Herrn Huter in bezug auf sein Können auf die Probe zu stellen. Wir übermittelten dem genannten Prviatgelehrten die Photographie, ohne auch nur den geringsten Anhaltspunkt über die zu beurteilende Persönlichkeit zu geben. Herr Huter konnte nach der ganzen Sachlage über die Zwecke, die wir verfolgten, nicht unterrichtet sein, ihm lag nur die Photographie vor. Unserem Gesuche um Beurteilung entsprach Herr Huter in freundlicher Weise durch die folgende Abhandlung:

Geehrte Redaktion!
Auf der mir vorgelegten Photographie ersehe ich aus den konstanten Einzelteilen des Gesichts, sowie aus dem ganzen Typus, wie auch ebenso aus dem mimischen Ausdruck – also den unter dem Willen stehenden beweglichen Gesichtszügen – einen Mann mit schweren verbrecherischen Anlagen.

Ich behaupte auf Grund meiner psycho-physiognomischen Methode, dass dieser Mann schon schwere Verbrechen begangen hat.

Die Art der verbrecherischen Neigungen und Handlungen bewegt sich nach der Seite des schweren Diebstahls und des Einbruchs, weiterhin zu Raub und in gegebenen Fällen auch zu Mord. Der Mann ist also zu Diebstahl, Raub und Mord im hohen Maß disponiert. Würde mir dieser Mann begegnen, oder würde er sich mir nähern, so würde ich ihn nicht einen Augenblick aus den Augen verlieren; ich würde ihn unter scharfer Beobachtung halten und ihm jede Gelegenheit zum Verbrechen abschneiden. 

Nach meiner Lehre müßte ein Mensch mit solcher Natur dauernd in einer Bewahrungsanstalt untergebracht werden, dort könnte er sich in nützlicher Arbeit betätigen. 

Die freie Selbstüberlassung unter Menschen sollte man diesem Unglücklichen nie gewähren, da er immer und immer wieder diese benützen wird, Verbrechen an seinen Mitmenschen und deren Eigentum zu begehen. Es hat bei diesem Menschen eine direkte moralische Verblödung Platz gegriffen.

Merkwürdigerweise ist nun im Gegensatz zu diesem moralischen Tiefstand die Willenskraft außerordentlich hoch entwickelt. Der Mann ist Tat- und Willensmensch durch und durch. Desgleichen sind die intellektuellen Fähigkeiten teilweise ganz vorzüglich entwickelt. So herrscht in seinem Verstandesleben eine große Fähigkeit vor, die Zeit, die Menschen und die Gegenstände, ja selbst die Umstände scharf zu berechnen. Desgleichen zeichnet sich der Mann jedenfalls auch durch große Körpergewandtheit aus.

Er ist im hohen Maße „gerissen“ und nicht nur zum Einbruch in der Freiheit, sondern auch zum Ausbruch bei vernachlässigter Beobachtung in Gefangenschaft tatfähig. Der Mann kann sich bei Schmerzverbeißung Selbstverstümmelung beibringen. Er wird auch Operationen ohne Chloroform ertragen, doch den von anderen ihm zugefügten Schmerz empfindet er weit mehr als den, den er sich selbst beibringt. Die Neigung zu Mord steht bei ihm nicht im Vordergrunde, sondern die Hauptneigung ist Raub und Einbruch, doch ist er in zweiter Linie zu Mord veranlagt. Der Grund hierfür liegt in seinem guten Glauben an das Leben, das heißt, er findet im lebenden Menschen etwas, was er nicht ohne weiteres zerstören man, und nur unter zwingenden Umständen würde er zum Morde schreiten. 

Sein Gesundheitszustand hat gelitten, es ist eine Disposition für Erkrankung der Atmungsorgane und der Nieren vorhanden. Im ganzen steht diese unglückliche Natur unter dem Zeichen der schwersten Belastung. 

Würde die von mir durch eine mehr denn zwanzigjährige Lebensarbeit begründete Methode der Psycho-Physiognomik allgemein gelehrt werden, so würde jeder in der Lage sein, sich vor Verbrechern zu schützen, und den Behörden würden Hilfsmittel in die Hand gegeben, wodurch sie leichter auf die Spur von Verbrechern kämen, als es jetzt oft der Fall ist. 

