Carl Huter: Innere Erschließung einer höheren geistigen Welt - Part 2
 
Bild links: Der gute Menschenkenner Nr. 84. 1940
Fortsetzung

VII. Kapitel.

Die okkulten Geistesgaben meiner Großmutter Johanne Laffert. geb. Wöppelmann in Listringen.

Nachdem alle Angelegenheiten, die der Tod eines Angehörigen verursacht, erledigt waren, nahmen sich von allen Seiten gute Menschen meiner Mutter und um uns Kinder an. Allgemein hatte dieser harte Schicksalsschlag große Teilnahme hervorgerufen. Besonders waren es drei selten edle Menschen, welche sich zunächst mit voller Fürsorge um unser Wohlergehen bekümmerten. Die Mutter meiner Mutter, Großmutter Laffert aus Listringen, sorgte, wenngleich selbst in bescheidenen Verhältnissen lebend, liebevoll mit allerlei Gaben für den Haushalt, um uns vor Not zu schützen. Zum ersten Male ging ich am Osterfeste allein den Weg zu den Großeltern in Listringen. Dieselben wohnten mitten im Dorfe, in einem gut erbauten Wohnhause eines älteren Bauernhofes. Der Großvater stammte selbst von einem Bauerngute. Da aber früher durch die napoleonischen Kriege die Höfe arg verschuldet, konnte der Hoferbe seinen Geschwistern nur einige hundert Taler geben. Gewöhnlich lernten die Brüder ein Handwerk oder arbeiteten bei dem ältesten Bruder als Tagelöhner. Das Verhältnis zwischen solchen Verwandten, die teils Hofbesitzer, teils Tagelöhner waren, war ein sehr herzliches; man wohnte sogar auf ein und demselben väterlichen Gute friedlich zusammen. Solch ein Stammesgenosse eines Bauerngutes war auch mein Großvater Laffert, ein braver, fleißiger, rechtschaffener Mann. Nur etwas aufbrausend und jähzornig schien er zu sein. Sonst war er für seine Verhältnisse ein sehr aufgeweckter Mann, der mit Vorliebe über Politik, Kriegsgeschichten, Pfaffenmißwirtschaft und Naturphilosophie sprach.

Die Großmutter hatte ein langes schmales, von tiefem edlem Gemütsleben bewegtes Gesicht, mit großen, stets von Wohlwollen und Güte strahlenden Augen. Sie war sehr gewandt, fleißig, kinderlieb, stets geduldig und besänftigend, wenn der Großvater erregt war und schalt, eine Frau von tiefinnerlicher Religion, kurz von einem Charakter, so edel, so tüchtig, immer hilfsbereit und tatkräftig, wie ich ihn nie wieder in meinem Leben angetroffen habe. Sie war eine ideal weibliche Seele, wie mein Vater von ideal männlichem Charakter war.

Diese lieben Großeltern besuchte ich nun zum Osterfeste allein. Ich wurde von der Großmama mit Wohltaten überschüttet, und sie verstand das Denken und Fühlen eines Kindes so anzuregen und zu nehmen, daß man sich in ihrer Nähe ganz beglückt fühlte. Es war wie ein Segen des Himmels, wenn sie das liebestrahlende Gesicht zu einem wandte. Sie hat uns besonders in jener Zeit viel Gutes getan. Außer dieser edlen Frau war es der Pastor Adolf in Heinde, der uns viel Gutes erwies, mit uns Kindern liebevoll sprach und in dessen Nähe man sich ebenfalls glücklich fühlte.

Endlich sorgte auch der Hofbesitzer Bartels noch für uns. Von diesen beiden Wohltätern nahm aber die Mutter, da es keine Verwandten waren, nichts umsonst an, sondern stellte ihre Arbeitskraft in deren Dienst. So fand sie Brot und Verdienst für sich und ihre Kinder; denn da unser Vater noch nicht lange das Geschäft selbstständig trieb, so hatte es noch kein Barvermögen angesammelt. Mutter nahm aber niemals Almosen an, nicht einmal Geldgeschenke der Großeltern, von ihnen nur nützliche Sachen für den Haushalt.

Das Hingezogenfühlen zu seelenverwandten Kameraden.

Gleich nach Ostern kam ich mit 61/2 Jahren in die Schule. Der Lehrer war mir nicht so sympathisch wie der Pastor. Von den gleichaltrigen Knaben war mir Karl Kurmeier der liebste; mit ihm und einem Könnecker wurde ich gut befreundet, doch war letzterer etwas eitel, überhebend und in seiner freundschaftlichen Gesinnung nicht immer ehrlich. Außer Kurmeier war mir Karl Büsse, der Sohn des Schmiedemeisters, sehr sympathisch, leider ging er, da er katholisch war, nicht mit mir zusammen zur Schule. Der Junge war aber stets ehrlich und offen, was von seinem jüngeren Bruder Joseph nicht gesagt werden kann.

Die ungünstigen magnetischen Einflüsse ungezogener Kinder.

Das erste Lernen in der Schule zu Heinde fiel mir nicht so leicht, ich war ein mittelmäßiger Schüler. Das lag jedoch nicht an mir, sondern an den störenden Eindrücken, die ich von den teils sehr ungezogenen Knaben empfangen hatte. Die Mutter konnte sich auch wenig um mich bekümmern, da sie auf Arbeit war. Der Lehrer war in der mit über hundert Kindern gefüllten Schulstube zu beschäftigt, als daß er sich mit den Kleinen sonderlich liebevoll einlassen konnte. Bei ihm regierte der Stock, was für die meist sehr ungezogenen Dorfjungen auch angebracht war. Doch ich war eine andre Natur; ich paßte nicht zu den Kindern.

Erzieherisch magnetische Einflüsse vom Lehrer auf den Schüler.

Ich weiß mich nicht zu erinnern, daß ich jemals vom Lehrer gestraft worden bin, aber ich fühlte mich auch nicht zu ihm hingezogen. Nur tiefgemütvolle Menschen übten auf mich einen guten Einfluß aus, darum war es für mich eine Wohltat, daß ich nach einem halben Jahre die Dorfschule zu Heinde verließ und zu einem Onkel Friehe in Ödelum kam, der dort eine kleine Landwirtschaft betrieb und keine Kinder hatte. Meine älteste Schwester Auguste nahmen die Großeltern in Linstringen zu sich und die jüngste Schwester Emilie blieb bei der Mutter. Während der Zeit, als ich in Heinde die Schule besuchte, ging ich mit besonderer Freude zu den Großeltern nach Listringen, wo ich durch deren innige Liebe Belebung meines Geistes fand, wie ich sie nirgends sonst empfing, selbst von der Mutter nicht, obwohl diese sich viel mit uns Kindern beschäftigt hatte; aber die Mutter war eine härtere Natur als die Großmutter.

Der Großmutter Voraussehungsgabe.

