Die vier Apostel: 2 + 1 Tafeln - Part 10          Copyright 1999-2007 Wolfgang Timm
 
Bild oben Albrecht Dürer „Die vier Apostel“ Selbstbildnis. München. Ausschnitte. Das gerundete Auge

Fortsetzung

Die Einzelfiguren


Johannes

Wir beginnen die Analyse bei der vorderen Figur links, dem Johannes. Die Untersuchung wird zeigen, dass dieser der Schönste und damit der höchstwertigste Charakter der Viern ist. Diese Gestalt weist die differenziertesten, feingeistigsten Formen und Flächen auf, eine zarte, nervenreine Haut, einen kuppelförmig gebauten Schädel und ein vorzüglich proportioniertes Gesicht. Von vorn gesehen würde der Kopf birnenförmig sein, wobei die größte Breite im Oberhaupte ist. Sein Umriss ist nirgendwo geradlinig. Fortwährend wechseln Hebungen und Senkungen wellenförmig ab. Sensibilität und schöpferische Geisteskraft ist seine Signatur.

Johannes. Die vier Apostel. München - Ausschnitt

An der Basis ist der Schädel im Längen- und Breitendurchmesser gleich lang. Es ist ein verfeinerter Rundschädel dargestellt, der nur den intelligentesten Menschen eigen ist. Die Scheitelhöhe ist beträchtlich. Hierin bekundet sich das Bestreben eines Menschen, sich selbst und die Mitmenschen auf eine höhere Kulturstufe zu bringen, durch Förderung des geistigen Wachstums. Das Oberhaupt ist in der Scheitelwölbung wohl gerundet, breit und plastisch hervortretend, vor allem in den vorderen Teilen, während der untere Seitenkopf über den Ohren zurücktritt. Nur ein edler, selbstloser Charakter, der sich im Dienste der höchsten Ideale, dem fleißigen Ausbau des Ethisch-Religiösen mit größter Begeisterung widmet, kann solch einen Schädelbau besitzen.

Die Stirn ist allseitig plastisch gerundet, ohne Höcker oder gerade Flächen, und nicht nur sehr hoch, sondern auch breit. Sie ist am stärksten in der oberen Hälfte betont. Hier in der Oberstirn liegen die Erkenntnisse für das Geistige und Innere der Natur und die Fähigkeiten zur Mystik und Prophetie lokalisiert. Man könnte diesen Gehirnteil als den Sitz für subjektives Erkennen bezeichnen, welches Dürer dem Johannes beimaß. Die Stirnhaut ist von größter Zartheit, und von dünnen Stirnfalten durchzogen. Seidenweiche, leichte, leuchtende Haare wallen lang und schön gelockt vom Kopf herunter, einen Geist von großer Gemütstiefe und harmonischem Gedankenleben spiegelnd. Der Bau des Schädels symbolisiert einen hochgenialen, prophetischen Menschen mit einem universellen geistigen Fassungsvermögen.

Das Gesichtsprofil ist so gegliedert, dass dem Obergesicht, (Augenregion und Stirn) als Sitz des Oberbewusstseins der breiteste Raum zugewiesen ist, während Mittel- und Untergesicht von geringerer Größe sind. Diese Proportionen kennzeichnen den höheren Geistesmenschen. Die Nase ist klein und zart: nur wenig an der Wurzel eingebogen verläuft sie über einen kleinen Buckel in eine zierliche Spitze, und die Flügel treten deutlich hervor. Es ist die "Psychologennase", die feinsinnigen Denkern eigen ist. Sensibilität spricht aus dem Hautgewebe der Wangen neben der Nase. Die fülligen Wangenpartien und der üppige Mund sind Zeugen frohen Lebensgenusses. Die schöne Modellierung des Untergesichts, der schlanke Hals und die weiche Nackenlinie garantieren aber, dass der Genussinn edler Weise gepflegt wird.

Die Oberlippe ist kurz, eingebogen und über die Unterlippe vorstehend. Es ist der Ausdruck eines freundlichen, zartfühlenden, herzensgütigen Menschen. Das Kinnprofil ist weich, wellenförmig und wirkt dennoch kraftvoll. Impulsiv, ohne Zimperlichkeit, strebt ihr Träger nach dem Idealen und Vollkommneren. Die Wangenknochen treten seitlich hervor. Dies deutet auf starke Eigengesetzlichkeit und damit auf die Fähigkeit, den eigenen Weg gehen und seine Originalität wahren zu können. Der Hals ist frei und unbeengt von Kleidung, wie es später durch Schiller Mode wurde sich in gewissen, die Freiheit liebenden Kreisen zu tragen. Milde und Güte atmen die Gesichtszüge.