Man würde solche konstitutionell belastete typische Verbrecher auch niemals in die Freiheit zurückkehren lassen; man würde sie in Zwangsarbeitshäusern lebenslänglich beschäftigen.

Dieses sind meine wenigen Ausführungen. Ich bitte nun um Ihre baldige gefällige Nachricht, ob Ihnen diese Probe meines Systems der praktischen Menschenkenntnis den hinreichenden Beweis erbracht hat, daß sie eine ernste volle Würdigung verdient. Bitte Antwort, wie mein Urteil ausgefallen ist
Hochachtunsvoll				                                                                                                Carl Huter.

Die Bestimmtheit, mit der Herr Huter alles das zu Papier brachte, was er aus dem Gesicht des ihm völlig Unbekannten gelesen hatte, überraschte uns. Wir nahmen als dann Gelegenheit, mit einem Beamten der Kriminalpolizei die Angelegenheit zu besprechen; dieser bestätigte uns, daß man den Ewald allerdings für einen Verbrecher schwerster Sorte halte, der vor nichts zurückschrecke. Vielleicht nimmt man Veranlassung, den „schweren Jungen“ auch einmal daraufhin zu prüfen, ob er nicht vielleicht mit einer oder der anderen bis jetzt noch unaufgeklärten Kriminalsache in Verbindung zu bringen ist. 

Herr Huter hat aber durch die Sicherheit seines Urteils bewiesen, daß seine Lehre nicht Phantasie, sondern ernste Wissenschaft ist, an der man nicht achtlos vorübergehen sollte. – Zum Schluß sei bemerkt, daß es der Polizei in Gollnow heute morgen gelungen ist, sich des Ein- und Ausbrechers zu bemächtigen. Es liegt uns darüber der folgende Bericht vor:


Einbrecher Bügler Ewald, Stettin, der von Carl Huter nach Photographie erkannt wurde

An welchen Merkmalen des Gesichts erkannte ich aus nebenstehender Photographie den Verbrechertypus, sowie den Gesundheitszustand und Charakteranlagen?

Nach C. Huter gehört dieser Mann in eine Arbeits- und Bewahrungsanstalt

1. Linke Augenhöhle erheblich größer als die rechte. 2. Nasenrücken wurmartig gekrümmt um die Vertikalachse. 3. Rechte Stirnseite größer als die linke im Gegensatz zu den gleichen Gesichtsseiten, die 4. umgekehrt proportional verschieden sind (rechte größer als die linke). 5. Beide Wangen erscheinen unnatürlich hart und knöchern und sind in den Mittelzonen, wo sie konkav plastisch sein müßten, konvex (hohle knöcherne, lederne Wangen). 6. Abnorm breiter Oberkiefer, man beobachte die Entfernung von der Nasengrenze bis zum Zahnschluß. 7. Starre Form der Kontur des Unterkiefers. 8. Abnorm langes Kinn, man beobachte die Kinngrenze bis zum Zahnschluß. 9. Das Kinn statt gerundet plastisch entwickelt, unentwickelt nach der Norm, überentwickelt, aber zu beiden Seiten nach den Unterkieferseiten verlaufend. 10. Über der ungefähren Mitte des Kinns zieht sich ein Formzeichen wie ein eisernes Band von unten nach oben bis zur Zahnwurzelgrenze, von da über beide Lippen bis zur Nasengrenze wie ein durchsichtiger Schleier sich fortpflanzend. Dieses ist mein entdecktes Merkzeichen, das ich bei typischen Einbrechern fand. 11. Scharfe Ecke des rechten Unterkiefers (etwas über den auslaufenden Winkel des Rockkragens zu beobachten). 12. Linksseitig fehlt diese scharfe Ecke, dafür ist die Kontur vom Ohrläppchen bis zum Kragen, ähnlich wie ein gewaltsam abgerissenes Blatt Papier oft zeigt, höckerig, klaterig. 13. Das Jochbein darüber schneidet einen zu starken, gewaltsamen Bogen und fällt nach der Schläfe hin zu der Grenzlinie des Gesichts stark ab. 14. Die oberen idealen Teile beider Ohren sind verkümmert, die mittleren Formen gezerrt, gepreßt langgezogen, die unteren Massen der Ohrzipfel ungewöhnlich groß und zu massig, dabei von sehr harter Grundform. Verrohtes Gefühlsleben. 15. Die Haare disharmonisch struppig. 16. Die weiteren der Feinheit wegen nur für den Kenner sichtbaren Zeichen an Augen, Lippen, Wangen, Stirn, Ohren, Kiefer, Nase und Kinn können hier des Platzmangels wegen nicht beschriebe werden. Dieses genau detailliert klarzulegen und meine psychophysiognomischen Studien weiter korrekt wissenschaftlich zu begründen, dazu würde ein Buch von 100 Seiten mit wenigstens 20 illustrierten Tafeln, die alle Regionen des Gesichts einzeln vergrößert geben, erforderlich sein. Bezüglich des Gesundheitszustandes waren mir besonders die Merkzeichen beider oberen Wangen grundlegend für mein Urteil. Die Charakteranlagen erkannte ich an den Formen und Merkzeichen, die in den nächsten Kapiteln dargelegt werden.

