Leonardo Da Vinci: Abendmahl/last supper - Part 6
 
Fortsetzung

Die reale und die ideale Kunst und Schönheit.

Feuchtersleben lehrt in seiner "Diätetik der Seele", die Schönheit sei der Ausdruck von Gesundheit. Auch sonst findet man diesen Standpunkt oft vertreten in der medizinischen Literatur. Nach ihm gibt es aber keinen Unterschied zwischen der Schönheit eines gewöhnlichen Erdenbürgers und der des genialen oder heiligen Menschen. So unterschied- und ausdruckslos arbeitet aber die Natur nicht. Gesund kann auch ein Australneger sein, ebenso ein Inder oder ein Individuum irgend einer anderen Rasse; ihre Schönheiten sind aber sehr verschieden, ganz der Qualität des Innenlebens entsprechend. Man muß daher die reale von der idealen oder gesteigerten Schönheit auseinander halten. "Das Realschöne ist das Gesunde". (Huter, Hauptwerk, V. Bd.) Das Idealschöne aber offenbart höhere seelische Qualitäten. Es ist die Schönheit, wodurch ein Raphael, Goethe usw. die Massen der Menschen überstrahlten im Augen-, Stirn- und Gesichtsausdruck. Besonders deutlich kommt die "ideale" Schönheit in der idealen Kunstrichtung zur Geltung. Hier finden wir Schönheiten, die selbst die des edelsten Menschen noch übertreffen. Die Darstellung solcher "überirdischer" Schönheiten geschieht mit Hilfe einer Methode, über die sich große Meister genügend ausgelassen haben.

Rafael schrieb an Castiglione: "Ich muß viele Frauen gesehen haben, die schön sind, daraus bildet sich dann in mir das Bild einer einzigen." Schiller schreibt in seiner Kritik zu Bürgers Gedichten: "Eine notwendige Operation des Dichters ist Idealisierung seines Gegenstandes, ohne welche er aufhört, seinen Namen zu verdienen.“ (Schiller übersieht ganz, daß außer der idealistischen auch noch die realistische Kunstrichtung ihre Existenzberechtigung hat. Darum ist seine Kritik an Bürger nicht ganz haltbar. Der Verf.) Ihm kommt es zu, das Vortreffliche seines Gegenstandes (mag dieses nun Gestalt, Empfindung oder Handlung sein, in ihm oder außer ihm wohnen) von gröberen wenigstens fremdartigen Beimischungen zu befreien, die in mehreren Gegenständen zerstreuten Strahlen von Vollkommenheit in einem einzigen zu sammeln, einzelne, das Ebenmaß störende Züge der Harmonie dem Ganzen zu unterwerfen, das Individuelle und Lokal zum Allgemeinen zu erheben. Alle Ideale, die er auf diese Art im Einzelnen bildet, sind gleichsam nur Ausflüsse eines inneren Ideals von Vollkommenheit, das in der Seele des Dichters wohnt. Zu je größerer Reinheit und Fülle er dieses innere allgemeine Ideal ausgebildet hat, desto mehr werden auch jene einzelnen sich der höchsten Vollkommenheit nähern. Diese Idealisierungskunst vermissen wir zu sehr bei Herrn Bürger." Raphael Mengs schreibt in seiner wertvollen kleinen Arbeit: "Gedanken über die Schönheit und über den Geschmack in der Malerei": "Die Kunst der Malerei kann aus dem ganzen Schauplatze der Natur das Schönste wählen, und die Materie von vielerlei Orten und die Schönheit von vielerlei Menschen sammeln, während die Natur die Materie eines Menschen nur aus der Mutter desselben nehmen und sich mit allem Zufälligen begnügen muß: also können die gemalten Menschen leicht schöner als die wahrhaftigen sein." Leonardo da Vinci schreibt in seinem Malerbuch: "Suche die guten Partien aus vielen schönen Gesichtern herauszunehmen--". "Zusammenordnen", nennt er diese Tätigkeit des Künstlers. Dürer äußerte: "Die Kunst steckt in der Natur, wer sie herausreißen kann, der hat sie." Und Michelangelo sagte: "Die Kunst besiegt die Natur".

Der idealistische Künstler studiert also die Dinge der Natur in ihren Vorzügen und Mängeln und sucht die verstreut vorhandenen Teilschönheiten zu einer Einheit zu ver-schmelzen. Alles Häßliche und Unvollkommene scheidet er aus. So schafft er nach und nach einen ideal schönen Baum, eine Landschaft oder einen Menschen. Dannecker soll zu seiner Ariadne (Frankfurt a.M.) 21 Modelle benutzt haben. Der Grund, daß eine solche Sammel-, Reinigungs- und Zusammenfassungsarbeit (Komposition) nicht als Flickwerk, sondern wie aus einem Guß wirkt, ist im Wesen der schöpferischen Künstler-Natur zu suchen, indem der Künstler die Teilschönheiten der Formen, Farben, Töne nicht nur in der oberflächlichen Erscheinung beobachtet und wiedergibt, sondern sie nachzuempfinden sucht in ihren inneren geistigen oder energetischen Ursachen. Zuvor wohnt aber dem Künstler, um mit Schiller zu sprechen, ein inneres Ideal vom Vollkommenheit in der Seele, ehe er es aus sich heraus setzt, in sinnlich-körperlicher Eigenart. Er muß es zuvor "antizipiert" haben, wie Schopenhauer sich ausdrückt. Durch die Erfahrung in der Natur, in der Wirklichkeit, erhält dieses ihm vorschwebende innere Ideal, das er zunächst nur dunkel ahnt, Leben und Bestimmtheit. Erst bei Anwendung der erwähnten Methode bringt er es sich und anderen zu deutlichen Bewußtsein. Die verstreuten Vollkommenheiten und Teilschönheiten in der Natur sind gewissermaßen die Hebamme, die das Geisteskind helfen zur Welt zu kommen. Den ethischen Wert und die Bedeutung dieser idealistische Kunstrichtung für unser Seelenleben habe ich weiter unten bei der Besprechung der Kunstreligion darzulegen versucht.