Interessant ist die Mimik des Johannes. Seine Körperhaltung ist lose und entspannt mit entlastetem Spielbein. Seine Haltung ist von großartiger Ruhe. Da er ein Buch in den Händen hält, wurde oft gesagt, dass er lesend hinein blicke. Man sehe einmal genauer hin, und wird dann finden, dass dieses nicht der Fall ist. Die einzelnen Sinnesorgane, überhaupt die ganze Gesichtshaut und Muskulatur ist auffallend ruhig und entspannt. Die Lippen ruhen lose aufeinander. Nur leises Atmen deuten die Nasenflügel an. Die Augen sind fast geschlossen. Das obere Augenlid hängt weit herüber, und der Blick ist nach innen gerichtet. Der Kopf ist dabei ein wenig nach vorn geneigt, wie es bei tieferen Nachdenken der Fall ist. Die Augenbrauen sind zusammen gezogen und es sind senkrechte Stirnfalten entstanden. Von Gedankenkonzentration zeugt dieses Merkmal. Die Sinnesfunktion ist nach all diesen Zeichen minimal. Selbst die Ohren sind verdeckt. Die Aufmerksamkeit ist überhaupt auf keinen äußeren Gegenstand gerichtet. Hochgradige innere geistige Betätigung, der Zustand der Kontemplation und mystischen Versenkung in das eigene seelische Selbst ist dargestellt.

Johannes lauscht hellfühlend und subjektiven Offenbarungen, die den geheimnisvollen Tiefen seiner Persönlichkeit entquellen. Intuitiv kommt er auf diese Weise zu neuen Erkenntnissen zur Lösung von Welt- und Lebensrätseln, welche die Menschheit auf eine höhere Kulturstufe erheben können. Dieser Zustand der Selbstversenkung ist in der Blütezeit der deutschen Mystik oft Kunstmotiv gewesen und es ist in Dürers Darstellung kein vereinzelter Fall. Nur, dass er hier in einer Zusammenordnung mit noch drei anderen Gestalten gebracht wird, ist beachtenswert. Dieser geringen äußeren Tätigkeit der Sinnesorgane, überhaupt der Entspannung der Körperoberfläche, hat Dürer auch maltechnisch durch geringere Präzision in der Wiedergabe aller Einzelzüge, im Gegensatz zum Paulus Rechnung getragen.88

Nach Zahn ist "der am idealsten gehaltene Kopf, der des Johannes"89 Thausing verglich inter-essanterweise Dürers Johannesgestalt mit derjenigen Schillers.90 Während Ludwig Tiekk eine Parallele zu Novalis zog: "..., groß, schlank und von edlen Verhältnissen. Er trug sein lichtbraunes Haar in herabfallenden Locken. Sein braunes Auge war hell und glänzend, und die Farbe des Gesichtes, besonders der geistreichen Stirn, fast durchsichtig. Seine Miene war stets heiter und wohlwollend. Der Umriss und der Ausdruck seines Gesichtes kam sehr dem Evangelisten Johannes nahe, wie wir ihn auf der herrlichen Tafel von Albrecht Dürer sehen, die in Nürnberg und München aufbewahrt". 91  Beide Hinweise verraten, dass man im Ausdruck Johanni den Geistesaristokraten erkannte. K. Voll urteilte aber daneben: "Beim heil. Johannes fehlt durchgehend jene letzte Feinheit der Ausführung, die die Gestalt des Paulus auszeichnet. Dürer ist hier nicht mit der gleichen Unermüdlichkeit jeder Faltenpartie nachgegangen und er hat hier nicht zum zweiten Male jene außerordentliche Plastik und klare Räumlichkeit erreicht, die beim Mantel des heil. Paulus uns gewissermaßen erlaubt, den Finger in jeder Senkung der Falten zu legen. Nun könnte man ja denken, dass es ihm bei der zweiten Tafel, die auch sonst innerlicher gehalten ist, nicht darum zu tun war die gleiche Macht und Plastik der Wirkung zu geben. Aber statt der minutiösen und doch so organischen Modellierung sieht man nur eine breite Machweise, die das Detail beinahe vernachlässigt. Die Zehen sind nicht mehr so klar von einander geschieden, ihre Artikulierung ist nicht mehr so deutlich. Man sieht deutlich, dass Dürer hier nicht mehr den gleichen Fleiß aufgeboten hat. Er hat die Johannestafel nur noch summarisch gearbeitet". Was voll hier als Mängel erscheinen mag, ist aber durch den Wesenszug und momentanen seelischen Zustand Johanni bedingt und im Gegensatz zum Paulus vom Künstler bewusst so gewollt und keine Nachlässigkeit.


