Menschenkenntnis Lehrbrief IV. - Part 26
 
Hauptwerk 1904-06. Carl Huter
Bearbeitung: Medical-Manager Wolfgang Timm

FORTSETZUNG

Lavaters physiognomisches Können

Tafel XXXI. Physiognomische Studien nach Lavater
Intelligenz, Energie und gutes Streben

1. Ein keckgezeichnetes Bild von ALBRECHT DÜRER, dem wohl kein einziger Mensch, dem es zu Gesichte kommen mag, männlichen Mut, tiefen Blick, feste Bestimmtheit des Charakters - und produktive Kraft absprechen -, in dem jeder sogleich alles das finden wird, sobald man es ihm vorgesprochen hat.

2. Moncrif. Es ist kein Mensch, kein Menschenbemerker, der dies Gesicht leicht in die Klasse der Dummköpfe verweisen wird. Den feinen Weltmann, den Mann von Geschmack, wird niemand im Blick, in der Nase besonders, auch mit in dem Munde verkennen.

3. Ein Umriß nach Sturz. So wenig sagend, als ein Umriß sagen kann, gar nicht in der Lage gezeichnet, wie ein Gesicht entscheidend zum Vorschein kommt, so entblößt von allen Nuancen, die oft von so erstaunlicher Bedeutung sind, und dennoch (galt irgend einmal ein dennoch, so galt es jetzt) gewiß nach dem physiognomischen Gefühl beinahe eines jeden Weltmenschen wenigstens ein fähiger, leichtbegreifender, das sinnlich Schöne fein fühlender Kopf.

4. Spalding. Es ist kein Mensch, der beim Anblick dieses Gesichtes nicht einen mehr als gemeinen Menschen, nicht einen feinen und scharfen Beurteiler, nicht den Mann von Geschmack erkennt. Wird der leicht betrogen? Nein! werdet ihr sagen. Liebt er dunkle und verworrene Begriffe? Gewiß nicht. - Wird er mit Würde und Klugheit handeln? Gewiß, wenn er seinem Gesichte gemäß handelt. So werdet ihr von dem Vollgesicht, so von dem Profile (6) urteilen.

5. Wie die Form, so das Profil. Und wie viel mehr kann man nicht aus diesem sehen? Wem bürgt nicht diese Stirn und Nase für gesunden, forschenden Menschenverstand, dieser Mund, dieses Kinn für Gutmütigkeit, für Adel der Seele? Für Treuherzigkeit und Liebe?

6. Auch dem Unwissendsten wird Stirn, Auge und Miene von einem denkenden und eleganten Kopf zu sein scheinen.

Aus Lavaters Originalwerken, systematisch zusammengestellt von Carl Huter

Tafel XXXII. Physiognomische Studien nach Lavater
Genie, Talent, landläufige Beschränktheit, Blödsinn und Verbrechen

7. SHAKESPEARE. Kopie und Kopie - leerer, geistiger Umriß? Unter zehntausenden, welcher ist ganz wahr? Welcher von einem großen Kopf erreicht sein Urbild? - Und dennoch - wer sieht nicht bloß nach dem allgemeinen physiognomischen Gefühl in diesem Umrisse den offenen, hellen, schnell und leicht auffassenden, schnell und leicht verwandelnden und umschaffenden Kopf?

8. Sterne. Von allen Lesern auch nicht einer, auch der geübteste nicht, wird diesem Gesicht tiefeinschneidenden Witz, die originellste Laune voll Feuer und Kraft absprechen. Wer in diesem Gesichte nicht von Yoriks Geist sieht, der hat ein stumpfes physiognomisches Gefühl. -

Wir steigen nun auf die entgegengesetzte Stufe herab. Bis jetzt haben wir den Ausdruck der schaffenden Natur betrachtet - nun läßt sie ihn uns auch in ihrer Zerstörung schauen. Auch hier - welcher jedem Menschenauge beim ersten Anblick begreifliche und faßliche Ausdruck! -

9. Zwei*) Im Original ist zu diesem Gesicht noch ein zweites ähnliches dargestellt, das hier als überflüssig fortgelassen ist. Toren im Profil. Von diesen kleinen Augen in beiden, den Falten im unteren, dem offenen Mund in beiden, besonders in dem ganzen Unterteile des Gesichtes, des oberen, wird kein Mensch, wer er immer sein mag, Scharfsinn, Überlegung, Weisheit erwarten.