Angesichts der idealistischen Kunstrichtung, die man von der realistischen unterscheiden muß, wird uns Huters Erklärung über das Wesen jeder Religion als Idealkultus klar: "Ueber sich hinaus Höheres zu schaffen (Idealismus, der Verf.), ist das Wesen jeder religiösen Tätigkeit." Der idealistische Künstler schafft über sich hinaus, indem er schönere Gestalten und damit auch höheren Adel darstellt, als in der Wirklichkeit, also auch bei ihm selbst, vorhanden ist. Dies geschieht nach der oben besprochenen Methode, womit er höhere psychologische Werte in der Kunstwerken pysiognomisch zum Ausdruck bringt, als die Wirklichkeit sie bietet.

Die realistische Kunstrichtung will die Wahrheit lehren, die idealistische aber will zudem beglücken und erheben durch die vereinigte Darstellung von Wahrheit und Schönheit. Die extremste Form der realistischen Kunst ist der Naturalismus, der fast nur in der sklavischen Nachahmung der Wirklichkeit besteht. Sein Grundsatz ist: je ähnlicher der Natur, desto besser. Nur in Bezug auf diese Kunstrichtung sind Platos und seines Schülers Aristoteles` Erklärungen richtig, wenn sie äußerten, daß alle Kunst nur Nachahmung sei. Ein sehr schönes Bild, um das Verhältnis der realistischen und der idealistischen Kunstrichtung zueinander vor Augen zu führen, gibt Ludwig Richter: "Als die beiden Pole aller gesunden Kunst kann man die himmlische und die irdische Heimat bezeichnen. In letztere senkt sie ihre Wurzeln, nach der anderen erhebt sie sich und gipfelt in ihr". Wenn die Methode des Auslesens des Schönen das Prinzip des idealistischen Künstlers ist, so besteht sie bei dem realitischen im Betonen des Charakteristischen bei gleichzeitigem Fortlassen des Unwesentlichen, sodaß man die Idee eines dargestellten Gegenstandes erschaut, wie den Grund eines klaren und ruhigen Sees. Das Reduzieren der körperlichen Eigenschaften in der bildenden Kunst auf das Wesentliche hat übrigens in der Philosophie sein Analogon im Abstrahieren.

Vom Gesichtspunkt des Charakterisierens aus ist die extremste Form der Kunst die Karikatur. Alle Nebensachen, welche die Erkenntnis trüben könnten sind fortgelassen um die Idee, die dem Objekt zugrunde liegt, reiner und deutlicher zu zeigen. Diese Fähigkeit bedingt eine hohe psychologische Begabung, die angeboren sein muß, um das Charakteristische erschauen zu können. Der realistische Künstler zeigt der Menschheit gewissemaßen im Spiegel, wie sie selbst und die übrige Natur ist. Er zeigt und lehrt nicht, wie sie sein soll. Wie aber jede Wissenschaft niemals Selbstzweck, sondern nur Mittel zum Zweck sein kann, nämlich das Gute zu fördern durch methodisches Sammeln von Wahrheiten, so hat auch die realistische Kunst einen mehr ethischen, beglückenden Wert. Dem realistischen Künstler ist es gleich, ob der dargestellte Gegenstand gut oder schlecht ist. Er stellt die Schönheit hinten an, um der Wahrheit willen. Daher kann nur für diese Kunstrichtung alles Gegenstand künstlerischer Darstellung sein. Der idealistische Künstler hat diese Freiheit nicht. Er ist an die Darstellung des Schönen gebunden. Zu welcher Kunstrichtung ein Künstler oder Kunstfreund besonders neigt, hängt von seiner Charakterveranlagung ab. Durch diese grundsätzliche Unterscheidung der zwei Hauptkunstrichtungen auf Grund charakterologischer (psychologischer) Voraussetzungen, ist eine Orientierung im Reiche der Kunst viel leichter möglich als ohne diese. Der Urmensch war ein realistischer Künstler, was nach den physiognomischen Merkmalen an den gefundenen Schädeln und der Entwicklungslehre auch nicht anders sein kann. Schoperhauers Ansicht, daß die Darstellung des Charakteristischen, einer Idee, welche dem Dinge zugrunde liegt, schön sei, halte ich nach den gemachten Ausführungen nicht für korrekt. In einer Abhandlung über "Die plationische Idee als Objekt der Kunst" sagt er unter §45: "Das Charakteristische ist völlig eins mit dem Schönen: der am meisten charakteristische Löwe, Wolf, Pferd, Schaf, Stier war auch allemal der schönste". Schopenhauers Ansicht dürfte mehr dem Wesen der realistischen Kunst gemäß sein. Der realistische Künstler hat lediglich die Idee irgend eines äußeren Gegenstandes darzustellen. Der idealistische Künstler aber will eine Idee, die in seinem Innern auftauchte, sinnlich faßbar gestalten. In diesem Sinne haben sich Raphael, Schiller, Dürer geäußert. Auch ist Schopenhauers Ansicht, das menschliche Gesellschaftsleben böte besonders für die Schilderung der Hölle Stoff, einseitig, denn Rafael, Phidias, Beethoven, Bach u.a. haben für ihre Schilderungen paradiesischer und himmlischer Schönheiten aus derselben Quelle geschöpft wie Dante: aus der Natur. Es liegt an der Wesensart des Künstlers oder Denkers, was und wie er gestaltet und nicht an der Natur und der menschlichen Gesellschaft allein. So hat Dante z.B. in seiner Physiognomie vieles, was an das Mephisto-Naturell erinnert, und Rafael etwas Engelhaftes im Gesichtsausdruck (Ideales Naturell).