Von der Großmutter erfuhr ich denn, daß sie vorausschauen konnte; alles, was in der Familie an Glück und Unglück passierte, ahnte sie bestimmt voraus. Darum warnte oder ermunterte sie die ihr Näherstehenden, denn alle ihre Voraussagungen, auch die unwahrscheinlichsten, trafen ein. Der Großvater war eine sehr harte, realistische, allem Wunderglauben abholde Natur, er machte daher der Großmutter Vorwürfe, wenn sie etwas gehört, gesehen oder geahnt haben wollte, das nur übersinnlich zu erklären war.

Der Großmutter Verkehr mit der geistigen Welt.

Wie oft erzählte die Großmutter von selbsterlebten Geisterscheinungen, daß Verstorbene ihr leibhaftig erschienen seien, mit denen sie sich oft zwei Stunden lang unterhalten hat. Niemals hätte diese engelreine Frau eine Unwahrheit gesagt. Darum glaubte ich auch ihren Erzählungen; und weil ich selbst Ähnliches erlebt hatte, so verband uns eine eigenartig tiefe Sympathie.

Großmutter blieb mit ihren okkulten Kräften unverstanden.

Außer ihrer Tochter Eleonore, die bei ihr zu Hause war, glaubte keiner den Erzählungen der Großmutter, sie meinten es seien nur Sinnestäuschungen. Großmutter blieb bei ihrem guten Glauben, nahm aber niemand das Zweifeln übel, sie meinte dann nur, weil sie es nicht verständen oder Ähnliches erlebt hätten, darum glaubten sie es nicht. Großmutter hatte überhaupt hohe geistige Gaben in sich, die niemand in ihrer Umgebung begreifen und verstehen konnte. Der Großvater bildete in dieser Beziehung einen großen Gegensatz zu seiner Frau. Da er materialistisch war, glaubte er auch nicht an die Lehren der Religion. Für ihn gab es keinen Gott und keinen Geist, nur das Leben der Natur. "Tue recht und scheue niemand", das war sein Wahlspruch. Die hochbegabte, mit okkulten Geistesgaben so reich ausgestattete Lebensgefährtin hat er darum auch nie verstehen und würdigen können. Er war ein Mann der Erde, des Rechts, des Verstandes und der Tat, sie ein Wesen des Himmels, strahlend von Liebe und Güte, aufopfernd und hingebend in ihren Pflichten und alle erfreuend, die in ihre Nähe kamen, ein Wesen, halb Engel, halb Mensch, in regem Verkehr mit der jenseitigen Welt.

Vererbung okkulter Gaben von Großmutter Laffert auf Carl Huter. Disposition der körperlichen Anlage zur Entwicklung okkulter Kräfte bei der Großmutter.

Von dieser Großmutter habe ich wahrscheinlich größtenteils meine okkulte Gaben geerbt. Sie ist mir aber auch stets der treffendste Beweis gewesen, daß nur die edelste Verfeinerung der Seele, die Liebe, Güte und Herzenstugend befähigen, hohe okkulte Kräfte in sich aufzunehmen und zu entwickeln. Sie war der Typus des höheren Geistesmenschen. Sie lag im Empfindung- und Bewegungsnaturell, hatte selten schöne Augen und eine hohe edel gewölbte Stirn. Der Großvater dagegen war der Typus des Materialisten. Ihm fehlte die Verfeinerung des Gemütes. Er war Verstandesmensch. Trotz aller Verstandesschärfe blieb ihm aber die höhere Geisteswelt verschlossen. Obgleich er grade gute Gelegenheit hatte, spirituelle Studien zu treiben, da seine Frau so medial veranlagt war, wollte er es aber nicht, sondern verneinte und leugnete mit voller Absicht alles ab, ging nie mit Interesse auf derartige Erzählungen der Großmutter ein. Er wäre durch nichts zu überzeugen gewesen. Aber gerade darum erschien nie etwas Übersinnliches, sobald er zugegen war.

Welche Disposition des geistigen Wesens befähigt zur Entwicklung okkulter Kräfte.

Diese Erfahrungen führten mich zu der festen Überzeugung, daß nur liebevollen, edlen, mitfühlenden Menschen die Gabe des Hellsehens und Vorausschauens verliehen ist und daß im Reiche des Geistes weit mehr Liebe und Schönheit als Verstand und Tatkräfte zu Hause sind. Ferner merkte ich, daß sich geistige Wesen niemals harten Tat- und Verstandesmenschen vom Schlage des Großvaters Laffert nähern.


VIII. Kapitel.

Das Insichversenken.

Außer den geschilderten okkulten Kräften entwickelte sich bei mir von frühester Kindheit an ein eigenartiger geistiger Zustand, den ich bei keinem anderen Knaben oder Mädchen beobachtet habe. Es war die Neigung, täglich einige Stunden allein zu sein und mich, sozusagen, in mein Inneres zu versenken.

Innere Sammlung, Andacht und Heiligung bis zur Verklärung.

Ich suchte mir einen abgelegenen Platz im Garten oder einen versteckten Winkel des Hauses auf, wo ich mich ganz meinen Betrachtungen hingab. Es war dieser Zustand sozusagen eine Sammlung aller geistigen Kräfte. Es war kein Traum oder Trägheit, wie es äußerlich wohl den Anschein haben mochte, sondern Ablenkung aller Sinne von der Außenwelt auf das eigne Innenleben. Oft überkam mich dieser Hang nach innerer Versenkung mitten im Gespräch mit andern, beim Essen oder bei irgend einer Arbeit. Während des Essens z.B. legte ich dann den Löffel hin, sah sinnend auf einen Gegenstand, hörte und sah dann nicht, was um mich herum vorging. Meine Mutter sagte dann, ich solle nicht so in Gedanken sitzen, woran ich denn dächte. Darauf sagte ich dann gewöhnlich, ich dächte an nichts. Das war auch so, es war ein Ausspannen aller geistigen Tätigkeit im wachen Zustande. Wurde ich aber nicht gestört, so entwickelten sich in mir nach innerer Sammlung langsam und allmählich wunderbare Spannkräfte, welchen ganz neue, wunderbare Gedanken entquollen. Es war, als spiegelte sich in meinem tiefsten Innern die Welt, ich sah gleichsam in die Zukunft, in die Ferne, ich war in diesem Zustande ein ganz besonderer Mensch. Ich fühlte mich heilig, als wenn eine ganz besondere Weihe auf mir lag. Um diese Art meiner Verfassung zu charakterisieren, muß ich sagen, es war ein Zustand innerer Abklärung bis zur Verklärung. Es war aber kein spontanes Schauen, wie das am Christabend, keins, das von außen kam, das meine Seele meist nur einseitig ergriff und mit meinem physischen Empfinden verschmolz. Dieses Schauen kam mehr aus dem Innern; das physische Leben schien abgestorben zu sein; die Muskeln waren schlaff, die Sinne nahmen nichts wahr, sogar Schmerz empfand ich kaum.