Was sagt uns die Symbolik der von Dürer gewählten Farben 

Die Konnotation der Farben dürfte folgender Maßen sein. Die der Gesichtshaut, ist rosig und leicht bläulich unter den Augen und an der Oberlippe. Sie ist "Pfirsichblüt" würde Goethe sagen. Jugendfrische, Gesundheit, Sensibilität und gute Ideen offenbaren sich in diesen Farben. Das Haar ist rotblond und leuchtend, an Altgold erinnernd. Mit solchen Haaren stellten sich die alten Germanen ihre Götter vor. Die Bekleidung ist vornehmlich rot, dann orange und außerdem noch ein wenig gelb und grün gefärbt. Orange und rot sind die wärmsten Farben, die der großen Gefühlserregbarkeit, der Liebes- und Lebenslust. Die grüne Farbe harmonisiert mit ihrer Frische die warmen Töne des Obergewandes. Sie ist das Symbol des Hoffnungsvollen. Johannes ist von den Vieren am farbenprächtigsten gekleidet. Ein gefühlsreicher, hoffnungsvoller Jugend- und Lebensfrühling tritt uns in ihm entgegen.

Die Falten des Obergewandes sind weich und rundlich, wodurch entsprechend der geringeren Spannung der Körperoberfläche, dem momentanen seelischen Zustand Rechnung getragen ist. Lässt man die Malerei länger auf sich wirken, so scheint der Johannes, trotz der Zurückgezogenheit auf das eigene Innere, auf Grund der farbigen Eigenschaften von den drei anderen vortreten zu wollen. Die Gewandfärbung, wie auch die weichen, bartlosen Gesichtszüge erinnern an die subjektive weibliche Wesensart oder auch an die Jugend. Volkstümlich würde man auch wohl sagen, man habe es mit einem Gefühlsmenschen zu tun.

Nach diesen Einzelergebnissen wäre in Dürers Johannesfigur ein Gottmensch, ein Prophet neuer Lehren und Erkenntnisse, der mehr der Zukunft, als der Gegenwart lebt, dargestellt. Es ist das Bild eines Geistesaristokraten höchster Wertigkeit, eine Geistessonne, die anderen Licht und Leben gibt. Und dieser Typ dargestellt im selbstschöpferischen Zustand innerer Erleuchtung. Merkwürdiger Weise ist er aber nicht als Asket, der sich aller Lebensfreuden und auch der der Liebe entschlägt, gedacht, wie es die Gotik suchte, sondern er fordert zur Lebensbejahung auf und lehrt das Leben in edler Weise zu genießen, wie es der Weltfreudigen Renaissance gemäß war. Dieser beim Johannes dargestellte seelische Zustand kannte Dürer aus eigener Erfahrung. Er stellte dar, was er an sich selbst erlebte.

Dass er nach Thausing dem Johannes weniger Ausdruck verliehen hätte als dem Paulus trifft nicht zu. Nach der Überlieferung war Dürer die Gabe zur Selbstversenkung ins subjektive Innere ange-boren. So wird z.B. berichtet, dass als einmal die Freunde in Pirkheimers Haus am Markte versammelt waren, um einen Söldnerhaufen vorbeimarschieren zu sehen, Dürer spontan in den Zustand mystischer Selbstversenkung verfiel. Dieser ist nicht zu verwechseln mit mediunistischer Trance oder Somnambulismus. Er ist eine besondere Gabe, die mehr dem Asiaten, als dem Europäer als Erkenntnisweg eigen ist. Letzter sucht vornehmlich auf dem Wege objektiver Naturbeobachtung die Wahrheit zu erforschen. Dürer war einer jener wenigen begnadeten Menschen denen wie Cas. D. Friedrich, Plato, Jakob Böhme, Beethoven beide Erkenntniswege erschlossen waren. Auch dem erwähnten Carl Huter war diese Doppelbegabung eigen. Letzterer hat in einer Schrift "Innere Erschließung einer höheren geistigen Welt", Schwaig bei Nürnberg 1929 näheres darüber gebracht.

Außerdem ist es noch angebracht auf eine weitere besondere Gabe aufmerksam zu machen. Auf dem berühmten Selbstbildnis in München hat Dürer das gerundete Auge des Hellsehens. Diese Feststellung gibt Anlass darauf hinzuweisen, dass der Kunstforscher sich mit dem Okkultismus befassen muss.