Zusammenfassen schreibt Huter über die idealistische Kunstrichtung: "Ohne diese ideale Kunst ist das menschliche Gemüt nicht zu erheben zu jenen, alle Naturwahrheiten übertreffenden Schönheiten und beseligenden Empfindunge, deren die menschliche Seele bedarf, soll sie nicht Gefahr gegen, zu versimpeln oder in hartem, oft zu häßlichem Daseinskampf zu verrohen und zu versinken ins Niedrige zurück. Die ideale Kunst gehört zum Brot des täglichen Lebens. Sie jedermann zugänglich zu machen, ist sowohl das Bestreben edler Fürsten als auch der christlichen Kirchen gewesen, und auch alle großen Pädagogen, Philosophen und wahren Menschenfreunde haben sich darum verdient gemacht." (Handbuch der Menschenkenntnis.) Und: "Die ideale Kunst ist es, welche auch für die Staats- und Gesellschaftsordnung den wahren Weg zeigt. Hier ist Religion und Wissenschaft, Sozialismus und Individualismus, Aristokratie und Demokratie vereinigt." (Hochwart)


Ueber Kunstreligion.

Die idealistische Kunst macht hauptsächlich den Inhalt dessen aus, was Huter als "Kunstreligion" bezeichnet.

Warum Huter vom Gesichtspunkte seiner naturwissenschaftlichen Schönheitslehre Ethik und Aesthetik ungetrennt behandelt wissen wollte, dürfte dem Leser verständlich geworden sein. Mit Hilfe seiner Kallisophie soll in Zukunft das "Weltschönheitsprinzip des sinnlich Idealen und ethisch Heiligen" noch mehr Verwirklichung finden und deutlicher ausgestaltet werden, als es bisher in den großen Kunst-Kulturkreisen schon geschehen ist. Unter dem Begriff des sinnlich Idealen ist hier höchstmögliche Schönheit zu verstehen, als sichtbarer Ausdruck ethischer Höhe. Ueber das Wesen der Kunstreligion äußert sich unser Denker zusammenfassend folgendermaßen: Ueber sich hinaus Höheres, Besseres, Glücklicheres denken und tun, diese Vorstellungsbilder innerlich nachempfinden, sie dann in Bildwerken innerlich sinnlich faßbar zu gestalten und sie anbeten als Abglanzbilder des Geistes vom Höchsten. Das Wesen der (Kunst-) Religion ist daher ein ewiges, unaufhörliches geistiges Vorstellen, Bilden und Gestalten von etwas Vollkommenerem und Schönererm, als was da war und was da ist." (Hochwart)

Quelle: DgM Nr. 17. 1934. (Hinzugefügt)

Kunstreligion ist auch die Beschreibung von Paradiesen und Himmeln in den großen Religionen. Sie zu schildern ist nur durch höchste künstlerische, schöpferische Gabe möglich. Ohne diese Vorstellung von Schönerem und Idealerem gibt es nach Huter keinen Aufstieg und keine Vervollkommnung der menschlichen Natur. Sie zu pflegen ist der höchste Grad der Lebenskunst. Daß diese Vorstellungselemente "das Heiligkeitsgefühl für das Ideale", als Entwicklungselemente mit in den Kreis der Betrachtungen zu ziehen sind, haben moderne Naturphilosophen wie Lamark, Darwin, Häckel usw. ganz übersehen. "Dieser höhere Lebenstrieb, als welcher sich der religiöse Glaube herausgestellt hat, ist daher berechtigt, ja, er verpflichtet uns, ihn wieder mehr als bisher zu pflegen, denn ihm verdanken nicht nur wir Menschen alles, was wir sind, sondern aus ihm ist überhaupt alles Bessere, was da ist, geworden! Carl Huter lehrt, die ersten Menschenaffen sind nicht durch Kampf ums Dasein sondern durch den religiösen Glauben zu Menschen geworden! Ihre geistige Erhebung aus ihrem tierischen zu einem höheren menschlichen Zustande war ihre eigene Schöpfung zu ihrer Menschwerdung! - Es wurde ihre Befreiung! Der Glaube an das Ideale, an das Göttliche und die Liebe und Verehrung dafür und die damit verbundene Erhebung durch Nacheiferung, durch heroische, ethische und aesthetische Handlungen, das hat die Menschen erlöst und wird sie immer mehr und mehr weiter erlösen! Daher soll dieser neue Glaube wieder neu befruchten und die Menschen frei, groß und glücklich machen. Er soll uns vor dem Niedergang bewahren, er soll uns weiter vergöttlichen und emporheben und durch den Menschen selbst die Erde zum Paradies umgestalten durch ein urschöpferisches, allseitiges Kunstschaffen im Sinne der ethischen, der göttlich strahlenden lebendigen Schönheit" (Huter: Arche Noah).