Mein Innenleben war in sich harmonisch gestimmt, voller edelster Gedanken von Weisheit, Liebe und Schönheit, bis ich in einen Zustand der Seligkeit gelangte. Wohlwollen, gute Absichten, Lust und Freude am Wohlergehen aller Mitmenschen, Gedanken, wie ihnen dies zu verschaffen sei, das waren die Gefühle meines Innern, die im Schauen des Schönen endeten. Mit dieser Weltharmonie meines Innern fand ich meine Seligkeit. Solcher Zustand konnte zwei bis drei Stunden bei mir anhalten, dann wurde ich müde und schlief ein. Meist aber, wenn ich spürte, daß dieser glückliche Zustand zu Ende ging, suchte ich mir ein Ruhelager zu ungestörtem Schlafe. Nach etwa zweistündigem Schlafe war ich erquickt und stand mit voller Frische meiner Muskel- und Sinnenkräfte auf und beschäftigte mich ebenso wie die anderen Menschen. Während ich im physischen Zustande ebenso wie ein anderer Mensch mit aktiver Tätigkeit fühlte, so kann man nicht sagen, daß der Zustand der Versenkung etwa ein krankhafter oder ein Schlafzustand gewesen sei, sondern es war ein heiligerer als der des Normalmenschseins. Er rief bei je größerer körperlicher Schwäche desto mehr geistige Innenkraft hervor. Es war, als ob der Körper alle Kräfte der Welt in sich aufspeichere, um als Mittler für den Geist gebraucht zu werden, und als ob der Geist wiederum die Kräfte dem Körper entzöge, wodurch dieser müde wurde. Vor meinem Geiste tauchten Bilder und Lichtgestalten auf, die ich nie außer mir gesehen oder davon gehört hatte. Ich fühlte mich in einem Zustand der selbstschöpferischen Gottheit, groß, erhaben, gerecht, weise, heilig, selig.

Die Entfaltung der inneren göttlichen Natur führt zu idealen Vorstellungen und Grundsätzen und wandelt die reale Welt zur idealen um.

Ich konnte nichts mit meinem Willen dafür oder dagegen tun. Dagegen tat ich nichts, weil ich wußte, daß mein Wille diese Zustände ebenso wenig bekämpfen als in andre Bahnen lenken konnte. Ich fand auch Befriedigung in diesen Seligkeitszuständen. Ich erlebte das höchste Erlebenswerte, wozu der Wille überhaupt da ist, nämlich das Wollen, glücklich zu werden. Da man aber nicht glücklich werden kann ohne Glück der Umgebung, ohne Glück der ganzen Welt, so richtete sich mein Wille auf die Entwicklung ethischer Triebe bis zur Vollkommenheit. Diese Vollkommenheit lag in der Vorstellung von idealen neuen Weltzuständen. Schließlich suchte der Wille noch nach Mitteln, diesen Glückszustand zu erreichen und fand wiederum Erfüllung. Auch in der Erreichung des höchsten Erreichbaren, der vollendeten Schönheit der Welt in Farben und Formen, die die Sprache nicht auszusprechen vermag, auch darin ward dem Willen Befriedigung. Diese drei Dinge Weisheit, Liebe, Schönheit bewirkten den Zustand der Seligkeit, der Heiligkeit der selbstgewordenen Gottheit; damit war aller Wille in höchste, unwandelbare Freude aufgelöst.
So fühlte ich in mir.

Das ideal Gute, was man erkannt hat und zu erfüllen trachtet, schafft das ideal Schöne und das Glück in sich und an sich als Persönlichkeit, und dann um sich als paradiesische Himmelswelt.

Wenn ich bei diesem Zustande in einen Spiegel sah, sah ich mich so schön, so engelrein, daß ich vor mir selbst erschrak, denn ich war dann nicht mehr ich, sondern ein ganz anderer*) Das nicht auch andere Menschen diese Veränderung wahrnahmen, kam vielleicht daher, daß ich auch sonst ein außergewöhnlich schöner Knabe war, mit herrlichen Augen, Haaren, Hautfarbe und Körpergestalt. Mir aber fiel es trotzdem auf, wodurch ich zu der Erkenntnis gelangte, daß sich alle inneren Geisteszustände im äußeren Gesichtsausdruck wiederspiegeln. Je heiliger, weiser, edler man denkt, desto seliger und schöner werden die Augen und das Gesicht. Das brachte mich zu der Überzeugung, daß es die Bestimmung des Menschen sei, durch eigenes Mühen, durch sich selbst göttlich, selig, glücklich zu werden. Ferner erkannte ich, daß die unvollkommene Welt und das physische Körperleben nur Mittel zu höheren Lebensformen sind, daß, je edler, vollkommener, glücklicher die Seele, desto schöner das Auge, Haar, Gesicht, desto schöner gestaltet der Wille die Außenwelt bis zu dem denkbar erreichbaren Gipfel dieses Wohlseins, der Schönheit der Welt.

*) Ich kann mir nicht versagen, an dieser Stelle zu erwähnen, daß ich glaube, Huter einmal in einem solchen Zustand gesehen zu haben. Jedenfalls ist mir der Anblick zeitlebens unvergeßlich. Huter schlief allein in einem Schlafraum in der ersten Etage seines Hauses. Diesen betrat ich unerwartet in der Morgenfrühe. Huter saß aufgerichtet in seinem Bett, und sein Haupt zeigte eine solche Verklärung, Reinheit und Vergeistigung, daß ich förmlich erschrak und zeitlebens den Anblick in Erinnerung behalte.

Wie ich als Knabe die ersten Anfänge zur Erkenntnis einer neuen Weltanschauung und Lebenslehre fand und die daraus gefundene neue Persönlichkeits- und Weltreligion der heiligen Schönheit.

Somit fand ich aus der inneren Versenkung die Gesetze des Geisteslebens, dem neuen Menschen, die neue Welt! Diese durch Innenerleuchtung gefundenen Gedanken und Erkenntnisse galten mir als höchste heilige Wahrheiten. Ich fühlte es, erlebte es in mir selbst, daß dies die Wahrheit sei; in dieser Erkenntnis entwickelte sich mein ferneres geistiges Leben, daraus entwickelte ich meine psycho-physiognomische Lehre, die wahre Lebensausdruckskunde, mit der Grundwahrheit, daß der Geist in den Formen lebt und aus ihnen zu uns spricht. Dieses Leben in allen Feinheiten zu erkennen suchen, ist die einzige wahre Wissenschaft, die zur Kallisophie führt, zur Lehre, daß, je edler der Geist, je schöner die Form ist und daß die wahre Schönheit aus dem Innern herauswächst und die Offenbarung des Göttlichen ist. Diese neue Schönheitslehre lehrt, daß Schönheit ohne innere Heiligkeit keine Schönheit ist, sondern nur ein einseitiger Begriff derselben. Echte Schönheit ist das sichtbare Zeichen der Heiligkeit, ist göttliche Wesenheit, und darum ist echte Schönheitskultur die einzige wahre Religion, die uns mit Gott, den Mitlebenden, der ganzen Welt verbindet.


