Menschenkenntnis Lehrbrief IV. - Part 7
 
Hauptwerk 1904-06. Carl Huter
Bearbeitung: Medical-Manager Wolfgang Timm

FORTSETZUNG

Vererbte und nicht vererbte Zellteile nach CARL HUTER

Fig. S. 345


b) Die geschlechtliche Befruchtung und Vererbung

Zur näheren Erklärung, daß auch bei geschlechtlicher Befruchtung sich im großen und ganzen der gleiche Vorgang abspielt, nur mit dem Unterschiede, daß sich der männliche Samen mit dem weiblichen Ei auf das innigste zu neuer Einheit verbindet und dann diese vereinigte Zweieinigkeit sich wieder so teilt, daß in jeder nachfolgenden Neuzelle, welche aus der befruchteten Ureinheitszelle entsteht, alle väterlichen und mütterlichen Elemente genau weiter vererbt werden, dazu möge eine sehr hübsche Darstellungsweise des Professors BOVERI*)  dienen. Siehe Tafel IV, Seite 31!

*) Die Vorgänge der Befruchtung und Zellteilung in ihrer Beziehung zur Veerbungsfrage in: Verh. Anthropol. Ges. München, 30 November. 13 p. Separatum T.13.14.


Tafel IV



Tafel IV

Auf der 73. Versammlung deutscher Naturforscher und Ärzte hielt Professor BOVERI aus Würzburg einen Vortrag, aus dem nachfolgender Auszug zur Erklärung dieser Tafel dienen soll.

Beim Befruchtungsvorgang, wie er 1875 zuerst von O. HERTWIG bei den See-Igeln erkannt wurde, verschmolzen zwei höchst ungleiche Zellen, eine männliche und eine weibliche Keimzelle (Samenzelle oder Spermatozoon und Eizelle), zu einer Zelle, aus der durch fortgesetzte Zweiteilung alle die Millionen oder Billionen Zellen des neuen Individuums hervorgehen. Das uralte physiologische Befruchtungsproblem zu formulieren: Was bringt das Spermatozoon in die Eizelle hinein, um dieselbe zur Entwicklung anzuregen? Auf Grund der Erscheinungen der sog. Parthenogenese läßt sich folgern, daß dem Ei keine wesentliche Qualität zur Hervorbringung des neuen Individuums fehlt, sondern daß das Spermatozoon offenbar nur eine untergeordnete Hemmung löst, die das Ei an der Einleitung der Entwicklung verhindert. Und da die Grundlage der Entwicklung die Zellteilung ist, so formuliert sich das Problem dahin: Was fehlt dem Ei, daß es sich nicht zu teilen vermag, was bringt das Spermatozoon neues hinein, um die Teilung zu ermöglichen? Antwort darauf geben die Vorgänge bei der Teilung einer jeden tierischen Zelle in Verbindung mit denen, die sich nach dem Eindringen des Spermatozoon im Ei beobachten lassen. Das Leitende bei der Kern- und Zellteilung ist ein kleines, außerhalb des Kerns, im Protoplasma gelegenes Körperchen, das der Vortragende Zentrosoma genannt hat. Dieses Teilungsorgan, das jeder typischen tierischen Zelle zukommt, bildet sich im Ei vor der Befruchtung zurück und wird ersetzt durch dasjenige des Spermatozoon, von dem nun alle Zentrosomen des neuen Individuums abstammen. Auf Grund dieser Tatsachen und verschiedener Versuche hat der Vortragende die immer mehr sich bestätigende Theorie entwickelt, daß die befruchtende Wirkung des Spermatozoon ausschließlich auf der Einführung des Zentrosoma beruht. Allein das Befruchtungsproblem hat noch eine zweite Seite, die sich in die Fragen fassen läßt: Weshalb verschmelzen überhaupt zwei Keimzellen miteinander, und warum sind sie so hochgradig voneinander verschieden? Hierüber gibt eine vergleichende Betrachtung geschlechtlicher Vorgänge bis zu den einzelligen Wesen zurück Aufschluß. Auch hier tritt von Zeit zu Zeit eine Zellenpaarung (Konjugation) ein, die der Paarung von Eizelle und Samenzelle vergleichbar ist, nur mit dem Unterschiede, daß 1. die beiden konjugierenden zellulären Individuen in den einfachsten Fällen vollkommen gleich sind und 2. die Zellenpaarung nicht den Ausgangspunkt eines Vorganges bildet, den man als "Entwicklung" bezeichnen könnte. Die Bedeutung dieser Vorgänge ist nicht, wie man vielfach annahm, in einer Steigerung der Lebensenergie (Verjüngung), sondern lediglich in der Mischung der individuellen Eigenschaften zweier Zellen in einer zu sehen. Von diesem Standpunkte erklären sich die Eigentümlichkeiten, die die Befruchtung von der Konjugation unterscheiden, in folgender Weise: Der sexuelle Gegensatz hat lediglich die Bedeutung einer Arbeitsteilung, kombiniert mit reziproker Hemmung. Die Eizelle liefert das ganze Protoplasma, die Samenzelle sorgt für die Vereinigung; die letztere ist durch den Mangel an Protoplasma an selbständiger Entwicklung verhindert, sie besitzt dagegen das Zentrosoma, das der Eizelle fehlt. Die Beziehung der Befruchtung zur Entwicklung ist gleichfalls aus den Bedürfnissen der Qualitätenmischung zu erklären. Zwei aus zahllosen Zellen zusammengesetzte Organismen können nicht wie zwei einzellige zusammenfließen und ihre Eigenschaften vermischen; nur auf jenen Zustand ist die Mischung möglich, wo das Individuum sozusagen noch in eine Zelle zusammengefaßt ist. Die Unfähigkeit von Ei- und Samenzelle, sich selbständig zu entwickeln, erscheint nicht mehr als ein fundamentaler Mangel, sondern als ein Verzicht zu dem Zweck, eine Qualitätenmischung herbeizuführen.