Um die innigen Beziehungen, die zwischen Religion und Kunst bestehen, noch gründlicher dem Leser vor Augen führen zu können, gehe ich folgerichtig von dem psycho-physiognomischen Grundgesetz aus. Es lehrt, daß in der Gestalt, Form und Farbe, kurz in der Physiognomie der Dinge sich das innere Wesen derselben mit mathematischer Gewißheit offenbart. Man muß daraus folgern, daß alles Geistige nach sinnlich-körperlichem Ausdruck strebt. "Das Sinnliche ist erst die Verwirklichung alles geistigen Wollens" (Huter, Hochwart). Jede Religion, die es ja mit dem großen schöpferischen Unbekannten zu tun hat, muß alle wissenschaftlichen Erfahrungen, somit auch die naturwissenschaftlichen, also alles Bekannte mit umfassen, wenn sie ihren Namen verdienen will. Wenn in den Kunstkulturkreisen die Empfindungseigenart eines Volkes versinnlicht ist, so ist sie die deutlichste und edelste Form aller Exoterik. Was man im Altertum unter diesem Begriff und seinem Gegensatz, der Esoterik, verstand, wird uns durch das psycho-physiognomische Grundgesetz deutlich. Die Exoterik ist die künstlerische Veräußerlichung von Empfindungen und Erkenntnissen, der Esoterik.

Seit Alters her sind feinempfindenden Naturen sich der geheimnisvollen Beziehungen zwischen der Kunst und dem Menschen bewußt. Vor allem interessiert die viel besprochene Frage, ob die ideale Kunst wirklich imstande ist, die Menschen zu verinnerlichen. Huter beantwortete diese Frage mit ja, da sie den Nachahmungstrieb des Beschauers anregt. Sie affiziert den Menschen, was auch schon von anderen Kunstpsychologen bemerkt worden ist, u.a. von Aristoteles, der lehrte, daß durch Mitfühlen der Szenen im Kunstwerk der Mensch ethisch angeregt werden soll. Und sehr gut schreibt Ernst Fuhrmann*): "Der Schöpfer im Kunstwerk muß ein Nachdenker sein, er kann sogar ein Neudenker sein und er wird alsdann durch die Bildhaftigkeit seiner Darstellungen die größte Wirkung von allen Künstlern erreichen." Huter erklärt: "Die Kunst steht mit dem heiligsten Empfinden in steter Wechselwirkung." Das ist der vom Künstler bewußt oder unbewußt angestrebte Zweck derselben. "In unserem Herzen soll es wiederklingen", sagt ein Dichter. Weil dieses sowohl im guten wie im üblen Sinne geschehen kann, vertrat Lessing den Standpunkt, daß die Poesie das Ekelhafte mit Vorsicht, die Malerei es garnicht darzustellen habe.