Selbstbildnis. München. 1500 - Ausschnitt
Das gerundete Auge des Hellsehens

Der Sudetendeutsche Dichter Bruno Brehm beschließt seinen Roman "Das war das Ende", der den Zusammenbruch von 1918 zum Gegenstand hat mit einer psychologischen Betrachtung über Dürers Johannes. Zuversichtlich spricht er aus, dass diese Typen innerhalb des deutschen Volkes mit ihrer hohen Stirnen und schönen Gesichtszügen den weiteren kulturellen Aufstieg und die Vertiefung der Menschenliebe für die Zukunft garantieren. Damit hat der Dichter die Aktualität dieser Malerei in ihrem psychologischen Wert für das zwanzigste Jahrhundert erkannt.


Paulus

Eine ganz andere Welt des Fühlens, Wollens und Könnens tritt uns im Paulus entgegen. In vielen Zügen ist sein Charakter dem des Johannes entgegengesetzt geartet. Er hat eine markante, wuchtige Gestalt mit gespannten Formen und geradlinigen Umrissen. Er ist aus einem harten Holze geschnitzt. Der Schädel ist etwas buckelig und knorrig. Die kleinsten Gesichtsteilchen samt der Haut sind bewegt, gespannt, und markant ausgeprägt. Die Betonung der Längenverhältnisse ist auffällig. Der Kopf würde von vorn gesehen mit dem Vollbart die Figur eines langen Rechtecks haben. Paulus repräsentiert das Urbild eines Tatmenschen und Organisators.

Paulus. Die vier Apostel. München

Der Schädel, von der Nasenwurzel bis zum mittleren Hinterkopfe, ist lang. Hieran wäre energisches Willens-konzentrationsvermögen und Tatkraft festzustellen. Der untere Seitenkopf ist umittelbar über den Ohren plastisch, während das obere Seitenhaupt schmäler ist. Die Organfunktion zur Verbesserung der elementaren Lebensverhältnisse, starken Arbeitstriebes und der Kampfeslust treten damit hervor, als die selbstloser Hingabe für die Ethik und Religion. Auffällig, wie man bei Menschen von großer Unternehmungslust, Herrschergabe, Willensbeständigkeit und Neigung zum Diktatorischen findet, ist der obere Hinterkopf gebildet. Der Nacken wirkt kraftvoll, sowohl große Ausdauer in der Durchführung von Plänen, Schaffenstrieb, als auch feurige Leidenschaftlichkeit kennzeichnend. Die Stirn ist nur mittelhoch, aber kernig gebildet, ein markanter Augenbrauenbogen ist als Stirnansatz vorhanden. Es ist die Stirn eines verstandesscharfen Denkers. Die Erkenntnisfähigkeiten für das Äußere der Natur wären mithin vorzüglich angelegt.

Solch ein Kopf fasst die Realitäten des täglichen Lebens, des Körperlich-sinnfälligen, Objektiven scharf ins Auge. Aber die über die Sinneswahrnehmung hinausgehenden Fähigkeiten abstrakten Erkennens, der prophetischen Gabe und schöpferischen Phantasie sind weit weniger entwickelt; denn die Oberstirn ist flach, fliehend. Menschen mit einer so beschaffenen Stirn leben mehr der Gegenwart, als der Zukunft. Auch die allgemeine Menschenliebe ist bei ihnen mäßig. Über den äußeren Augenbrauenbogen zieht sich deutlich eine Ecke nach oben; Übersicht, große Ordnungsliebe und, da die Nase prägnant geformt ist, auch Organisationstalent ausprägend. Enormes Gedanken-konzentrationsvermögen deutet der plastische Übergang zur Nase. Die Stirnfalten sind gröber, als beim Johannes. Die Denktätigkeit ist nicht so subtil, der fast kahle, und zudem hart wirkende Schädel ist bezeichnend für den nüchternen, gefühlskälteren Verstandesmenschen. Der Schädelbau Pauli charakterisiert nach dieser Zergliederung weit mehr weltliche, als soziale und religiöse Gemütseigenschaften. Energisch gespannt tritt die Nase aus dem Gesicht hervor. Ihr Rücken ist breit und kräftig. D.H., dass er seiner Person Geltung zu verschaffen versteht und Herrschergaben besitzt. Die Nasenwurzel ist breit und knorrig in die Stirn übergehend. Ihr Eigner ist innerlich gesammelt und handelt mit Ruhe. Die Nasenspitze zieht sich tief nach unten. Es ist die "Spürnase". Ihr Träger ist zum Lebensernst geneigt und vermag sich über die Gründe und Absichten seiner Gegner im Lebenskampfe leicht zu orientieren. Die kugelige, gar nicht so dünne Spitze ist bei Menschen zu finden, die zu einer reichlichen, guten Ernährung geneigt sind und seelischer Wärme nicht entbehren. Die plastischen und geblähten Nasenflügel künden Mut.