Der Vorgang ist folgender:

Sobald das weibliche Ei von den zahlreichen Samentierchen, die es umschwärmen, um in den Eikörper einzudringen, eines ausgewählt hat, öffnet es sich diesem einen gewählten Liebling und läßt ihn hinein. Das Protoplasma des Eikerns kommt sogar der Samenkernzelle entgegen und holt es zu sich hinein (Empfängnishügel), hinterher schließt es sich sofort, so daß kein zweites Samenindividuum oder Spermatozoo mit hineindringen kann. Zu diesem Zwecke bildet es sogar eine neue Schutzhaut. Jedes Samentier oder Spermatozoo ist eine Zelle für sich. Der Samenschwanz oder Faden geht zugrunde und scheint nur den mechanischen Zweck gehabt zu haben, der Samenzelle eine größere Elastizität und Energie bei den Bewegungen desselben zu verleihen. Die Samenzelle, welche, nebenbei gesagt, ganz erheblich (einige hundertmal) kleiner als die weibliche Eizelle ist, wandert innerhalb weniger Minuten in die Nähe des Eikerns. Das jetzt sehr kräftig strahlende Zentrosom der Samenzelle lagert sich zwischen die Kernsubstanzen des Ei- wie Samenkerns, es geht die gewöhnliche Spaltung der Schleifen vor sich. Jetzt teilt sich das Zentrosoma in zwei Teile beide wandern schnell zu den Polen und richten von dort aus mit ihren Spindeln und Strahlen die in der Äquatorebene sich befindenden Eikern- und Samenkernteile.

Die Teile werden ausgewechselt, so daß der A-Strahlpol die Hälfte Kernteile (Schleifen) vom Samenkern, die andere Hälfte vom Eikern zu sich hinzieht; das gleiche tut im umgekehrten Falle der B-Strahlpol. Ist diese Arbeit vollbracht, dann ist der Zweck erfüllt, und nun beginnen diese gleichviel väterlichen wie auch mütterlichen Kernteile beiderseits sich zu einem neuen Kern zusammenzuballen und auf das innigste zu vereinigen. Es bildet sich eine Kernmembran. Mit diesen zwei Neukernbildungen schnürt sich in der Äquatorebene die ursprüngliche Mutterzelle ab, und es sind nun zwei neue Zellen entstanden.