Auf Grund dieser psychologischen Zusammenhänge zwischen Kunstwerk und Seelenleben haben alle großen Kunstlehrer die Schönheit und damit das Gute darzustellen als Hauptaufgabe der Kunst gefordert. Schon Plato lehrt die Schönheit als das edelste Erziehungsmittel. Denn die Schönheit ist geeignet, alle Tugenden zu wecken. Das ist übrigens der tiefe Sinn der Schönheitslehre Platos. Ein schönes Kunstwerk wirkt nach vorliegenden Ausführungen veredelnd auf den Betrachter. "Durch das Schöne, das die Künstler darstellen, werden edle Empfindungen geweckt und dadurch die Seele geadelt. Durch das Schöne soll der Mensch zum Guten geführt werden" (Huter, Hochwart). Lessing drückt sich in seinem Laokoon ähnlich aus: "Die bildenden Künste insbesondere, außer dem unfehlbaren Einfluß, den sie auf den Charakter der Nation haben, sind einer Wirkung fähig, welche die nähere Aufsicht des Gesetzes heischt. Erzeugten schöne Menschen schöne Bildsäulen, so wirken diese wiederum auf jene zurück, und der Staat hatte schönen Bildsäulen schöne Menschen mit zu verdanken". Von diesem Standpunkte aus kann man unmöglich neuere Lehren wie I árt pour I´art (Kunst für Kunst), noch die gegenwärtig stark betonte Lehre, die Kunst habe nicht die Hauptaufgabe Schönheit darzustellen, teilen. Damit dokumentiert die stark realistische Gegenwart ihre Einstellung auch in der Kunst. Unser Zeitalter der Naturwissenschaften, Technik und Realpolitik fand im Impressionismus seinen ersten künstlerischen Widerschein und in der sogenannten "prole-tarischen Kunst" u.a. weitere Ausdrucksformen. Der Stil "der neuen Sachlichkeit" entspricht demselben Empfinden. H. Bulle sagt in seinem Handbuch der "Archäologie": "Eine „zweckfreie“ Kunst, I´art pour I´art, Kunst um ihrer selbstwillen, hat es weder im Altertum noch in sonstigen kunststarken Zeiten gegeben, und die Kunst unserer Zeit wird erst wieder gesunden durch die Ueberwindung der Dekadenzerscheinung eines zweck- und bestimmungslosen Produzierens. Die Vorstellungen ferner von dem "zwecklos Schönen" als dem Ziele der Kunst, die durch die meisten der ästhetischen Theorien des vorigen Jahrhunderts bestimmt waren, versperren den Weg zum wirklichen Kunstverständnis, weil sie das Kunstwerk loslösen von dem mütterlichen Boden der sachlichen Bestimmtheit, der ihm seine Kraft und seinen Charakter gibt." Die Wirkung eines Kunstwerkes hängt von der Tiefe des ethischen Empfindens des Schöpfers ab. Nur von diesem Gesichtspunkte aus ist es erklärlich, warum selbst die Darstellung des Grausamsten in der Dichtkunst nicht deprimierend, sondern erhebend wirken kann. Ich erinnere an gewisse Szenen in Dantes Hölle, an Schlachtenszenen bei Homer und gewisse Stellen in Shakespeares Dramen. Dagegen sind Werke, in denen gar nichts Grausames dargestellt ist, wo man in flacher Weise moralisiert und süßlich ist, nicht von irgendwelcher tieferen Bedeutung. Es ist eine sehr seltsame, eine schwärmerische Anschauung, daß nur der Künstler zwecklos Arbeit verrichten soll, wo alles um uns her in der Natur zwecktätig ist. Noch eine andere moderne Kunstansicht erscheint nicht ganz korrekt. Das ist die Lehre, daß nicht das "Wie" (d.h. die Fähigkeit, eine Darstellung beseelen, beleben zu können), ausschlaggebend sei für den Wert eines Kunstwerkes. Meines Dafürhaltens ist weder das Eine noch das Andere für sich allein ausschlaggebend. Beides muß zugleich bewertet werden. Z.B. ist es von dem besprochenen psychologischen Gesichtspunkte aus eben nicht gleichgültig, ob und wie eine Birne oder eine menschliche Gestalt in einem Kunstwerk dargestellt sind. Freilich kann die Darstellung eines Stillebens künstlerisch wertvoller sein, als der eines idealen Menschentypus. Atmet letzterer aber gleich viel Leben wie Ersteres, dann ist er wertvoller, wegen der tieferen ethischen Anregungen (Ideenassoziation), die er auslöst.

"Die Edlen und Weisen haben die Menschen auf den Weg des Guten geführt durch die ideale Kunst und Schönheit. Daher errichtete man Tempel, die Meisterwerke der Schönheit waren, und die man mit einer paradiesischen Schönheit umgab. In diese Tempel stellte man göttliche Schönheitsideale, die jeder anbeten konnte und sollte. Durch diese Anbetung des denkbar Vollkommensten im Bilde ging dem Andachtsvollen nämlich das tiefinnere Bild in seiner Seele auf von dem noch Höheren, Vollkommneren aber Unsichtbaren - diesem ergab er sich, an dieses glaubte er, als das Hohe und Heilige - das war Religion. Dieses ist überhaupt nur Religion, eine andere Religion gibt es nicht, und daher gibt es nur eine Weltreligion, es ist die der vollen Hingebung an die Ideale, ethische, beseeligende Schönheit." "Der Künstler ist in dieser seiner Anschauung der scharfsinnigste Naturforscher, der größte Philosoph und der heiligste Religonsführer, und als schöpferischer Gestalter des Schönen, auch der beste Ethiker, Lehrer, Priester und Volkserzieher." (Huter, Hochwart). Mit diesen Zeilen ist die hohe Mission der idealen Kunst charakterisiert, die demnach doch mehr zu bedeuten hat, als lediglich eine Angelegenheit des Genusses zu sein, wie es nüchternes Puritanertum behauptet. Sie ist der höchste Ausklang religiöser Begeisterung. In ihr beschließt die Religion überhaupt erst ihre Reife. Das künstlerische Vermögen, die hervorragendste Gabe, welche der Mensch besitzt, ist die Fähigkeit, den heiligsten Empfindungen sichtbaren Ausdruck zu verleihen.


Das neue Kunstideal der Zukunft.