IX. Kapitel

Meine Jugend in Ödelum. Eine Offenbarung und wunderbare Prophezeiung auf dem Felde.

Im Herbst des Jahres 1868 holte mich meine Tante Friehe mit Einverständnis meiner Mutter nach Ödelum. Der Onkel nahm mich wohlwollend auf, und nach wenigen Tagen, als die Herbstferien beendet waren, wurde ich in die Schule in Ödelum eingeführt. Der Lehrer August Almeling zeigte viel Fürsorge und Interesse für meine geistige Fortentwicklung; und da er mit meinen Pflegeeltern befreundet war, besuchte er uns öfter und hatte stets ein freundliches Wort für mich.

Mein Onkel Friehe hielt als nächster Nachbar des Lehrers für diesen Garten, Land, auch teilweise Haus und Hof in Ordnung. Mein Onkel war ein fleißiger, nüchterner Mann und tüchtiger Landwirt. Hierdurch kam es, daß ich durch meine Hilfsarbeiten außer den Schulstunden auch im praktischen Leben täglich mit meinem Lehrer zusammenkam.

Die edle Persönlichkeit des Lehrers August Almeling in Ödelum wirkt auf den Knaben magnetisch, wohltätig und sympathisch, was zur Entwicklung des Schülers günstig beiträgt.

Der Lehrer hatte viel Interesse an der Natur und lernte sogar Viehzucht, Garten- und Feldwirtschaft von meinem Onkel. Er zeichnete sich durch großes pädagogisches Talent und geradezu musterhaften Charakter aus. Er wurde bald der einzige im Dorfe, für den ich die größte Sympathie und Verehrung empfand. Seine edle Gesinnungsart war mir so sympathisch, daß mir auch die Schulstunden viel Freude machten. Aber auch der Lehrer schien durch meine kleine Persönlichkeit sehr sympathisch angezogen zu werden; es war eine innige Wechselwirkung des Fühlens und Denkens zwischen Lehrer und Schüler, wie diese bei keinem anderen Schüler zu beobachten war. Nicht etwa, als ob mein pflichttreuer Lehrer anderen Kindern seine Kräfte weniger widmete, sondern zwischen uns war etwas Besonderes, wir freuten uns, wenn wir uns sahen. Unsere beiden Persönlichkeiten lagen in seltener Seelenharmonie, das machte es wohl, daß ich so außerordentlich gut lernte. War mir das Lernen im ersten halben Jahr schwer geworden, so machte es wohl der Einfluß dieses Lehrers, daß ich jetzt alle Aufgaben spielend löste, gern Gehorsam leistete und den Ausführungen des Lehrers größte Aufmerksamkeit zollte. Daher stellte mich der Lehrer oft als Muster hin, versetzte mich nach kurzer Zeit von der untersten Reihe in eine höhere, bald drei Bänke höher, da ich mir in jeder Beziehung das Prädikat "Ausgezeichnet" erworben hatte. Jedoch erweckte dies bei vielen Dorfknaben Neid und Mißgunst, so kam es, daß ich oft von ungezogenen Schulkameraden beschimpft, beleidigt, ja sogar geschlagen wurde. In den ersten zwei bis drei Jahren hatte ich viel darunter zu leiden, und Lehrer und Pflegeeltern versuchten vergebens, den Unfug abzuwenden. Mein Onkel meinte, ich müsse mich wehren, was ich aber ungern tat. Ich wich lieber solchen Unarten aus; nicht aus Mangel an Mut, sondern weil es mir widerwärtig war, mich mit so niederen Naturen in häßlichen Wortwechsel oder gar in ein Handgemenge einzulassen. Galt es etwas Gutes zu tun, so hatte ich einen königlichen Wagemut. Für schlechte Streiche war ich aber nie zu haben.

Auffallende körperliche und geistige Vorzüge rufen bei der Masse der Durchschnittsmenschen Neid und Verfolgung hervor, und daher war die edle Entwicklung schon in der Jugend eine Art Martyrium.

Das moralische Gefühl war in mir derart entwickelt, daß ich, wenn ein Schuljunge mich beschimpen wollte, mich ruhig vor ihn hinstellte, ihm fest in die Augen sah und sagte: "Was hast du davon? Warum tust du das? Schäme dich!" Dann ging ich ruhig weiter. Wurde ich aber trotzdem von dem Betreffenden verfolgt und geschlagen, dann erst setzte ich mich zur Wehr und haben manchen Faustschlag, manchen Ringkampf ausgeführt. Dies hatte den Vorteil, daß sich bei mir Muskelkraft und Gewandtheit günstig entwickelte.

Eigentümlich war es, daß Differenzen zwischen mir und meinen Schulkameraden auch häufig dadurch entstanden, daß ich dieselben von Unarten und schlechten Streichen abzuhalten suchte. So schlichen sich z.B. manche Schulkameraden mit Vorliebe in fremde Gärten, um Obst zu stehlen. Wenn ich das sah, so war ich jedesmal entsetzt und ruhte nicht eher, als bis ich die Buben fortgescheucht hatte, dafür erntete ich Schläge und Steinwürfe. Man glaubt gar nicht, welche Ungezogenheit und schlechte Erziehung oft unter den Dorfjungen herrscht. Bei mir war aber das moralische Empfinden derart fein entwickelt, daß ich nicht einmal einen Apfel nahm, der vom Baum auf die Straße gefallen war, ohne vorher den Besitzer gefragt zu haben. Da mein Onkel keine größeren Obstgarten besaß, erlaubten mir die sämtlichen Nachbarn des Onkels, das herabgefallene Obst zu nehmen, mich auch an den Obststräuchern gütlich zu tun. Jeder achtete meine ehrenhafte Gesinnung, und das erweckte mir Liebe und freigebige Hände.

Wenn mir Unrecht geschah, so betete ich still allein, daß sich der Betreffende bessern möchte; dann dachte ich auch an meinen lieben seligen Vater, daß er als guter Engel um mich sein, mich behüten und bewahren möge.

Bis zu meinem zehnten Jahre waren meine Pflegeeltern gut zu mir; dann aber änderten sich ihre Gefühle gegen mich, nämlich als ich immer mehr Liebe zu Büchern und Wissenschaften zeigte, zu Hause lieber studierte als körperlich arbeitete. Die Pflegeeltern wollten in ihrem kleinen wirtschaftlichen Betriebe meine Arbeitskraft gut ausnutzen, darum waren sie meinem Wissenseifer bald sehr abhold. An Nahrung und Kleidung gaben sie mir das Nötige, an Spielsachen nichts, Bücher und Schulsachen nur widerwillig, trotzdem ich meine Sachen sehr sauber hielt, so daß sie nach der Schulzeit noch gut erhalten waren.