Durch diese allgemein wissenschaftlich erwiesene Tatsache, welche alle Forscher ziemlich übereinstimmend beobachtet haben, ist ein für allemal der ungeheuerliche Aberglaube, den manche unwissenschaftlich gebildete Spiritisten, Sektierer und Theosophen und besonders auch die Mormonen verbreiten, daß bei der Neubildung des Lebens ein in der Luft schwebender unsichtbarer Geist in den Eikern des Weibes schlüpfe und dort das Leben der Frucht bewirke, gestürzt. Wenn das wahr wäre, dann müßte ja der männliche Samen bei der Befruchtung zwecklos sein und ein Kind nie seinem Vater, sondern einem unbekannten Geist ähnlich werden, was doch nicht der Fall ist, denn ein Kind ererbt Ähnlichkeiten sowohl von der Mutter als auch vom Vater. Daß aber andere geistige Kräfte noch beeinflussend wirken können, das glaube ich bestimmt. Wir müssen aber daran festhalten, daß mütterliche und väterliche Elemente, sowohl materielle als auch geistige, die grundlegenden bei der Zeugung eines Kindes sind**).

**) Es ist dieses einer der grundsätzlichen Trennungspunkte, an dem sich die Hutersche Psycho-Physiognomik und Kallisophie von der Theosophie und den diesbezüglichen Dogmen der Theologen und Spiritisten unterscheidet, weil die Hutersche Lehre auf naturwissenschaftlichen Tatsachen aufgebaut ist.

Bei dieser Befruchtungsfrage stieß nun die Wissenschaft auf ein Rätsel in bezug auf die Kernspaltteile des mütterlichen Ei- und des väterlichen Samenkerns; denn wenn z.B. bei jeder Spezies Lebewesen eine typische mathematische Formel beobachtet ist und die Formel lautet z.B. beim Menschen, jede Zelle enthält 24 Kernteile, wie kommt es dann, daß die weibliche Eikernzelle mit 24 und die männliche Samenkernzelle mit 24 chromatischen Teilen, welche zusammen 48 Teile ausmachen, doch nur 24 Teile bei der Neubildung ergeben.


C. Die Bildung und Ausstoßung der Polzellen bei den Geschlechtszellen zwecks Ausgleichung und normaler Ergänzung der Kernteile bei dem Befruchtungsprozesse

Mit diesem Gegenstande haben sich außer zahlreichen anderen Forschern besonders die hervorragenden Embryologen OSKAR HERTWIG und VAN BENEDEN beschäftigt.

Meine diesbezüglichen, hier gegebenen Ausführungen stützen sich daher ganz besonders auf die Beobachtungen dieser drei Forscher*).

*) Ergebnisse und Probleme der Zeugungs- und Vererbungslehre. Vortrag, gehalten auf dem internationalen Kongreß für Kunst und Wissenschaft in St. Louis (U.S.A.), September 1904. (Fischer, Jena 1905.) Man vergleiche hierzu die Abbildungen.

