Die vier Apostel: 2 + 1 Tafeln - Part 5           Copyright 1999-2007 Wolfgang Timm
 
Bild oben Albrecht Dürer „Die vier Apostel“ Selbstbildnis. München. Ausschnitte. Das gerundete Auge

Fortsetzung

Vergegenwärtige man sich, dass in beiden Stilproportionen sich der jeweilige Zeitwille kennzeichnet. Erdgebundenheit, geistige und physische Widerstandsfähigkeit sprechen die romanischen Proportionen. Überideal, asketisch war das Wesen der Gotik. So diese Joh. Trost´s Äußerungen 28 , Dürer habe aus Künstlerlaune Silene, Zwerge und lange Gespenster in diesen Proportionen gezeichnet. Verständnislosigkeit einmal dem Typenproblem und dann dem kunstphysiognomischen Absichten des Urhebers gegenüber. Das Trost nur die mittleren Proportionen gelten lassen wollte, verrät den Realismus seiner Zeit um die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts, wo man nach naturgegebenen Proportionen suchte, um die Anthropologie bereichern, nicht aber der Kunst dienen wollte. Zeisings Entdeckung des Goldenen Schnittes im Körperbau der Lebewesen war eine Frucht jener Bemühungen.

Der gute Menschenkenner Nr. 65. Hrsg. Amandus Kupfer. Schwaig bei Nürnberg. 1938

Dürers Zeitgenossen werden allerdings gewußt haben, was er bezweckte. Sie sahen in dem Proportionswerk ein Vorlagewerk, aus dem der schaffende Künstler herausfinden konnte, was er für die jeweiligen Aufgaben benötige: "So dann einer zu dir kommt und will von dir haben ein untreus, saturnisch oder martialisch Bild oder eins, das Venerem anzeigt, das lieblich holdselig soll sehen, so würdest du aus den vorgemeldeten Lehren, so du der geübt bist, leichtlich wissen, was Mass und Art du darzu brauchen sollst".29  "Eine jegliche Art gebrauch besonders in besonderen Bildern", schrieb er an anderer Stelle.30  Im Übrigen ermuntert er den Künstler: "Item durch Messen magst du erfinden zu machen allerlei Gestalt der Menschen, zornig oder gütig, erschrocken oder freudenreich und dergleichen, wie dann die Zufälle kommen".31  Auch diese Sätze bekunden charakterologische Ziele.

Satz des Pythagoras: Kaphammel 2001

Dass Dürers Sinn auf das Problem des Naturells gerichtet war, bekunden gleichfalls die Bemerkungen: "Dann zu gleicher Weis, wie die Griechen die schönste Gestalt eines Menschen haben zu gemessen ihrem Abgott Apollo, also wollen wir dieselben Maße gebrauchen für Christus den Herrn, der der Schönste der Welt ist. Und wie sie gebraucht haben Venus als das schönste Weib, also wollen wir dieselbe zierliche Gestalt keuschlich darlegen der allereinsten Jungfrau Maria, der Mutter Gottes. Und aus dem Herkules wollen wir den Samson machen, desgleichen wollen wir den andern (wie Faune, Silene, als Modelle für den Teufel, d. Verf.) allen tun".32
	                                         	
Dürer: Neue Proportionslehre                Die drei primären Naturelle - DgM Nr. 28
Bild rechts: Hrsg. Amandus Kupfer. Schwaig bei Nürnberg. 1935

Man betrachte die Abbildungen, die als Menschenarten dem Proportionswerk entnommen sind. Sie sind zum Vergleich mit der modernen Dreitypenlehre ausgewählt, und repräsentieren die Grundnaturelle Carl Huters.
                                            
Dürer: Neue Proportionslehre                Ernährungs-Naturell - DgM Nr. 28
Bild rechts: Hrsg. Amandus Kupfer. Schwaig bei Nürnberg. 1935 

Abb. misst sieben Kopflängen. Der Körper ist breitmassig, feist, mit weichen, üppigen Konturen, großem Leibesumfang, stark konisch zulaufenden Gliedern, kurzem, breiten Hals und massigen Untergesicht ausgestattet. Unter der Haut sind dicke Fettpolster zu denken, da kein Muskelrelief sichtbar ist. Es ist das Urbild des Huterschen "Ernährungsnaturells".