Als sich der Lehrer erbot, mir vom elften Jahre an freien Privatunterricht zu geben, wollten die Pflegeeltern dies gern hindern, jedoch da der Lehrer meinen Onkel manchen Taler verdienen ließ, konnte sich dieser nicht recht widersetzen. Diesen Privatunterricht erhielt ich bis kurz vor meiner Konfirmation. Da ließ sich mein Beschützer von Ödelum nach Hildesheim versetzen, weil er viel Undank, Verkennung und Ärger erlebt und dadurch sehr nervenleidend geworden war.

Der ausgezeichnete Lehrer erkennt die Befähigung seines Schülers und widmet sich ihm durch besonderen liebevollen Unterricht.

Der Lehrer prophezeit Carl Huter eine große Zukunft u. befürwortet daher bei seinen Pflegeeltern den Besuch höherer Schulen.

Die Verfeinerung der Seele durch zugefügtes Weh.

Dieser herrliche Mann hat sein Bestes an mir getan, ihm verdanke ich viel. Er führte mich zu einer höheren Bildung, die weit über den Rahmen einer gewöhnlichen Volksschulbildung hinausging. Das tat er mit der wohlmeinenden Absicht, daß ich, ganz meinen Anlagen gemäß, später ein Gymnasium besuchen und mich wissenschaftlichen Studien widmen sollte. Er wirkte auch diesbezüglich bei dem Pastor von Ödelum, der mir daraufhin auch zwei Winterhalbjahre hindurch freien Privatunterricht erteilte. Der Lehrer hatte den Pflegeeltern oft prophezeit, daß ich zu großem Wirken, zu wissenschaftlichem und künstlerischem Schaffen ausersehen sein, deshalb sollten sie mit ihm vereint wirken, um mir gleich nach Abgang aus der Volksschule das Gaymnasium in Hildesheim zu ermöglichen. dieses war auch mein ganzes Sehnen und Hoffen. Gern tat ich alle meine Arbeiten und Pflichten, hatte auch viel Liebe und Verständnis für Landschaft und Viehzucht; aber ich fühlte, darin würde ich meine Befriedigung nie finden; das teilte ich meinen Pflegeeltern auch offen mit. Ich bat sie, mir das Studium zu gewähren, fand aber kein Gehör, oft nur Schläge, höhnische oder zornige Worte. Dies tat mir unendlich weh. Hatte ich in der ersten Hälfte meiner Schulzeit Verkennung und Anfechtung und Kampf der Schuljungen zu ertragen, so hatte ich in der zweiten Hälfte noch viel Schlimmeres zu erdulden durch die ungerechte Behandlung meiner Pflegeeltern. Was meine fein empfindende Seele in diesen Kinderjahren gelitten hat, ist unsagbar.

Meine Mutter war mir fern und hat mich während dieser ganzen Zeit, soviel wie ich weiß, nur ein- oder zweimal besucht. Klagte ich ihr mein Leid, so ermahnte sie mich, nur alles zu tun, was Onkel und Tante sagten; ich würde später ja ihr Besitztum erben. Mit diesem Versprechen machten meine Pflegeeltern meine Verwandten und auch meine Mutter willfährig, mich bei ihnen zu lassen und mir ein Studium oder das Erlernen eines Kunsthandwerks zu versagen.

Die Kränkung und Leiden in der frühen Jugend führten mich zum Gebet und zu einem starken religiösen Innenleben.

In allen Leiden meiner Jugend tröstete mich ein stilles Gebet oder edle Lieder und Gesänge. Je mehr ich hart arbeiten mußte, je mehr ich roh mit harten Mißhandlungen behandelt wurde, desto mehr entwickelte sich in mir ein reiches religiös-philosophisches Innenleben.

Der brave Lehrer Almeling war auch sehr von meinem Schicksal enttäuscht, das mir die Pflegeeltern aufzwingen wollten, es war wohl mit ein Grund, daß er Ödelum verließ. Zur Konfirmation kam meine Mutter und erwartete von Friehes entweder ein Testament, in dem ich als Erbe anerkannt wurde oder die Gewährung eines freien Lebensberufes.

Jedoch man entschied sich für nichts, blieb bei leeren Versprechungen und dem Wunsch, daß ich als Stütze bei ihnen bleiben sollte. Als meine Mutter abgereist war, begann für mich von neuem eine Zeit der Bedrückung, bis ich Pfingsten den Entschluß faßte, meine Peiniger, die für mich lange keine Pflegeeltern mehr waren, zu verlassen. Ohne Abschied zu nehmen ging ich zu meiner Mutter. Als ich meine geliebte Heimat wiedersah, in der mein lieber Vater gebettet war, wo die weiße Kirche hoch oben vom Heinder Kirchberg ins Land schaut, wo Mutter, Geschwister und Großeltern so nahe beisammen wohnten, da überkam mich eine unendliche Freude. Bald lag ich in den Armen meiner lieben Mutter, die mich freundlich aufnahm.

Von alledem, was ich in Ödelum Häßliches erduldet hatte, war ich körperlich und geistig völlig gebrochen. Ich brauchte Wochen zur Erholung; doch die liebevolle Pflege meiner Mutter gab mir bald Gesundheit und Lebensfreude wieder. Nach außen hin waren die Pflegeeltern rechtschaffen, fleißig und fromm; sie mochten auch wohl glauben, kein Unrecht an mir getan zu haben. Sie verstanden mich eben nicht und waren gegen ihre eignen Fehler blind. Gelitten habe ich aber darunter sehr, sehr schwer. Das Leben bei meinen Pflegeeltern war, abgerechnet von einigen glücklichen Schulstunden und wenigen Spielstunden, teilweise ein tief unglückliches für mich.

Vielerlei okkulte Erlebnisse aus der Schulzeit.

Das bedeutendste aus der Jugendzeit war die himmlische Prophezeiung auf dem Felde, daß ich zu einem Weltreformator bestimmt sei.

Während dieser Zeit habe ich viele außergewöhnliche Erscheinungen gehabt, die aber meist meinem Gedächtnis entschwunden sind. Nur einmal weiß ich, hörte ich auf dem Felde, nahe bei Ödelum, nicht weit von dem Wege, der nach Adenstadt führt, deutlich eine Stimme zu mir sprechen: "Habe Geduld, lieber Knabe; du bist ein Sohn des Himmels. Du mußt in deiner Jugend wohl leiden, aber du bis zu einem großen Reformator ausersehen." Darauf sagte ich, Dr. Martin Luther sei doch der größte Reformator; sollte ich denn mehr als er bringen? Ich erhielt zur Antwort: "Du lieber Knabe du, das Werk Luthers wird vor den Werken, die du dereinst schaffen wirst, zurücktreten. Du wirst sogar Größeres als Jesus bringen, den du als deinen Herrn und Heiland, als Sohn Gottes verehrst." Darüber erschrak ich so, daß ich errötete und mich ängstlich umsah, ob es auch niemand gehört hätte. Jedoch waren meine Mitarbeiter weiter hinter mir und schienen nichts bemerkt zu haben. Ich glaubte, ein Geist hätte mir nur schmeicheln wollen und sagte, er solle das nicht sagen, so etwas könne doch nicht sein, ich möchte es nicht einmal denken, weil ich befürchtete, damit ein Unrecht zu tun.