Schon den älteren Zoologen FRITZ MÜLLER, LOVEN u.a. war es aufgefallen, daß von der Eizelle der verschiedensten Tiere kurze Zeit vor oder während der Befruchtung zwei kleine Protoplasmakügelchen ausgestoßen wurden. Man nannte diese Ausstoßungsteile "Richtungskörper", denn an ihrer Austrittsstelle aus dem Dotter legte sich die erste Teilebene an, da, wo die Einschnürung der Mutterzelle zwecks Bildung zweier Tochterzellen erfolgt (Äquatorebene). Anfänglich glaubte man, daß diese Ausscheidungskügelchen Sekretstoffe seien, von denen sich das Ei vor der Befruchtung zu reinigen suche. Späterhin beobachtete zuerst BÜTSCHLI, daß bei der Bildung dieser Richtungskügelchen der Kern des unreifen Eies, das Keimbläschen, beteiligt ist, daß es, in eine Kernspindel umgewandelt, an die Dotteroberfläche emporwandert, und nun glaubte BÜTSCHLI, diese Auswanderungsspindeln würden nun in der Form von Kügelchen nach außen durch die Zellmembran hindurch abgestoßen. Aber erst GIRARD und HERTWIG stellten bald darauf fest, daß erstens die Richtungskügelchen nicht durch Ausstoßung, sondern durch zwei echte, unmittelbar aufeinanderfolgende Teilungen zustande kamen und daß zweitens, bei der zweiten Teilung, die Hälfte der Spindel und der Chromosomen im Ei zurückblieb und hier den neuen Kern des reifenden Eies bildeten. Der Unterschied dieses außergewöhnlichen Teilungsvorganges eines geschlechtlich befruchteten Eies von einer gewöhnlichen Teilung zeigt sich einmal dadurch, daß die Teilungsprodukte von sehr ungleicher Größe sind und ferner darin, daß dieser Vorteilung die Hauptteilung folgt. HERTWIG bezeichnete daher die Richtungskörper zuerst ganz zutreffend mit Polzellen. Die besten Beobachtungsobjekte sind den Forschern hierbei das Ei der Echinodermen und das des Pferdespulwurmes (Ascaris megalocephala) gewesen. Durch genaueres vergleichendes Forschen fand man, durch alle Zellteilungen des Pflanzen- und Tierreiches hindurchgehend, die Bedeutung der chromatischen Kernsubstanz, die sich zum langen Faden entwickelt und genau der Länge nach in zwei Hälften und der Breite nach in 4, 6, 7, 8 oder mehr gleiche Teile teilt. Von diesen Teilen wird nun beim normalen Zellteilungsvorgange je eine Hälfte der Gesamtanzahl von den zwei polargestellten Zentrosomstrahlkörpern zur Neubildung der Tochterkerne angezogen. Da nun aber durch die geschlechtliche Befruchtung zwei Kerne in der Mutterzelle, also auch die doppelte Anzahl der Chromosomen zusammenkommen würde, so trifft die Natur in weiser Fürsorge Vorkehrungen, daß eine Reduzierung der Kernteile derart stattfindet, daß das Zahlengesetz stimmt. Es liegen nun zur Lösung folgende Fragen vor uns: Wird die Hälfte der Chromosomkernteile des eingedrungenen Samenkerns, wie auch der des schon vorhandenen Mutterzellenkerns in der Form dieser Richtungskörper nach außen hinausgestoßen? - Wird hierdurch die Anzahl der Chromosomen des mütterlichen und des väterlichen Samenkerns je auf eine im entwickelnden Ei verbleibende Hälfte vermindert, so daß diese beiden Hälften dann zusammen die genaue Anzahl des Zahlenverhältnisses bilden, das dann weiterhin durch alle weiteren Teilungen des Wachstums und der Zellvermehrung und Differenzierung sich vollzieht? - Bei allen Spezies, im Tier- sowohl wie im Pflanzenreich, ist, wie schon erwähnt, ein bestimmtes Zahlengesetz der chromatischen Spaltungsteile nachgewiesen. - Ich will diese Fragen durch einen unserer besten Forscher beantworten lassen.


Tafel V. Fünfte Studienkarte zur Zellenlehre nach Professor OSKAR HERTWIG

Der Befruchtungsvorgang, die Bildung der Polzellen und die erste Teilung des Eies von Ascaris megalocephala bivalens

Fig. 1. Befruchtungsmoment. Das Ei im Moment der Befruchtung zeigt noch ein Keimbläschen (kb), in welchem die chromatische Substanz in zwei Vierergruppen oder Tetraden (ch) angeordnet ist. Der einer Spitzkugel ähnliche Samenkörper (s) ist zur Hälfte ins Ei eingedrungen, sein Kern (k) ist aus zwei Chromosomen zusammengesetzt.

Tafel V.