Bewegungsnaturell. Zeichnung Mellerke. 1935

Abb. misst 8 1/2 Kopflängen. Der Leibesumfang ist gering, aber die Arme und Beine sind lang. Der Kopf ist verhältnismäßig klein, die Stirn mäßig hoch. Das Muskelrelief ist deutlich sichtbar. Auch der Hals ist lang und muskulös. Die Konturen sind hart. Es ist wie beim Huterschen "Tat- und Bewegungsnaturell". Dürer wählte diesen Typ für die Paulusfigur seiner vier Apostel.

Empfindungsnaturell. Zeichnung Mellerke. 1935

Abb. weist nur 6 1/2 Hauptlängen auf. Sie hat also den verhältnismäßig größten Kopf auf dem kleinsten Körper. Die Glieder sind schlank, grazil, zierlich, lind und lieblich würde Dürer sagen. Der Hals ist schlank und dünn, der Kopf birnenförmig, mit hoher Stirn, breitem Oberhaupt und kleinem Hinterkopf gezeichnet. Wir finden die typischen Merkmale des Huterschen "Denk- und Empfindungsnaturells" vor.

Primäre Naturelle. Zeichnungen Carl Huter. Hrsg. Amandus Kupfer. 1930

Unter den fünf Hauptproportionen Dürers sind bei dreien Übereinstimmungen mit denen der drei Grundnaturelle Huters nachweisbar. Für die Hutersche Terminologie wählte ungefähr zehn Jahre nach Huters Tode Dr. E. Kretschmer die Bezeichnungen Pykniker, Athletiker und Astheniker.33  Was an Übereinstimmungen Dürerscher Typen mit solchen Huters gilt, ist somit auch zutreffend für diejenigen Kretschmers. 

[Anmerkung Timm: Vergleiche Amandus Kupfer: Die Dreitypenlehre Carl Huters (1880-1912) im Vergleich zu den drei Körperbautypen Prof. Dr. med. Kretschmers (1921-1929). Schwaig bei Nürnberg. 1930. Beweis: Kretschmer=Plagiat. Huter=Original, d.h. Wissenschaftsbetrug von Dr. med. Kretschmer! Erste diesbezügliche korrekte sachliche Gegenüberstellung der Huterschen mit der Kretschmerschen und der Sheldonschen Typenlehre erfolgte erst 1977 durch Dr. med und Dipl. Psychologe Detlev von Zerssen, Professor an der Universität München und Leiter der Psychiatrischen Abteilung am Klinischen Institut des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie in München. In der großen psychologischen Enzyklopädie, „Die Psychologie des 20. Jahrhundert“, ist in Band V eine umfangreiche Arbeit über „Konstitutionstypologische Forschung“ enthalten. Akademischer Beweis: Sheldon und Kretschmer = Plagiat. Huter=Original, d.h. Wissenschaftsbetrug von Sheldon und Kretschmer, da Primär-Quelle Carl Huter, aus denen geschöpft wurde, entgegen wissenschaftlichen Gepflogenheiten, nicht wahrheitsgemäß benannt wurde! Noch heute lehren deutsche Universitäten Verminderwertigtes über Konstitutionstypologien genannter Wissenschaftsbetrüger. Siehe hier in web unter Rubrik „Original]

Die übrigen Typen Dürers außer der drei besprochenen sind nach der heutigen Konstitutionsforschungen Mischungen. Dürer schrieb selbst dazu: "Bäuerischer Mann von sieben Hauptlängen". Dieser ist untersetzt, breitwüchsig, muskulös, mit breitem Schädel und kräftigen Extremitäten versehen. Derartige Typen sind zu großer körperlicher Kraftentfaltung und Widerstandsfähigkeit disponiert. Es ist das Hutersche "Bewegungs-Ernährungsnaturell".

Dürer suchte methodisch durch den Vergleich von Gegensätzlichkeiten zu belehren. So sind auch Figuren bewußt nebeneinander geordnet. Sie finden sich unter dem Studien-material zum Proportionswerk. Abb. mißt sieben Hauptlängen. Es ist derselbe athletische, grobnervige, breitschädelige Typ, wie der. Die Markusfigur unter den vier Aposteln ist dieser Naturellgruppe zu zuordnen. Abb. mißt 8 1/2 Kopflängen. Die Gestalt ist schlanker, graziler, zarter im Körper- und Gliederbau, als die benachbarte. In sich ist der Körper agiler, beweglicher. Die größere Feinfühligkeit gegenüber dem Nachbarn ist augenfällig. Es ist das Hutersche "Bewegungs-Empfindungsnaturell" und ist für den Johannes unter den vier Aposteln benutzt.