10. Wer erblickt nicht in diesem Gesichte zerrüttete Vernunft, Dummheit, beinahe bis zur Tierheit herabgesunken. - Dieses Auge, diese Falten der vorhangenden Stirn, dieser aufgeworfene Mund, die ganze Stellung des Kopfes - spricht sie nicht deutlich für Schlappheit und Schwäche?

11. Wie unentscheidend allenfalls für das physiognomische Gefühl der obere Teil des Gesichtes sei, der untere ist von aller Zweideutigkeit frei. Tausende wie Einer, und Einer wie Tausende, werden von diesem offenen Mund, diesem Kinn, diesen faltigen Wangen keine wahre Besonnenheit und Überlegung erwarten können.

12. Judas nach Holbein. Welcher Mensch wird sich bereden können, daß ein Apostel des Herrn so ausgesehen haben könne? Daß Christus ein solches Gesicht berufen haben könnte? Und welches Gefühl wird es nicht wahr finden, wenn man so ein Gesicht ein filziges, niedriges Gesicht nennt? Wer wird sich einem solchen Gesichte gern anvertrauen?

Aus Lavaters Originalwerken, systematisch zusammengestellt von Carl Huter

Man sieht hieran, Lavaters Können als physiognomischer Beurteiler ist mäßig, denn alle diese Urteile sind kurze Skizzen. Das Wenige, was er sagt, ist jedoch zutreffend. Zugleich  ersieht man ferner hieraus, daß die kleinen gehässigen Geister, die diesen Mann unanständig bekrittelten, selbst einfach gar nichts auf diesem Gebiete geleistet haben. Es sind also völlig negative Naturen gewesen, Leute, die das Unheil stifteten, daß man diese schöne aufblühende Wissenschaft, nachdem LAVATER gestorben war, ruhen ließ. Die großen napoleonischen Kriege, die über Europa hereinbrachen und überallhin Not und Elend brachten, waren ebenfalls schwere Hindernisse, diese Lehre fortzuentwickeln. Das größte Hindernis freilich lag in der Lehre selbst, einmal ist sie die schwierigste und umfassendste aller Wissenschaften, und zweitens hat LAVATER nicht vermocht, sie auf naturwissenschaftliche Grundlagen zu stellen, um sie objektiv methodisch lehrfähig zu machen. Das Selbstbekenntnis über seine Physiognomik ist ebenso liebreizend als rührend, es lautet:

Lavaters eigenes Selbstbekenntnis über seine Physiognomik

Jetzt erkennen wir noch stückweise - und unser Auslegen und Kommentieren ist - Stückwerk! Weg mit diesen Abschnitten, wenn die Vollkommenheit kommt! Noch ist`s Stammeln eines Kindes, was ich schreibe! Kindische Einfälle und Bemühungen werden sie mir einst scheinen ein düsteres Glas - bald von Angesicht zu Angesicht - jetzt abschnittsweise, dann werde ich es durch und durch erkennen - wie ich - von dem erkannt bin, aus dem und durch den ich und in dem alle Dinge sind! Ehre sei ihm in Ewigkeit! Amen! -

Mein Schlußurteil über diesen Mann fasse ich dahin zusammen:

LAVATER war ein guter Seher, ein stark wollender aber nicht stark könnender Ergründer; noch weniger war er ein naturwissenschaftlicher Systematiker. L. war ein Schönredner und ein sehr angenehmer Plauderer, aber es fehlte ihm die Kraft der analytischen Forschung. Er war ein vortrefflicher Sammler physiognomischer Werte seiner Zeit, er war ein ritterlicher, tugendhafter Charakter und einer der begeistertsten Anhänger und Verteidiger der Physiognomik, die je gelebt haben. Was aber aus dem reichen Samen, den dieser Mann gestreut hat, für die Nachzeit und bis heute herausgewachsen ist, und was sich daneben noch alles Neue eingesamt hat in die goldene Erde der geistigen Menschheitskultur - und auch schon aufgegangen ist - das grünt und blüht auf sonniger Flur für unsere und für alle fernen Zeiten, das wollen wir im fünften Lehrbriefe dieses Werkes kennen lernen.