Fig. 2. Paarige Spindelbildung. Aus dem Eikern ist eine Spindel (sp) mit zwei Vierergruppen (ch) oder Tetraden entstanden. Der Samenkörper (s) ist bis fast in die Eizentrale vorgedrungen. Die Samenkerne haben sich gerichtet.

Fig. 3. Erste Knospung der Polzelle. In der Äquatorebene ist am sogenannten Eipol die erste Polzelle (pz1) an dem Konzentrierungspunkt der Außenspindel gebildet worden. Diese Polzelle empfängt von jeder Tetrade der Spindel zwei paarweise verbundene Chromosomen (eine Dyade), während die anderen zwei Chromosomenpaare (ch) mit der halben Spindel (sp) im Ei zurückbleiben. Der Samenkörper (sk) beginnt sich aufzulösen, bis auf den Kern, der sich zu einem Bläschen umzuwandeln beginnt (ch).

Fig. 4. Zweite Knospung der Polzellen. Auf ähnlichem Wege wie die erste wird noch eine zweite Polzelle (pz2) gebildet. Neben dieser Polzelle liegt Polzelle (pz1). Beide Polzellen als ausgestoßene Körper. Von jedem der beiden Chromosomenpaare, Fig. 3 (ch) des vorhergegangenen Stadiums kommt ein Chromosom in die zweite Polzelle zu liegen, während das andere Ei im Kern zurückbleibt und den bleibenden Eikern (eik) bildet. Dieser enthält nun genau so viel Chromosomen wie der Samenkern, nämlich zwei (ch).

Tafel V.

Fig. 5. Eikern und Samenkern mit gleichviel Kernsubstanzen (Chromosomen) nähern sich. Die Eikerne sind hell, die Samenkerne dunkel dargestellt, neben dem äquatorial liegenden Samen- (Vater-) und Ei- (Mutter-) Kern liegt axial gegenüber je ein Zentrosomakörperchen. Aus der ausgestoßenen ersten Polzelle (pz1) hat sich durch Knospung noch eine dritte Polzelle (pz3) gebildet. Ob alle drei Polzellen, bevor sie zugrunde gehen, nicht noch einen besonderen Zweck erfüllen, weiß man nicht.

Fig. 6. Ei- und Samenkern mit Spindeln. Die zwei Zentrosomen nähern sich den Polen und ziehen die Spindeln, welche sich an den Ei- und Samenchromosomen bildeten, zentral mit sich fort. Die Hälfte, die zwei hellen (w ch) Chromosomen stammen vom Ei, die andere Hälfte, die zwei dunklen (m ch) vom Samenkern ab. Die Polzellen sind hier weggelassen.

Tafel V.

Fig. 7. Spaltung der weiblichen (w ch) und männlichen (m ch) Chromosomen. Die weiblichen und männlichen Chromosomen haben sich der Länge nach gespalten und sind in zwei Gruppen von Tochterchromosomen auseinander gewichen. c Zentrosom, sp Spindel.

Fig. 8. Gleichpaarige männliche und weibliche Chromosomen in den neuen Tochter-Kernen und Zellen vereinigt. Demnach Vererbung gleichpaariger stofflicher Substanzen von Vater und Mutter auf das Kind, das in jeder weiteren Zelle sich wiederholt.

Hierzu soll bemerkt werden: Bevor die feineren Vorgänge, welche sich bei der Bildung der Polzellen abspielen, beobachtet worden sind, hat schon NÄGELI die Notwendigkeit des Reduktionsvorganges aus rein theoretischen Gründen entwickelt. Ein Beweis dafür, wie die Denktätigkeit oder die Theorie oft den Beobachtungen und tatsächlichen Entdeckungen vorauseilt und richtige Schlüsse zu ziehen vermag.


Tafel VI. Sechste Studienkarte zur Zellenlehre

Entwicklung der Samenkörper aus der Samenmutterzelle Spermatocyt von Ascaris megalocephala bivalens nach OSKAR HERTWIG

Fig. 1. Samenmutterzelle mit einem Kern (k), in dem sich zwei Vierergruppen (ch), Tetraden, gebildet haben. Zwei Zentrosomen mit Strahlung.