Empfängnis der himmlischen Weihe. Ich erkenne und schaue meinen zukünftigen Beruf.

Da überkam mich eine wunderbare Kraft, ein Gefühl von Majestät und Macht, das ich nicht beschreiben kann. Es ward hell um mich her, es war, als kämen Strahlen vom Himmel auf mich herab, heller, reiner, lichter, lebensvoller als Sonnenstrahlen, von einem Orte des Himmels, wo die Sonne nicht stand, direkt über mir, etwas nach rechts, vielleicht 5-10 Grad vom Winkelpunkt meines Standes. Es war, als hätte der Himmel sich geöffnet. Es war, als sei dieses eine Himmelsweihe. Es kam spontan über mich; ich hatte den ganzen Tag schon eine edle harmonische Stimmung und viele gute Gedanken in mir gehabt. Ich hörte nun wieder die Stimme sprechen: "Mein Sohn, du wirst dieser Welt noch Größeres bringen als Jesus gebracht hat; du sollst eine neue Lehre verkünden, du sollst ein Welterlöser werden!" Ich war jetzt ganz ohne Furcht, voll Mut, bei völlig klarem Denken und rief: "Ja, ich glaube es, ich will tun, wie es von oben bestimmt ist." Wieder sagte die Stimme: "Du sollst nicht nur glauben, du sollst überzeugt sein, sollst es fühlen." Da war es mir, als sähe ich einen hohen Gottgeist mit vielen kleinen Engeln um mich her, ich fühlte mich so weise, so glücklich, so mächtig, daß ich meine zukünftige Bestimmung voll empfand. Auch schaute ich voraus, daß ich erst in meinen vierziger Jahren das Werk vollbringen würde. Jetzt rief ich: "Lieber Gott, alle guten Geister, die ihr um mich seid, ich glaube nicht nur, ich fühle und schaue es, daß diese Prophezeiung Wahrheit wird; ich danke euch unendlich, ich will mich stets befleißigen, immer edler und besser zu werden und jedes Schicksal zu ertragen. Aber heute begreife ich noch nicht, was ich Größeres und Höheres als Christus bringen soll. Ist er denn nicht Gottes Sohn?" "Nicht in dem Sinne, wie es dir gelehrt ist, ist er es," antwortete mir die Stimme, "sondern so, wie du ihn erkennen und lehren wirst. Er war ein großer Reformator seiner Zeit. Seine Lehre hat viele Völker auf eine höhere geistige Entwicklungsstufe gebracht, aber er ist kein Welterlöser. Du erst wirst berufen sein, eine Weltreligion zu schaffen, die die edlen Menschen aller Völker annehmen werden. Du wirst ein Welterlöser werden, du wirst das höchste erreichen, was ein Mensch an Wissen, Weisheit und Kraft des Verstandes erreichen kann. Deine Weisheit wird nie wieder auf Erden übertroffen werden. Du wirst Natur- und Weltgesetze entdecken, die eine ganz neue Menschheit bilden werden. Und nun vertraue und sei gesegnet!" Nun war es, als ginge die Kraft allmählich von mir. Der Himmel schloß sich, die Lichtstrahlen und Lichtgeister lösten sich auf, und alles war wieder so natürlich um mich her wie vorher.

Zur Vesperzeit erzählte ich meinen Mitarbeitern, ich habe ein Erlebnis gehabt. Als ich dann einiges anführte, verlachte man mich und meinte, ich habe geträumt. Als ich meinen Pflegeeltern davon erzählte, erhielt ich Scheltworte; auch verboten sie mir, es weiterzuerzählen. Darum wagte ich auch nicht, meinem Lehrer etwas davon zu erzählen. Ich sagte, ich wolle dies Erlebnis so lange für mich behalten, bis es sich erfüllt habe. 30


X. Kaptitel.

Geheimnisvolle psychologische Wirkungen verschiedener Personen auf mich; Psychometrie, Lebensmagnetismus, Psycho-Pysiognomik.

Das letzte Jahr vor meiner Konfirmation wurde Lehrer Homeister für meinen langjährigen Lehrer Almeling an der Ödelumer Gemeindeschule angestellt. Dieser war mir durch seine stattliche Erscheinung und kräftige Aussprache sympathisch, jedoch hatte er in geistiger Beziehung nicht die tiefinneren Beziehungspunkte mit mir wie Ameling. Diesen vermißte ich sehr, kam aber sonst mit dem neuen Lehrer gut aus; jedoch fehlte das Eigenartige ganz, was mich mit meinem früheren Lehrer verbunden hatte. Daraus schloß ich, daß es geistige Harmoniegesetze und Wechselwirkungen von Mensch zu Mensch geben müsse, daß, je tiefer die Harmonie, desto befruchtender der gegenseitige Einfluß sein müsse. Ich erkannte damals noch nicht ganz klar das Geistesgesetz und einen beeinflussenden Lebensmagnetismus. Wirkte bei Almeling mehr der geistige Magnetismus auf mich ein, so war es bei Homeister der körperliche. Die Gegenwart des letzteren hatte etwas Erfrischendes für meinen Körper, weniger für meinen Geist. Bei dem ersteren war es umgekehrt.

Entdeckung der geistigen Harmoniegesetze und daß nur das sich lieben kann, was sich sympathisch ist, daß sich sympathische Menschen zusammenzuschließen haben, weil diese sich gegenseitig befruchten und zu höherer Entwicklung vorwärts bringen.

Mit mehreren Schulkameraden verband mich eine angenehme Harmonie. Ein etwas älterer Nachbar Karl Löchtig, wirkte sehr anregend auf mich ein, besonders auf mein Denken und meine ganze Verstandestätigkeit. Der junge Mann hatte etwas juristisch Klares im Wesen, war dabei wohlwollend und rechtschaffen. Eine sehr tiefe Freundschaft bestand lange Jahre zwischen mir und einem Altersgenossen, Heinrich Reupke. Dieser Kamerad hatte oft etwas Auffallendes und Hartes im Wesen; aber ich hatte einen vortrefflichen Einfluß auf ihn und zügelte seine Tatkraft, die leicht in Gewalttätigkeit ausartete. In mir bewirkte seine Gegenwart Gemütsvertiefung, Anhänglichkeit und ernste Willensfestigkeit. Seine beiden älteren Schwestern, Anna und besonders Bertha, übten auf mich einen sehr wohltuenden, belebenden Einfluß aus, von ihnen lernte ich auch Tanzen.