Wollen wir neue Kunstschöpfungen hervorbringen, die ethisch tiefer sind und damit auch schöner, als sie das Altertum und die Vorzeit besaßen, so bedarf es nach den vorangegangen Darstellungen neuer ethischer Impulse als Voraussetzung. In der Geistesgeschichte der letzten 3-400 Jahre sind entsprechende Werte für neuartige Schönheitsideale vorhanden. Huter kommt fraglos das Verdienst zu, die wertvollsten Erkennt-nisse der größten Denker zusammengefaßt zu haben. Die Auslassungen Huters über das neue Kunstideal zeigen ihn daher als eine Künstlerpersönlichkeit, die im Sinne eines Leonarda da Vinci handelt, bei dem es, wie in der Antike, keine Trennung zwischen Kunst, Philosophie und Naturforschung gab. Voraussetzung hierfür ist, daß dem Künstler das gesamte Bildgunsgut der Zeit bekannt ist. Die Götter der antiken Naturreligionen waren Symbolisierungen und Personifizierungen von Naturkräften, welche als aktive Elemente hinter dem Naturgeschehen gedacht waren. Entsprechend den Einsichten in das Naturgeschehen waren überhaupt alle alten Religionen geartet. Die antiken Künstler hatten die Aufgabe, die Naturprinzipien zu symbolisieren durch gewisse Typen. (s.S.24 - hier web). Wollen die neueren Kulturvölker wieder original sein und einen neuen Stil und eine neue Kunstkulturepoche herbeiführen, so gibt es keinen anderen Ausweg, als sich einzig und allein auf die von den neueren Denkern und Naturergründern gefundenen Natur-Prinzipien zu besinnen. Daneben könnten dann auch alle möglichen anderen Kunstäußerungen sich betätigen, aber jenes zu symbolisieren muß im Mittelpunkte künstlerischer Bestrebungen stehen. In diesem Sinne sind Huters Ansichten über die neue Kunstkultur zu verstehen.

Die Grundlage für das neue Kunstideal ist in der Entwicklungslehre zu suchen. Die moderne Naturforschung hat durch viele Beobachtungen bewiesen, daß alles Geschehen in der Natur einer ganz bestimmten Tendenz unterliegt, nämlich, daß sich alles vervollkommnet im Laufe der Jahrtausende. Das Auftreten des Menschen auf der Erde wie überhaupt der verschiedenen Entwicklungsstufen der Lebewesen erklären die Forscher auf verschiedene Weise. Ob es überhaupt jemals möglich sein wird, völlig eindeutig darüber zur Klarheit zu kommen, ist sehr fraglich. Huter steht auf dem Standpunkt einer "Schöpfungs-Katastrophen-Entwicklungslehre". Diese drei Faktoren müssen nach ihm gemeinsam ins Auge gefaßt werden, wenn man erhebliche weitere Fortschritte in der Erkenntnis der Naturgeschichte machen will.

Da irgend eine erreichte Stufe der Entwicklung nie das Ende bedeutet, so ist auch das Schönheitsideal des Menschen stets werdend. Heraklid (um 500 v. Chr.) soll geäußert haben: "Gegen den Menschen gehalten, ist der schönste Affe garstig, und der Weiseste wird im Vergleich mit Gott wie ein Affe erscheinen an Weisheit, Schönheit und allem anderen." Uebertragen wir diese Ueberlegung des griechischen Denkers auf die Entwicklungslehre, so entsprach des Urmenschen Lebensideal vielleicht dem Durchschnittsmenschen von heute und dieser sieht sein Lebensideal in seinen Genies, denen nachzustreben er bemüht ist. Da mit dem Wandel der menschlichen Gestalt und hiermit auch des Seelenlebens sich die Vorstellungen über das Wesen der Gottheit veredelten, sind dieselben von neueren Denkern, z.B. Ludwig Feuerbach, als Idealbilder, die dem Menschen vorschwebten, als Wunschbilder erklärt worden. Diese Wunschbilder haben die Künstler versinnlicht. Der Zeus, Apollo, die Hera, die sixtinische Madonna, der Christus Thorwaldsens u.a. sind solche versinnlichte Lebensideale. Auf die magischen Beziehungen zwischen Kunstwerk und Betrachter habe ich bereits hingewiesen. Auf Grund dieser Entwicklungstatsachen liegt es nahe, daß die Lebensideale der Griechen, die z.B. physiognomisch in dem Schädelbau des Zeuskopfes von Otricoli zum Ausdruck kommen, nicht ganz die unsern mehr sein können. Wir müssen noch Höheres, Schöneres, Besseres schaffen. Der Künstler von heute hat als seine höchste Aufgabe die für den Gegenwartsmenschen erstrebenswerten Lebensideale zu gestalten. Dann steht die Kunst, wie in den großen Zeiten der Vergangenheit, wieder in Einklang mit dem Naturgeschehen und die schon seit langer Zeit bestehende Stagnation im höchsten Kunstschaffen wäre behoben. Neue Stile und Kunstformen lassen sich nicht an den Haaren herbeiziehen. Man ist auf sehr seltsame Einfälle gekommen: z.B. glaubte man, aus der primitiven Kunst neue Anregungen holen zu können. Gauguin ist deswegen zu den Naturvölkern gereist. Man hat sich im wahrsten Sinne des Wortes nach rückwärts und nicht nach vorwärts orientiert. Die Kunst ist ohne Lebensbejahung, und ohne Streben nach Höherem, ein Unding, ein Widerspruch in sich.