Fig. 2. Samenmutterzelle, aus dessen 8 Kernteilen sich je ein Spindelarm (sp) gebildet hat; vier daran sind mit dem einen, vier mit dem anderen Zentrosom (c) vereinigt. Also zwei gegenüberliegende Spindeln mit je 4 Armen ziehen die 4 bezw. 8 Kernteilchen (ch) auseinander.


Fig. 3. Spindel, an welcher sich jede Tetrade in 2 Chromosomenpaare (Dyaden) (ch ch) gesondert hat.
Fig. 4. Die Samenmutterzelle ist in zwei Tochterzellen geteilt (tz), von denen jede die halbe Spindel mit zwei Chromosomenpaaren (Dyaden) (ch) einschließt. Beide Zentrosomkörper haben sich je wieder in 2 Tochter-Zentrosomen (c) geteilt.


Fig. 5. Die neue Spindel (sp) in jeder Tochterzelle hat sich vergrößert und in ihrer Mitte die beiden Chromo-somenpaare (ch1 und ch2) aufgenommen.

Fig. 6. An der Spindel haben sich die Chromosomen (ch1 und ch2) jeden Paares voneinander getrennt und den beiden Spindelpolen (Zentrosomen) genähert.


Fig. 7. Die beiden Samentochterzellen haben sich in die vier Enkelzellen geteilt (ez). Von diesen birgt jede nur zwei Chromosomen (ein Element von der Vierergruppe der Fig. 1) und ein Zentrosom.
Fig. 8. Die beiden Chromosomen der Samenzellen (ez) platten sich aneinander ab und bilden schließlich einen kleinen kompakten kugeligen Kern (k).

Fig. 9. Jede Samenzelle wandelt sich in einen Samenkörper um (sp), welcher die Form einer Spitzkugel hat (k=Kern).

Dieses die geistreiche Erklärung über die Bildung von Samenzellen von OSKAR HERTWIG, woraus sich nun eine klare Perspektive in bezug der Vererbung ergibt.

Bei den männlichen Samenzellen sind also überhaupt nur zwei chromatische Kernsubstanzen bei der Entwicklung durch Teilung entstanden, bei dem weiblichen Eikern vollzieht sich die Reduktion von 8 auf 2 Kernteile, wie Tafel V zeigt, gleich nach der Befruchtung, damit sich nun je zwei mütterliche mit je zwei väterlichen Teilen paarig verbinden können.

In der beifolgenden Tafel V ist ein solcher außergewöhnlicher Zellteilungsvorgang mit Abstoßung der überflüssigen chromatischen Keimteile vom Mutterei in Form von Polzellenbildung (Richtungskörper) und Abstoßung zur Darstellung gebracht worden.

So reguliert sich die Natur durch ihre eigenen, ihr innewohnenden Kräfte. Daß diese Regelungskraft in einem Empfinden liegt, das ich nicht nur als Lebens- oder Natur-, sondern auch als Weltgewissen der Materie bezeichne und schon im Äther nachgewiesen habe, sei nur beiläufig bemerkt.

Wie besonders durch die Forschungen von van BENEDEN und BOVERI festgestellt ist, hat sich die sogenannte Vorteilung durch Abstoßung der Polzellen beim weiblichen Eikern der Askaris und bei allen anderen Tier- und Pflanzenspezies schon längere oder kürzere Zeit vor oder gleich nach der Befruchtung vollzogen. Siehe Abbildung Tafel VI! HERTWIG*)