Bei diesen beiden Zeichnungen hat Dürer zum Unterschied seines Gegenstands zeichnerischen Darstellungen im Proportionswerk die Konturen belebt. Diese allein kennzeichnen schon die gröber, beziehungsweise feiner empfindende Seele. Im Originalwerk sind die Figuren ungefähr 20 cm lang und werden kurzweg nach Kopflängen benannt, obwohl gleiche Körpergröße dem Urheber nicht auch Bedingung war für gleiche Breite und Differenzierung des Körperbaues. In der Tat hat Dürer nicht den Kopf und seine Verhältnisse als Modell für alle Körperteile benutzt, sondern teils nach aliquoten Bruchteilen, teils intuitiv gegliedert und modelliert. Letztes gilt besonders für den äußeren Kontur, der aber von großer Wichtigkeit ist. Giesen bemerkte: "Er wählt eine Staffelung von sieben bis zehn Kopflängen, was an sich noch zu erklären wäre, wenn er in den vier Büchern einen Moduluskanon erarbeitet hätte. Dürer mißt aber die Körperteile als aliquote Bruchteile des Ganzen.

Hier besteht kein logischer Zusammenhang zwischen dem Aufbau des Buches und der im Einzelfall angewandten Vermessungsmethode. "Dürer hat jene Typen zwar aus aufgenommenen Maßen gebildet, aber nach subjektiven Empfindungen korrigiert. so daß noch beim Zehnkopftypus ein gleichartig durchformtes Gebilde heraus kam".34  Statt "gleichartig Durchgeformt" hätte Giesen mit Dürers Ausdruck "vergleichliches Gebilde" sagen können. Die Vergleichlichkeit ist hier im Wesentlichen intuitiv zustande gekommen. Und die Typenbenennung nach Kopflängen erfährt noch eine Ergänzung durch die erwähnten "Wörter der Unterschieds". Wir sind also zum Teil gezwungen seine Gleichungen selber zu uns sprechen zu lassen und als näheres Verständnis seiner Absichten heran zu ziehen. Wir müssen wohl die moderne Dreitypenlehre [Carl Huter] zum Vergleich heran ziehen.

Die sieben Kopflängen messende Figur ist der Typ des Empfindungsnaturells. Man vergleiche den Kopf desselben mit der Zeichnung Dürers und man wird eine überraschende Ähnlichkeit feststellen. Bei beiden ist der Kopf birnenförmig, ausgestattet mit einer hohen Stirn und zarten Gesichtszügen. Das Profil ist nicht etwa nach dem Verhältnis von 1:1:1 gleichwertig gegliedert, sondern ein großes Obergesicht ist einem kleineren Mittel- und Untergesicht zugeordnet.

Die "Verkehrung" der Figuren nahm Dürer also, wie wir sehen nicht mechanisch vor, auch wird die Naturbeobachtung bei der Gestaltung seiner Typen eine nicht zu unterschätzende Rolle gespielt haben. Das Empfindungsnaturell hat Dürer in der Gotik vielfach Gelegenheit gehabt zu beobachten. War es doch gewissermaßen der "Leittypus" dieser Epoche. Sein vielbewundertes Vorbild, Martin Schongauer, hat alle Figuren in diesem zierlichen Naturell dargestellt. Wenn also der Meister schon bei seinen schematischen Proportionsfiguren nur die Grundstruktur mathematisch zu konstruieren unternahm und dann alles weitere nach seinem subjektiven Ermessen ergänzte, so darf es nicht Wunder nehmen, wenn er dieses Verfahren auch bei seinen ausgeführten großen Gemälden z.B. den vier Köpfen der Apostel anwendete.

Außerdem wollen die Kritiker nicht vergessen, dass eine der psychologischen Elemente niemals in Zahlenwerte auszudrücken ist, nämlich das Individuelle. Dieses ist eine irrationale Größe bei seinen Aposteln, was man bisher in der Kritik und Deutung außer Acht ließ und nicht auseinanderhielt.  Dürer hat als erster das Naturelltypenproblem aufgerollt lange bevor die neuere Anthropologie sich damit befasste. Dazu das Idealisieren der Naturelltypen ist eine weitere Gabe die Dürer besaß. Natürlich hat er kein klassisches System geschaffen, stand er doch am Anfang der Forscherreihe. 