In dem Entwicklungsideal der Zukunft muß neben dem Neuen das positiv Wertvolle im Alten integrierend mit enthalten sein und in Schädelbau, Gesichtsform und Gestalt physiognomisch zum Ausdruck kommen. In ihm muß der "altägyptische Okkultmensch", der "griechische Schönheitsmensch", der "römische Machtmensch", der "germanische Kraftmensch", der "christliche Gemütsmensch" und der gegenwärtige "soziale Wirtschaftsmensch" gemeinsam enthalten sein. Oder wie Huter sich noch kürzer ausdrückt: Das "körperliche Schönheitsideal des Altertums" und das "geistige Schönheitsideal des Christentums" (das Ideal der Menschenliebe), müssen vereinigt werden mit dem neuen Schönheitsideal. D.h.: Die ethischen Bestrebungen des Christentums und die naturphilosphischen des Griechentums müssen verknüpft werden mit den neuen Lebensidealen. Huter hat selber die Absicht gehabt, dieses neue Ideal plastisch zu gestalten. Ueber mehrere Skizzen, Entwürfe und Studien ist er aber nicht hinausgekommen. Ich setze eine solche Studie im Vergleich mit einem Urmenschen hierher.

Eine Besprechung dieser Physiognomien bis ins Einzelne ist leider nicht möglich. Ohne naturwissenschaftliche, philosophische und physiognomische Kenntnisse und ohne künstlerisches Empfinden kann man den geistigen Gehalt dieser Köpfe nicht völlig erfassen. Das Problem des Zukunftsmenschen ist behandelt worden von verschiedenen Denkern. Ich erinnere an den leider etwas verzerrten "Uebermenschen" Nietsches, an die Gedanken neuerer Naturphilosophen wie Bölsche, Francé. In Künstlerkreisen scheint man die Zeichen der Zeit noch nicht genügend verstanden zu haben. Der äußerliche Unterschied zwischen dem neuen Kunstideal und den verschiedenen Kunstidealen der Vorzeit besteht darin, daß man sie früher als Darstellungen von Gottheiten bezeichnete und jetzt im Sinne einer fortgeschrittenen Naturerkenntnis als das bezeichnet, was sie in Wahrheit sind: als Entwicklungsideale der Menschheitsgenerationen.

Außer diesem einen prinzipiellen charakterologischen Ausdruck des neuen Lebensideals auf Grund der Entwicklungslehre lehrt Huter noch mehr neue Naturerkenntnisse zu symbolisieren: Durch das Bild einer Familie mit einem oder drei Kindern sollen die beiden Raumprinzipien
1.) der Größe (Mann), 
2.) der Kleinheit (Weib),
und die Prinzipien Kraft, Stoff und Empfinden (Kinder), symbolisiert werden.

Durch solche Bestrebungen würden die Künstler unserer Zeit gerecht werden und durch neue Formen und Farben neues Leben, Denken und Empfinden in die Menschheit hineintragen.

Als weitere Einzelheiten des Huterschen kunstwissenschaftlichen Systems sei noch zum Schluß angeführt: "In dem Verhältnis, wie bildende und redende oder dichtende Kunst zueinander stehen, so steht zueinander Physiognomik und Mimik. Winkelmann, Mengs, Lessing haben dies oft, scheinbar ohne sich dessen bewußt zu werden, berührt. Das kam daher, weil es ihnen nur um die Kunst als solche zu verstehen, zu tun war, nicht aber, um die Psychologie zu enträtseln, auf welche alle bildende Kunst basiert, um die Physiognomik." (Hauptwerk, V. Bd.)

Huter will mit Lessing aus psychologischen und ethischen Gründen, daß die bildenden Künste (Malerei und Plastik) sich hauptsächlich auf das Edle konzentrieren sollen. Die bildenden Künste seien als eine höhere Ergänzung zur Dichtkunst anzusehen.  Lessing ist es nun besonders gewesen, der den Nachweis erbrachte, daß die Dichtkunst umfangreicher, in ihrer Darstellung völlig frei, alles in den Bereich ihrer Betrachtung ziehen darf. Gutes und Schlechtes, Schönes und Häßliches; hingegen hat die bildende Kunst, insbesondere die Malerei und Plastik, diesen Spielraum nicht, will sie nicht ihre große Aufgabe verfehlen. Sie, die bildende Kunst, soll daher nur daß Maßvolle, das Würdige, das Schöne zum Ausdruck bringen und daher stets die Merkmale des Edlen und Vollkommenen in ihren Werken geben." (Huter, Hauptwerk, V. Bd.) Weiter betont Huter in Bezug auf die Plastik: "Da die Materie in ihrem Charakter die Ruhe und Beständigkeit verkörpert, so muß lediglich auch aus diesem Grunde der bildende Künstler der Materie gerecht werden und in seinen Werken selbst die Bewegung in würdiger Ruhe zum Ausdruck bringen." (Hauptwerk, V. Bd.)

Besprechung der Tafelbilder.
Die Anzahl der Abbildungen ist leider sehr gering. Jedoch dürften sie genügen, den Wert der Physiognomik für die Kunstforschung zu zeigen. Ich habe mich auf die Besprechung des menschlichen Antlitzes beschränkt.