Sehr sympathisch schien ich einer älteren Schulgenossin zu sein, Lydia Hennies. Geradezu ein Ideal edler Weiblichkeit war mir eine schon längst der Schule entwachsene Tochter eines Großbauern, Ida Stümpel. Meine Tante und ich wurden oft zu Konrad Stümpel eingeladen. Frau Stümpel zeigte viel Wohlwollen, ihre Tochter übersprudelnde Herzensgüte für mich. Diese war eine edle, künstlerische Natur. Sie liebte besonders feine Farbtöne und Bilder; daher las sie gerne illustrierte Zeitschriften. Sie zeigte mir oft ihre Blumen, Bücher und Bilder, für die ich größtes Interesse hatte. Es war zwischen uns beiden ein Verhältnis wie zwischen Mutter und Sohn. Ich verehrte sie sehr. Sie hatte ausgezeichnetes Talent zum Erziehen und Belehren. Ihrer Natur nach lag sie im Ernährungsnaturell mit Anklang an das Bewegungselement. Für rohe Körperarbeit, nach Art der bäuerlichen Landarbeit, war sie nicht geschaffen. Ich hatte das Gefühl, als ob sie auf dem Hofe ihrer Eltern geistig verkümmerte und keine Befriedigung dort fände. Dieses junge Mädchen hätte meiner Ansicht nach Erzieherin oder Malerin werden müssen. Später wurde sie die Frau des Lehrers Homeister. Leider hat sie nur wenige Jahre mit diesem zusammengelebt und starb an Lungenschwindsucht. Die Erinnerung an dieses vortreffliche Wesen war mir in meiner Jugendzeit wie ein Stern. Was mir mein Lehrer Almeling als väterlicher Freund war, das war mit Ida Stümpel als mütterliche Freundin.

Wie ich durch unerklärliche Sympathie mit jungen, älteren und alten Personen seelisch sehr verbunden war, so fühlte ich gegen manche eine indifferente Gleichgültigkeit, gegen andere Abneigung.

Eine besondere Verehrung hatte ich für einen Großbauern, Christian Stümpel. Dieser erschien mir als das Ideal eines Landwirts- und männlichen Charakters, der auch auf viel andere den gleichen achtunggebietenden Einfluß zu haben schien. Eine originale, philosophisch veranlagte Natur war der Nachbar Heinrich Meier, ein älterer Junggeselle, den ich gern bei uns sah. Er hatte etwas von der Kantnatur, nur kritische Vernunft, doch ein wenig eigentümlich lebensentsagend. Eine außerordentliche Sympathie hegte ich für den Ordensvorsteher, Karl Künemann, wegen seiner geistigen Elastizität, Intelligenz, Tatkraft und Liebe zur Wissenschaft. Dieser Mann freute sich jedesmal, wenn ich seinen um einige Jahre jüngeren Sohn Otto besuchte. Er schien mir lange nicht auf dem Platze zu stehen, wohin er eigentlich seiner Begabung nach gehörte. Leute, wie Lehrer Almeling, Christian Stümpel, Karl Künemann waren bedeutende Persönlichkeiten, welche, an der Spitze eines Staates stehend, fortschrittlich, volksbildend gewirkt hätten, dabei die allzu stürmisch Drängenden weise zurückhaltend. Besonders Künemann besaß ein großpolitisches Talent. Hätten diese Leute einen neuen deutschen Staat gründen sollen, sie hätten nicht die Härten eines Bismarck gezeigt und wahrscheinlich ein besseres Neudeutschland geschaffen.

Psychometrische Entwicklung und erste psycho-physiognomische Studien.

In einem Bauerndorfe gibt es Menschen mit so vortrefflichen Talenten, daß sie wert sind, Einfluß auf das staatliche Leben auszuüben. Immerhin haben diese drei genannten Personen in ihrem Kreise vorbildlich gewirkt und dem Dorfe für vielleicht hundert Jahre ihren Stempel aufgedrückt. Die heutige Generation in Ödelum ist eine selten intelligente, dabei für ländliche Verhältnisse politisch und religiös aufgeklärt zu nennen. Erwähnen will ich noch, daß ich eine tiefe Liebe und Verehrung für die alte Großmutter Doris Wolgers hatte. Eine ähnliche Sympathie verband mich mit ihrem Sohne Wilhelm und ihrer Nichte Ida, die später die zweite Frau des Lehrers Homeister wurde. Dann lernte ich Frau Hofbesitzer Baumeister schätzen, und endlich verband mich große Sympathie mit dem Maurermeister Oberheide. Alle diese Eindrücke erwähne ich, um darzulegen, daß ich schon als Knabe eine sehr feinfühlige Natur war, daß auf mich Sympathie, Indifferenz und Antipathie sehr stark einwirkten, und daß ich schon so hellfühlend war, um vermöge dieser Gabe die feinsten psychologischen Beobachtungen zu machen. Dies befähigte mich, schon damals die Menschen nach ihrem innern Wert richtig abzuschätzen. Ich verehrte jede Adelsnatur, umgekehrt wurde auch ich der Liebling jedes geistig tüchtigen Menschen. Dummheit und Gemeinheit verabscheute ich; und wiederum erregte meine Gegenwart bei dummen, rohen oder falschen Menschen Gehässigkeit. In meiner Persönlichkeit hatte die Natur gewissermaßen einen Psychometer geschaffen, der die Menschennaturen genau nach feinsten Graden abmessen, schätzen und werten konnte. Schon damals fing ich an, Köpfe, Gesichter, Gestalten, Reden, Handlungen, Bewegungen zu studieren. Meinem psychologischen Scharfblick entging nichts. So prophezeite ich z.B. dem Sohn des Ortsvorstehers, Otto Künemann, als er später auf das Gymnasium in Hildesheim kam, daß er langsam lernen, nicht der beste Schüler sein, trotzdem aber die Gelehrtenlaufbahn einschlagen würde. Er bestritt dies, da er Tierarzt werden wolle, wozu ihn seine Eltern auch bestimmt hätten. Auch habe er absolut keine Lust und kein Talent zum Gelehrten. Heute ist dieser Schulkamerad von mir Professor in Jena an der Großherzoglich Weimarschen Universität.


XI. Kapitel.

Wunderbare Erlebnisse nach meiner Jugendzeit in Ödelum, meine Lehr- und Wanderjahre und Aufenthalt in der Fremde, bis ich in Leipzig den Spiritualismus kennen lernte.