Typisieren heißt die bekannten Male einer Körperkonstitution betonen. Idealisieren heißt aber einem Gesichte seinen nie wiederkehrenden Ausdruck zu verleihen. Man hat sich über die künstlerische Lebensfähigkeit der Zeichnungen zum Proportionswerk gestritten. Verglichen mit den sonstigen Graphiken Dürers wirken sie mit wenigen Ausnahmen leer und leben nur von der Proportionalität Gnaden. 

Dürer hat dieses sicher mit Fleiß getan um ihres schematisch-technischen Zweckes willen. Der sich ihrer als Vorlage bedienende Bildhauer oder Maler sollte sie bei der praktischen Anwendung erst mit Leben erfüllen. Um zu der Darstellung der Urgestalt eines ungemischten Typenbildes, das in Natura nirgend vorhanden ist, zu kommen, ist es nötig, die in der Wirklichkeit verstreut zu findenden wiederkehrenden Körperteilformen auszusuchen, auszuwählen und dann zu einem Ganzen zu vereinigen. Es ist die Methode der Elimination. Dieser war sich Dürer bewusst: "Und wiewohl man von vielerlei Menschen zusammen versammeln soll, so soll man doch von einerlei Art der Menschen zu einem Bild brauchen, und wie vor gemeldet ist, der Gleichheit halben". (S.225) Durch das Vorgehen des Typenforschers, der aus dem Gefüge der Ganzheit einer Persönlichkeit nur ein Element, hier das des Naturells, zwecks wissenschaftlicher Orientierung heraushebt, erhalten die so gewonnenen Figuren einen gewissen Anstrich des Unnatürlichen, doch ist dies unvermeidlich und nicht nur bei Dürer, sondern auch bei den modernen Konstitutionsforschern der Fall. 

Wenn man Dürer daraus einen Vorwurf macht, so ist es einem Missverständnis zuzuschreiben, denn es ist eine unvermeidliche Folge. Maßnahme anthropologischer Forschungsmethodik, und Dürer war sich dieses möglichen Missverständnisses wohl bewusst. Er bemerkte: "Aber all die Masse, die ich hier beschreib und aufreiße, davon will ich mit Niemand disputieren, ob man solch Menschen finde oder nit. Ich mach sie aber darum also, da? ich hoff, ich wöll Ursach sein, daß ihr viel kommen werden, die da werden diesen Weg anzeigen, wie die Menschen gestalt sind, und wie sie müssen sein, und wie sie sein möchten. Darum such ein idlicher hieraus die Wahrheit und Nutz der Natur, edler Kunst und Schönheit, oder sein eigen Wohlgefallen, wozu ihn dann sein Begierd trägt". (S.261)

Irreführend ist die in neuerer Zeit vielfach vertretene Anschauung, dass die Proportionszeichnungen nur "formaler" Art seien. Formal soll heißen, dass die Figuren ohne wesentlichen Charakterologischen Gehalt, lediglich gemacht seien, um zu zeigen, wie die menschliche Gestalt aller Konstitutionen konstruiert werden kann. Sie müssten dann, von irgendeiner Konstitution ausgehend, gleichsam mechanisch durch Anwendung der zu diesem Zwecke erfundenen Werkzeuge durch "Verkehrung" zustande gekommen sein, ohne dass Dürer sich bei jeder einzelnen Zeichnung etwas an charakterlicher Repräsentation gedacht hätte. Dass viele Proportionszeichnungen die Anwender seiner Instrumente der Variationstechnik zeigen sollten, ist nicht zu leugnen. Aber das ist nicht ihr einziger Zweck. Wohl sind die Bewegungen derselben formal, Dürer hat bewusst mehrere Grundkonstitutionen im Auge gehabt, an denen er dann die rein technischen Schwierigkeiten ihrer Herstellung demonstrierte. Zunächst hat er die Konstitutionen konzipiert und dann sind erst die Werkzeuge zu ihrer Konstruktion erfunden. Nicht aber sind jene um der Werkzeuge willen da. Bei jener unbegründete Behauptung, die Figuren seien nur formaler Art, hat man Gründe der Darstellung und technisches Mittel verwechselt und sich auch durch die Leerheit ihres Ausdrucks zu jenem Urteil verleiten lassen.