Das Ohr ist deutlich lauschend, auf die Lauer der Außenwelt gerichtet, eiförmig und schön gegliedert und differenziert. Es kennzeichnet seelische Entwicklungsmöglichkeit und edles Menschentum im Innersten fühlen. Von den Nasenflügeln zieht sich ein plastischer Zug nach unten: Große Herz- und Lebensreservekräfte sind bei solcher Bildung zu diagnostizieren. Der sehr lange Vollbart bedingt gemessenes Benehmen und verrät Repräsentationswillen. Jedes einzelne Haar ist weniger gelockt und härter, als bei Johannes. Geringere Feinfühligkeit und größere körperliche Widerstandskraft gegen die Unbilden des Lebens wollte der Künstler damit demonstrieren.

Die Körperhaltung ist aufrecht, voll straffer Spannung. Fest steht Paulus auf beiden Sohlen. Die Kopfhaltung ist einsatzbereit ein wenig geduckt und seitlich hochgezogen, so dass auf der Unterstirn Beobachtungshöcker entstanden sind. Die Aufmerksamkeit ist interessiert auf die Umgebung, auf das Wollen und Treiben der Mitmenschen, auf die Außenwelt gerichtet. Dabei ist der Blick fest, sprechend, durchdringend, streng und geistesgegenwärtig, aber ohne Bösartigkeit oder Falschheit. Die seitliche Stellung des Augapfels mit der Drehung des Kopfes verrät kluge Reserviertheit und Geheimhaltung der Gedanken und Absichten, wie es oft bei Diplomaten zu beobachten ist. Einen ähnlichen Augenausdruck hat Dürer bei Hyronimus Holzschuher beobachtet und in dessen Bildnis wiedergegeben. Das Gesicht ist wie von Wind und Wetter gebräunt. Die Persönlichkeit Pauli ist auf der Höhe eines bereits von Lebenserfahrungen gereiften Alters gedacht, gewissermaßen an der Grenze vom Sommer zum Herbst, wo die Pflanzendecke sich zu bräunen beginnt.

Das Gewand hat eine kühle weiße Farbe, mit grünlich grauen Schatten. Es ist die Farbe des Eises, wodurch der verstandeskühle, willensharte, nüchterne Charakter symbolisiert sein soll. Die Falten sind lang, geradlinig, eckig, etwas starr und stoßen hart auf den Boden auf, der Herbigkeit und Gefühlshärte des Trägers entsprechend. Das lange, scharfkantige, geradlinige Schwert, das Paulus fest in der Faust hält, passt zum Manne der Tat.

Dürers Paulus repräsentiert eine männlich-kraftvolle, diktatorische, energievolle Herrscher- und Regentennatur, welche das Leben ernst nimmt und die Lebensgüter verteidigt. Es ist ein Verstandesmensch der erfolgreich ins öffentliche Leben eingreift. Er ist ein Mann des praktischen Schaffens und nicht des Strebens nach Ergründung geheimnisvoller Tiefen menschlichen Seelenlebens oder der Lösung von Welt- und Lebensrätseln. Der Paulustyp hat daher mehr als lebensklug, denn als weise zu gelten, kann eher Gegenwartsaufgaben lösen, als zukunftsbestimmend wirken. 

Albrecht Dürer: Karl der Grosse. 1511
Die Stadt Nürnberg verwahrte seit 1524 die ihr von Kaiser Sigismund übergebenen Reichskleinodien. Dazu gehörten die Krönungs-gewänder, Reichsschwert und Reichskrone.  Der gute Menschenkenner Nr. 76. Amandus Kupfer. Schwaig bei Nürnberg. 1939.

Hat Dürer in Karl d.G einen Herrscher, wie er in der Lebenswirklichkeit mit menschlichen Schwächen sich ausgewirkt gezeichnet, so hat er in Paulus einen Idealtypus als Regenten vor Augen führen wollen. Der gewissermaßen als Urbild zur Orientierung in dieser wichtigen Volksfrage der Führerauswahl gedacht ist.

Levitating Stone
(Hinzugefügt)


Erstellt 1999. Update 21. April 2007
© Medical-Manager Wolfgang Timm
Fortsetzung

Die  Kronen symbolisieren die höhere Natur in jedem Menschen, sein individueller potentieller innerer Adel. Jedermann ist verpflichtet seinen inneren Adel nach Albrecht Dürer und Carl Huter zu heben. Albrecht Dürer und Carl Huter
 
The Gate/Das Tor