Als ich nach meiner Rückkehr in die Heimat bei meiner lieben Mutter die Gesundheit wieder erlang hatte, einigte sich diese mit meinen Pflegeeltern in Ödelum. Obgleich diese alles aufboten, mich wieder zu erlangen, wollt ich nicht mehr dorthin. Es war mir unmöglich, mich noch einmal in das Joch dort spannen zu lassen. Hätte man mich gezwungen, wäre ich zugrunde gegangen. Nichts zerrüttet die Gesundheit mehr als Widerwille und Abneigung gegen Personen und Verhältnisse. Meine Mutter war klug genug, dies einzusehen und wollte ihr Kind nicht opfern. Die vorzügliche Einwirkung meines Lehrers Almeling und andrer Personen, sowie die streng religiöse Erziehung und die oft fast übergroße Anspannung meiner Körperkräfte war für mich von großem Vorteil gewesen. Die Lieblosigkeit, die fast täglichen Kränkungen und Ungerechtigkeiten, denen ich ausgesetzt war, mögen meine Seele vielleicht noch feinfühlender und sensibler gemacht haben, aber sie wirkten auch lebenszerstörend auf meinen Körper. Es war die höchste Zeit, daß ich mich über diese unglücklichen Verhältnisse erhob, mein Dasein eigenmächtig anderswohin verpflanzte.

Eine unsympathische Umgebung wirkt lebenszerstörend. Darum geht Carl Huter aus den Verhältnissen und von den Menschen fort, wo er sich abgestoßen fühlt.

In der ersten Zeit meines Fortgangs aus Ödelum hatte ich fortwährend Erscheinungen menschlicher Gestalten in nebelhaft grauer Form, die sich zu den schrecklichsten Verzerrungen, Höllengeistern, ja geradezu Plagegeistern gestalteten. Dies klagte ich oft meiner Mutter, die mich beruhigte, um im Gebet suchte ich Trost. Allmählich verschwanden diese Ungeneuer, und ich sah bessere Lichtgestalten um mich her, die mir Ruhe und Frieden brachten.

Was diese Höllengeister in meine Nähe gebracht hat, ist mir noch heute unerklärlich. Wahrscheinlich hat mich jemand stark verwünscht; vielleicht hatten Friehes den starken Wunsch gehabt, mich wieder zu sich zu holen.

Geister halten Carl Huter ab, in seine früheren Verhältnisse zurückzukehren.

Aber gerade der Gedanke an Ödelum rief diese Schreckgespenster in meine Nähe. Es war, als wären von oben Mächte gesandt, die mich zurückhielten, daß ich nicht wieder nach Ödelum zurückkehren sollte. Es war Bestimmung, ich konnte sie nicht bezwingen. Außer meiner Mutter wirkten auch noch andre Leute in Heinde günstig auf mich ein. Beim Helfen bei den ländlichen Arbeiten kam ich in heitere, lebensfrohe Gesellschaft. Die Heimat wirkte sehr wohltuend auf mich, und meine Gesundheit kehrte wieder. Als meine Mutter mich fragte, welchen Beruf ich erwählen wollte, entschied ich mich für Malerei. Die Kunst lag mir am nächsten, das fühlte ich in mir. - Menschen beobachten, zeichnen, malen, studieren, das war mein Liebstes. Leider ließ sich meine Mutter von einem Agenten verleiten, mich an einen Malermeister in Hildesheim zu verdingen, statt mich auf eine Kunstanstalt oder Schule zu schicken. Der Agent hatte ihr gesagt, daß ich nur zu künstlerischen Arbeiten herangezogen würde, daß ich auch Köpfe, Figuren und Porträts malen würde, da der Meister ein Porträt-, Dekorations- und Porzellanmaler sei.

Enttäuschungen in meiner selbsterwählten künstlerischen Laufbahn als Maler.

Am 6. August 1879 brachte mich meine Mutter zu dem Meister Karl Seger in Hildesheim in die Lehre. Ich wurde fröhlich aufgenommen, war aber arg enttäuscht, als ich an eine Farbenmühle gestellt wurde, und den ganzen Nachmittag zu mahlen hatte. Man sagte mir, das müsse sein, man müsse erst die einfachsten Arbeiten machen, bevor man Künstler werden könne. Ich erblickte darin eine Ausnützung meiner Arbeitskräfte, so daß ich mich tief beleidigt und von dem Agenten und Lehrmeister hintergangen fühlte. Dazu kam, daß ich bis zum Abend keinerlei Nahrung bekam. Ganz erschöpft und in Schweiß gebadet, wagte ich es endlich, die Meisterin, die in der ersten Etage wohnte, um etwas Trinkwasser zu bitten und mich über Arbeit und Behandlung zu beklagen. Sie tröstete und beschwichtigte mich und bot mir eine Tasse Kaffee an. Sonst verliefen die dreiundeinhalb Jahr Lehrzeit leidlich; nur war es mein steter Kummer, daß ich die schöne Zeit mit mir meist unsympathischen Arbeiten verbringen mußte, obgleich ich dieselbe doch viel besser mit reiner Kunsttätigkeit hätte ausnutzen können. Der Lehrmeister gewann mich jedoch lieb und gab mir gewissermaßen Familienanschluß. Auch befreundete ich mich mit dem ältesten Sohn Karl, der geistig sehr rege und begabt war. Er besuchte die höhere Gewerbeschule. Außerdem schloß ich mich sehr an den ersten Gehilfen Vespermann an. - Diese beiden Menschen hatten einen anregenden guten Einfluß auf mich, obgleich mmich Karl Seeger oft durch sein allzu witziges, überkluges Wesen abstieß. Dagegen liebte ich Vespermann besonderrs wegen seiner Bravheit, seines Gemütsadels und der Liebe zum Gesang. Er war eine edle, pflichttreue Natur, die ich lieben und verehren lernte. Er wurde mir ein väterlicher Freund und eigentlicher Lehrmeister. Bald begann auch Meister Seeger sich mehr mit mir zu beschäftigen durch Zeichen- und Malunterricht, was mich dann befriedigte. Ich besuchte eine Zeichen- und Malschule, wo tüchtige Architekten, Zeichen- und Mallehrer unterrichteten. Durch meinen Fleiß erwarb ich mir gute Zeugnisse und fast jede Ostern Prämien. Der Meister suchte besonders  in den letzten Jahren mich weiter zu bringen. Er war streng aber gerecht; daher hatte ich bald Achtung vor ihm. Karl Seeger gab mir Bücher zum Studium und unterrichtete mich nebenbei in manchem Wissenswerten.

Levitating Stone
(Hinzugefügt)


Erstellt 1994 und September 2006. Update 21. März 2007.
© Medical-Manager Wolfgang Timm
Fortsetzung

Die  Kronen symbolisieren die höhere Natur in jedem Menschen, sein individueller potentieller innerer Adel. Jedermann ist verpflichtet seinen inneren Adel nach Albrecht Dürer und Carl Huter zu heben.
Bearbeitung: Medical-Manager Wolfgang Timm
Innere Erschließung einer höheren geistigen Welt aufgrund selbsterlebter Tatsachen