Vergegenwärtigen wir uns noch einmal das Ergebnis der Besprechung des Naturellproblems. Bereits vor Dürer haben italienische Theoretiker von mehreren Grundtypen gesprochen. Dürer jedoch hat als erster zeichnerische Fixierungen derselben geliefert, von denen einige überein stimmen in ihrer Struktur mit den modernen Naturelltypen Carl Huters. Weder die Proportionierung ihres Körperbaus nach Kopflängen, noch nach aliquoten Bruchteilen führten zur wissenschaftlichen Ermittlung derselben. So hat Dürer die Urtypen wohl intuitiv richtig erkannt, aber mit den damaligen Mitteln arithmetischer Konstruktionsmethoden keine biologische Begründung liefern können, die erst vierhundert Jahre später mit Hilfe der modernen Naturwissenschaften möglich war.

[Anmerkung Timm: Diese biologische Begründung ist vom Nichtakademiker Carl Huter Ende des 19. Jahrhunderts und Anfang des 20. Jahrhunderts in erschöpfender Weise, naturwissenschaftlich begründet, getätigt worden. Anfang 2004 wurde Herausgeber W. Timm eine halbe Stunde telefonisch von Vertreterin, Westdeutscher Rundfunk, insbesondere zum Wissenschaftsstatus Carl Huters befragt. Huters bahnbrechende wissenschaftliche und praktisch verwertbaren Forschungsergebnisse lassen heute, Anfang des 21. Jahrhunderts, auch „Mainstream“-Medien aufhorchen. Huters Motto: Ohne Zellenkenntnis keine Menschenkenntnis! 400 Jahre vor der Zeit Huters fehlten Albrecht Dürer für seine Proportionsstudien und Konstruktionen von Proportionsfiguren diesbezügliche wissenschaftliche Forschungserkenntnisse. Das Dogma heutiger akademischer Naturwissenschaften, das glaubt, die tatsächliche Leitkraft in der lebenden Zelle, „innere Sonne“, Terminologie Huters: „Helioda“, leugnen, ignorieren und unterdrücken zu können, muss sich nicht wundern, dass ihr hierauf gegründetetes Welt- und Menschenbild in naher Zukunft zerbrechen wird, um auch im Mainstream den Weg für wirklichen Fortschritt frei zu machen! Stichwort „Neue Wissenschaft“]

DgM Nr. 66. Hrsg. Amandus Kupfer. Schwaig bei Nürnberg. 1936
Carl Huters Wissenschaftliche Begründung

Für Dürer war das Typische in der Natur das Wesentliche. Sowohl der Gattungs- wie Individualcharakter vermochten sein Interesse weniger zu wecken. Längst hat man auch bei seinen Bildnisdarstellungen die Neigung zum Typisieren bemerkt, im Gegensatz zu Holbein d.J., den besonders das Individuelle wiederzugeben reizte. Das Typisieren wird auch das Geheimnis über Düreres Selbstbildnis in München ausmachen. Außer dem Schema der gleichmäßigen Dreiteilung des Gesichtsprofils, wie Justi es erkannte, ist die Hervorhebung seiner Naturelleigenart die Ursache, dass man zu der Überzeugung kommt, keine Wiedergabe der unmittelbaren Lebenswirklichkeit vor sich zu haben, sondern eine Stilisierung.35

Auch die vier Apostel sind nicht Darstellungen bestimmter Individualitäten aus der Umgebung des Malers als Modelle für die heilig-legendären Gestalten der Bibel, sondern Charaktertypen, die auf der Grundlage seiner Typen- und Proportionslehre konstruiert sind. So stellte Dürer auch keine vorübergehende Scenen des Bauerlebens dar, sondern das typisch Bäuerische suchte er im Körperbau wiederzugeben. Neigung zu Typisierung kennzeichnet sich auch in dem Bestreben, menschliche Charaktere durch tierähnliche Physiognomien anzudeuten.