Der „Stettiner Henning“ wieder verhaftet

Wie die „Stettiner Abendpost“ gestern schon ausführlich berichtete, ist der schwere Einbrecher Bügler Friedrich Ewald, geboren im Jahre 1873 in Wollin, aus dem Krankenhause ausgebrochen. Ewald war bekanntlich vor kurzem wegen verschiedener schwerer Einbrüche, die ihm jedenfalls nicht weniger als zehn Jahre Zuchthaus einbringen werden, verhaftet worden. Infolge einer Handverletzung wurde er vor kurzem aus dem Gerichtsgefängnis ins Krankenhaus überführt, aus dem er ausgebrochen ist. Weit ist der Verbrecher jedoch nicht gekommen; heute vormittag 9 1/4 Uhr wurde er in Gollnow wieder verhaftet. Die Polizeiverwaltung in Gollnow gab uns auf eine telephonische Anfrage über die Art der Verhaftung folgende Auskunft:

„Ewald ist heute morgen gegen 1/4 10 Uhr in Gollnow eingetroffen und versuchte, im hiesigen Zentralgefängnis ein Fahrrad zu stehlen. Hierbei wurde er von den Aufsehern wiedererkannt. Ewald ist erst im März d. J. aus dem Gefängnis in Gollnow entlassen worden. Die Aufseher waren um so mehr erstaunt, den Verbrecher in Freiheit zu sehen, als sie wußten, daß er sich wegen schwerer Einbruchsdiebstähle in Untersuchungshaft befinden mußte.

Ewald wurde darauf verhaftet. Die Mitteilung, daß Ewald aus dem Stettiner Krankenhaus ausgebrochen war, hatten wir in der „Stettiner Abendpost“ gelesen, so daß wir keinen Anstand zu nehmen hatten, den Verbrecher sofort dem hiesigen Amtsgericht zuzuführen.“

Von anderer Seite wird uns hierzu noch gemeldet: Ewald kam heute morgen in Gollnow an und begab sich zum Zentralgefängnis, wo er versuchte, mit den Gefangenen Gespräche anzuknüpfen. Da er erst vor kurzem aus dem Gollnower Gefängnis entlassen worden ist, wurde er von den Aufsehern erkannt, verfolgt und verhaftet. 

Der Verbrecher befand sich im Besitze einer Ledertasche, die eine größere Geldsumme enthielt. Diese Geldsumme bestand aus Silber- und Nickelgeld (10- und 5-Pfennig-Stücke). Es ist ohne weiteres anzunehmen, daß Ewald auf der Flucht einen neuen Einbruch verübt und hierbei das Geld gestohlen hat. Der Verhaftete wird alsbald wieder ins Settiner Untersuchungsgefängnis überführt werden. So die Angelegenheit in Stettin.

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(Hinzugefügt)
Jedem zum Erfolg in praktischer Menschenkenntnis zu verhelfen, dazu soll dieses Lehrwerk besondere Dienste erweisen.



Erstellt 1995. Update 12. April 2007
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Hauptwerk. 2. Auflage. 1929. Hrsg. Amandus Kupfer

Die  Kronen symbolisieren die höhere Natur in jedem Menschen, sein individueller potentieller innerer Adel. Jedermann ist verpflichtet seinen inneren Adel nach Albrecht Dürer und Carl Huter zu heben.
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