Aus Lavaters reichen Schätzen physiognomischer Sammlungen konnte hier nur einiges in  wenigen Tafeln zusammengestellt und wiedergegeben werden, damit sich jeder Leser ein klares Urteil darüber bilden kann. Lavaters vortreffliches Streben wurde bereits zu seinen Lebzeiten reichlich anerkannt. Er wurde der geistige Vater und Berater der bedeutendsten Personen in Europa. Sowohl Fürsten und Fürstinnen, als auch Schriftsteller, Künstler, Gelehrte, Staatsmänner, Theologen, Ärzte und viele Volksmänner zählten zu seinen Jüngern. Er konnte allen den an ihn ergangenen Einladungen nicht Folge leisten. Die Reisen, die er machte, glichen wahren Triumphzügen. Dieses trug denn dazu bei, daß sich Neid und gehässige Mißgunst hier und dort hochmachten und an seine Fersen hingen. Manche Kränkungen mußte daher dieser edle Mann auch erleben. G. Chr. LICHTENBERG und MUSÄUS verspotteten seine Lehre, und alles, was gemein ist, erfreut sich ja bekanntlich am Gemeinen. Alles Edle bleibt aber dem Edlen treu. Somit blieb Lavaters Volkstümlichkeit bei allen edlen Menschen, die ihn und seine Werke kennen lernten, unerschüttert. LAVATER war der erste, der einsah, daß bei aller Liebe zur Sache sein Können hinter seinem Wollen zurückblieb. Das hat er denn auch des öfteren wiederholt. Aber, frage ich, wer hat denn vor Lavaters Größeres auf diesem Gebiete geleistet? Man suche nach in der ganzen alten Weltliteratur, und man wird aus früheren Zeiten nicht Gleiches an Schriftwerken über Physiognomik "Lavaters physiognomischen Fragmenten zur Beförderung der Menschenkenntnis und Menschenliebe" an die Seite stellen können. In der physiognomischen Kunst ohne physiognomische Buchwerke ist er jedoch von MOSES, BUDDHA, CONFUTIUS, PLATO, PERIKLES, PHYDIAS, SOPHOKLES, HOMER, JESUS, MOHAMMED, LEONARDO DA VINCI, RAFFAEL u.a. weit übertroffen worden.

Über das, was vor ihm geleistet worden ist, gebe ich hier nun in Tafel XXIX, aus Della Portas Physiognomischen Studien, einem Werke, das besonders das gesamte Kunstgewerbe des späteren Mittelalters beeinflußt hat, eine Andeutung.

Tafel XXIX. Des italienischen Bildhauers Della Porta vergleichende Studien von Tier- und Menschen-Physiognomien

Tafel XXIX


Tafel XXIX

I. Giraffe und Mensch. II. Pferd u. M. III. Dogge u. M. IV. Reh u. M. V. Widder u. M. VI. Löwe u. M.

Della Porta vergleichende Studien von Tier- und Menschen-Physiognomien (Hinzugefügt)


Della Porta vergleichende Studien von Tier- und Menschen-Physiognomien (Hinzugefügt)


Della Porta vergleichende Studien von Tier- und Menschen-Physiognomien
(Quelle: Peter Gerlach. Aachen „Von Angesicht zu Angesicht“. Kommentierte Bibliographie. Hinzugefügt)

Eine zweite Tafel, die vier Temperamente darstellend, die LAVATER anscheinend aus vorgefundenen Werken englischer und französischer Physiognomiker (Maler und Bildhauer) entnommen hat, ist in Tafel XXX wiedergegeben. Ich komme später noch eingehender hierauf zurück.

Tafel XXX. Die Auffassung von den vier Temperamenten vor und zu Lavaters Zeiten

1            Tafel XXX                2


3            Tafel XXX                4

I. Das phlegmatische, II. das cholerische, III. das sanguinische und IV. das melancholische Temperament.

Zu Tafel XXXI und Tafel XXXII ist Lavaters eigene Originalerklärungwiedergegeben. Die nachfolgenden drei Tafeln auf Seite 142, 143 und 145 sollen Studien ohne Erklärungen für die geschätzten Leser sein, dieselben werden im fünften Lehrbriefe noch näher behandelt.

I            Tafel XXXIII.            II



III            Tafel XXXIII.            IV

Lavaters Versuche, eine Gehirnbau- und Schädellehre (Phrenologie) zu begründen


Levitating Stone
(Hinzugefügt)
Jedem zum Erfolg in praktischer Menschenkenntnis zu verhelfen, dazu soll dieses Lehrwerk besondere Dienste erweisen.



Erstellt 1994. Update 16. April 2007
© Medical-Manager Wolfgang Timm
Fortsetzung
Hauptwerk. 2. Auflage. 1929. Hrsg. Amandus Kupfer

Die  Kronen symbolisieren die höhere Natur in jedem Menschen, sein individueller potentieller innerer Adel. Jedermann ist verpflichtet seinen inneren Adel nach Albrecht Dürer und Carl Huter zu heben.
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