Nr. 1. Rafael: Kopf der Sixtinischen Madonna. Dresden

In der sixtinischen Madonna, welche als das größte Meisterwerk Rafaels gilt, ist das "Heilige Naturell" zur Darstellung gebracht. Dieser sehr selten in der Wirklichkeit anzutreffende Menschentypus besitzt nach Huter einen derart hohen Gewissensadel, daß er nicht in der Lage ist, das geringste Böse zu denken oder gar zu wollen: er leidet, opfert sich und stirbt lieber, bevor er das kleinste Unrecht täte. Unser Madonnenkopf offenbart in Physiognomie und Mimik diesen höchsten Grad seelischer Abgeklärtheit und Charaktervollendung, das Hauptgeheimnis seiner Schönheit.

Madonnenkopf = Ideales Naturell

Der Kopf zeigt den verfeinerten eiförmigen Typus des idealen Empfindungsnaturells. Er ist in allen seinen Teilen auf das Feinste gerundet. Nirgendwo sind in den Konturen Ecken oder scharfe Kanten wahrzunehmen. Die Formen, besonders der Kopfumriß, sind mit mathematischer Schärfe präzisiert, was auf eine bewundernswerte Harmonie und Ordnung der Kräfte im Innern desselben schließen läßt. Das Profil ist "griechisch", nur nicht so markant, sondern zarter wie in der altgriechischen Plastik gebildet (geistiger und körperlicher Adel). Das Gehirn ist vollplastisch entwickelt, auch an den Schläfen, wo der Zustand der Lebenssäfte sich spiegelt. Besonders kraftvoll gebildet sind die oberen seitlichen Teile der Stirn, wo phrenologisch die Ideal- und Schönheits- und mehr nach der Mitte zu die Glaubenssinne liegen. Dieser Gehirnbau offenbart ein hochentwickeltes Geistesleben.

Das Untergesicht - Oberlippe, Mund und Kinn - ist zart und fein (edles Triebleben). Im Mittelgesicht ist der Nasen-Wangenzug plastisch hervorquellend (große Sensibilität, reiches Gefühlsleben). Die großen Augen sind etwas negativ. Sie liegen ein wenig in den Höhlen zurück und sind mäßig in Spannung. Hierdurch ist der negative, aufnehmende, gefühlsreiche Charakter des weiblichen Geschlechts zur Darstellung gebracht. Der Mund ist sehr zart und weich (feinodisch). Daher wirkt er beglückend. Auch das Ohr das im Leben unfähig wäre, das geringste häßliche Wort ohne Schmerz aufnehmen zu können, ist sehr schön gebildet (hoher Seelenadel).

Problematisches ist in diesem wie auch anderen Kunstwerken Rafaels weniger zu finden. Das Rätselhafte der weiblichen Seele, wie es Leonardo da Vinci in der Mona Lisa, oder die sinnliche Liebeslust, wie sie Rubens in der Helene Fourment betonte, haben ihn weniger zum künstlerischen Schaffen angeregt. Vielmehr müssen weibliche Anmut, natürliche Naiviät und die dem Weibe eigentümliche Ruhe ihm sympathisch gewesen sein. In der Sixtinischen Madonna ist es Rafael wohl am besten gelungen, sein weibliches Ideal zur Darstellung zu bringen.

Wenn Vertreter des Expressionismus und anderer moderner Kunstrichtungen Rafaels Schöpfungen als überholt bezeichnen, so behaupte ich: sie haben keine Ahnung vom Wesen der idealistischen Kunst, noch Sinn für wahre Schönheit. Die Schönheiten, welche die großen Künstler schufen, sind gemeinsame Lebensideale aller Menschen. Die wahre und echte Schönheit ist international. Ueberholt ist Rafaels Kunst nur für denjenigen, der den Charakteradel, den der große Italiener im Bilde fest hielt, erreicht, und nun nach Höherem zu streben hat. Uebrigens wolle man sich vergegenwärtigen, daß wir uns schon seit der Zeit des Impressionismus in einer Periode  realistischer Kunst befinden (Zeitalter der Naturwissenschaft und Technik).

Levitating Stone
(Hinzugefügt)
Der Philosophische Sinn aller Madonnendarstellungen der christlichen Kirche ist die Personifizierung der Lebenskraft, des schöpferischen Prinzips in der Natur, das im Altertum durch die Göttinnen der Liebe (Isis, Astarte, Aphrodite, Venus, Freya) symbolisiert wurde. Die der Madonna beigegebenen Kinder sind Symbolisierungen der Schöpfungsprodukte der Natur. Die Vorbilder zu diesem Motiv, der gleichzeitigen Darstellung des schöpferischen Prinzips mit dem Schöpfungsprodukt (Mutter mit Kind), sind zuerst in der ausgehenden spätrömischen Kunst nachweisbar und wurden damals auch als Symbole der "Magna mater" (allmächtigen Mutter Natur) angesehen.



Erstellt 1998. Update 24. April 2007
© Medical-Manager Wolfgang Timm
Fortsetzung

Die  Kronen symbolisieren die höhere Natur in jedem Menschen, sein individueller potentieller innerer Adel. Jedermann ist verpflichtet seinen inneren Adel nach Albrecht Dürer und Carl Huter zu heben. Kunst-Physiognomik. Peter Lips                     Bearbeitung: Medical-Manager Wolfgang Timm
 
Das Abendmahl