*) Professor HERTWIG äußert sich zu dieser Tatsache wie folgt: "So ist in diesem Falle der unumstößliche und wichtige Beweis geführt, daß beim ersten Teilakt des befruchteten Eies dem Tochterkern in jeder Teilhälfte genau die gleiche Menge Chromatin vom Eikern, wie vom Samenkern zugeführt wird." hat dann den gleichen Beweis bei den Samenzellen erbracht. Siehe hierzu die erklärenden Abbildungen auf Tafel II. Auch alle Samenzellen vermindern ihr Chromatin zur Hälfte vor der Befruchtung. Somit werden in jeder neu befruchteten Zelle wie auch in jeder Tochterzelle die materiellen und physiologischen, ich behaupte auch, die biologisch-psychischen Substrate zu meist gleichen Teilen vererbt. Immerhin treten, wenn auch weniger, Differenzierungen und Abweichungen in körperlich materieller Hinsicht auf, jedoch erheblicher stärker in biologisch-psychischer Richtung. Es soll dieses im 5. Lehrbrief näher behandelt werden.


D. Die Vererbung

Hierdurch ist das Problem der Vererbung der Eigenschaften, der Rasse, der Spezies oder Gattung und besonders der Eigenschaften des Vaters und der Mutter in ein verständliches Licht gerückt, in der die theoretische Reinkarnationslehre keinen Platz mehr hat.

Professor A. WEISSMANN hat die Kontinuität des Keimplasmas als Grundlage seiner Vererbungstheorie angenommen (1885). Ähnlich haben sich G. JÄGER (1878) und NUSSBAUM (1880) ausgesprochen. Die von WEISSMANN aufgestellte Keimplasmalehre hat, obwohl anfänglich von OVEN, GALTON und GAUBER widersprochen, doch viele Anhänger gewonnen.

STRASSBURGER hat sie dann weiter bekämpft, besonders ist ihr aber Professor O. HERTWIG entgegengetreten, welcher in Übereinstimmung mit NÄGELI und de DRÉS die Vorstellung von erbungleichen Teilungen zurückwies.

Die letzten drei Forscher denken sich die Entfaltung der Anlage bei der Entwicklung des Embryos so, daß im allgemeinen jede Zelle eines Organismus den ganzen Anlagenkomplex von der Eizelle übertragen erhält. Die besondere unterschiedliche Natur läßt sich nur dadurch erklären, daß aus dem Anlagenkomplex einzelne Anlagen oder Ideoblasten in Wirksamkeit treten, andere latent bleiben.

Meiner Meinung nach lassen sich auch diese beiden, bezw. drei Theorien vereinigen, denn gerade OVEN, GALTON und GAUBER vertreten direkt das Gegenteil von WEISSMANN, nämlich die unterschiedliche Art der Zellen aus einer unterschiedlichen Keim- und Wachstumsanlage auch nach stofflicher Richtung. HERTWIG geht hier mehr den Mittelweg, er faßt mehr die physikalische Tätigkeit ins Auge.

Nach der Huterschen Lehre müssen drei Anlagen, die chemische, die physikalische und die psychische in Verbindung mit den jeweilig äußerlich beeinflussenden Umständen ins Auge gefaßt werden.

Es wirkt nicht das eine oder das andere einzig und allein, sondern es wirken mindestens diese drei inneren mit den gleichen drei äußeren Ursachen bei der Fortzeugung und Vererbung zusammen. Es wird demnach nicht nur allein inneres Individuelles, sondern es wird auch Äußerliches, Nahe- und Fernliegendes mit vererbt, meiner Meinung nach nicht nur Irdisches und Geistiges, sondern in letzter Hinsicht sogar die kosmischen Einflüsse der Sternenwelt und des Universums.


Levitating Stone
(Hinzugefügt)
Jedem zum Erfolg in praktischer Menschenkenntnis zu verhelfen, dazu soll dieses Lehrwerk besondere Dienste erweisen.



Erstellt 1994. Update 26. März 2007.
© Medical-Manager Wolfgang Timm
Fortsetzung
Hauptwerk. 2. Auflage. 1929. Hrsg. Amandus Kupfer

Die  Kronen symbolisieren die höhere Natur in jedem Menschen, sein individueller potentieller innerer Adel. Jedermann ist verpflichtet seinen inneren Adel nach Albrecht Dürer und Carl Huter zu heben.
Hauptwerk - Lehrbrief 4 (von 5)
 
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