Wenn Dürer auch nichts in diesem Sinne praktisch schuf, so hat er sich doch dazu geäußert: "Aber daß man zu Zeiten spricht: der Mensch sicht löwisch oder als ein Bär, Wolf, Fuchs oder Hund, wiewohl er nit vier Füss hat als dasselb Tier: aus solchem folgt nit, dass solche Gliedmass des Tiers da sei, sondern das Menschen auswendig Erzeigung,die ein solch Gemüt eines solchen Tieres nach unserm Bedünken in einem Menschen anzeigt". 21) 210) Diese Äußerung bekundet übrigens ebenfalls Dürers phyisognomische Orientierung und Gesinnung, daß inneres Wesen und äußere Erscheinung in einem Funktionsverhältnis zueinander stehen.


Die Geschlechter

Die Adam- und Eva-Darstellungen Dürers erwecken den Eindruck, als ob sie dem Künstler zur Hauptsache eine wissenschaftlich-charakterlogische und keine ästhetische oder biblische Angelegenheit waren, wie es oft bei andern Meistern der Fall gewesen. 

Albrecht Dürer: Adam und Eva. Von links 1504, 1504, 1510

Für ihn objektivierte sich im weiblichen und männlichen Körperbau die geschlechtliche Wesensart, die zu typisieren er sich zur Aufgabe machte. Daß der Adamfigur des Bam-berger Domes mathematische Abstraktionen zu Grunde lagen, ist schon angeführt. 

Adam - Bamberger Dom

Bei Vitruv fand Dürer den Körperkanon nur auf den Mann bezogen. So lag daher für ihn nahe, für den weiblichen Körperbau und dessen Kopfbildung die entsprechenden Verhältnisse aufzusuchen. 

DgM Nr. 14. Hrsg. Amandus Kupfer. Schwaig bei Nürnberg. 1934
Frau Mann

Justi 36 wies darauf hin, dass der Meister dem Weibe nicht nur eine geringere Körpergröße zuwies, sondern, was beachtenswert ist, die Scheitelregion bei demselben höher wölbte. Hiermit ist die bei den Frauen durchschnittlich tiefer veranlagte Religiosität phrenologisch ausgeprägt. Außerdem sind die weiblichen Konturen weicher, gerundeter geformt. Der Körper ist weniger muskulös, mit schmaleren Schultern, längeren Haaren und hellerer Hautfarbe dargestellt. Auch die wesenseigentümlichen Körperhaltungen und Beinstellungen sind beobachtet. 

Albrecht Dürer: Adam und Eva. Von links 1510, 1498

Selbst der geometrischen Symbolik ist hier Beachtung zu schenken. Die Kugelgestalt des Apfels in der Linken Evas und der eckigere, längliche, oben breit ausladende Zweig, den Adam umfasst, haben hier Bedeutung: Die Kugel deutet auf das in sich ruhende Wesen des Weibes, und der Zweig auf das aus sich heraustretende des Mannes hin. 

Die charakterlichen Vorzüge der beiden Geschlechter sind um des Typischen willen besonders hervorgehoben. Dürer zeigt, dass jedes Geschlecht seine besonderen Schönheiten hat, wodurch Mann und Weib sich ebenso ergänzen, wie in ihren Charakteranlagen. Es war ein sinnvoller Gedanke des Mittelalters, den Urmann und das Urweib in der Norm der Gattung darzustellen, mithin die sakrale Kunst nicht nur poetisch, sondern auch wissenschaftlich bemüht war. 

Levitating Stone
(Hinzugefügt)
Wenn der Adam des Bamberger Domes sichtlich das Bestreben dokumentiert, nur die grobe Proportionalität des Körperbaues zum Ausdruck zu bringen, so hat Dürer zudem sich bemüht, den Vollmann und das Vollweib in den Einzelzügen, selbst in der Plastizität der Haut und ihren Spannungen und Färbungen, aufzuzeigen.

Albrecht Dürer: Adam und Eva. 1504

Der Kupferstich aus dem Jahre 1504 ist charakterologisch aufschlussreicher, als die Malerei dieses Motivs aus dem Jahre 1507.

Albrecht Dürer: Adam und Eva. Madrid. 1507
Rekonstruktion Volker Ritter. Die vier Apostel München & Lempertz. Komposition Wolfgang Timm



Erstellt 1999. Update 21. April 2007
© Medical-Manager Wolfgang Timm
Fortsetzung

Die  Kronen symbolisieren die höhere Natur in jedem Menschen, sein individueller potentieller innerer Adel. Jedermann ist verpflichtet seinen inneren Adel nach Albrecht Dürer und Carl Huter zu heben. Albrecht Dürer und Carl Huter
 
The Gate/Das Tor